"Es geht um Lust und Grausamkeit"
2. Teil des Interviews mit Sándor Barics
PP: Wie war dann der Anfang in Berlin ?
SB: Nun, in Berlin angekommen, habe ich mich zuerst ganz und gar der Malerei gewidmet. Ich habe ganz neue Bilder-Serien und hunderte von Papierarbeiten geschaffen.
Irgendwann begann ich auch noch mit dem Collagieren. Das brachte mich dazu, mich wieder mit Dada und dem Surrealismus zu beschäftigen. Ich war 33, und trotz intensiver Filmerziehung kannte ich die Filme von F.Léger, Man Ray, René Clair und Maya Deren noch nicht. Eine Schande. Oder? Das alles hat sich aber in Berlin geändert. An einen Punkt hat mich es wieder gepackt, und langsam begann ich, diese Filme zu sammeln.
Monate später habe ich dann wieder Bunuels "Un Chien Andalou" gesehen, und da stand es schon fest, daß ich auch Filme machen würde. Aber 2003 war ich noch zu sehr mit meiner Malerei beschäftigt und hatte auch einen ungarischen Kunstverein zu leiten. Zeitlich war es mir da noch nicht möglich einzusteigen.2004 hatte ich meinen ersten digitalen Camcorder gekauft, und er stand ein ganzes Jahr lang herum, ohne daß ich ihn in die Hand genommen habe. Anfang 2005 habe ich mir dann aber fest vorgenommen, mein erstes Filmprojekt zu realisieren. Wegen technischer Schwierigkeiten mit meinem Laptop hatte ich zwar bereits Filmmaterial aufgenommen, konnte es aber weder schneiden noch vertonen. Also wartete ich weiter.2006 haben sich diese Probleme gelöst, und ich konnte loslegen.
Bald danach ist "Folie á Deux" entstanden.
PP : "Folie á Deux" ?
SB: "Folie á Deux" hat eigentlich als "Starving" angefangen. Ich hatte eine Idee: Ein Künstler hungert, und muß, um zu überleben, seine Arbeiten gegen Essen eintauschen. Dazu kommt noch, daß aus unerklärlichen Gründen das Essen aus seinem Kühlschrank immer wieder verschwindet. Er hungert, muß Bilder produzieren und dann wieder hungert er. Am Ende hat er keine Kraft mehr, um Bilder zu produzieren, und kann nichts eintauschen und so weiter und so fort…..
Das was die Idee…. Aber es kam alles anders.
PP: "Folie á Deux" ist aber fertig geworden. Wie gefällt dir die Endfassung des Kurzfilms ?
SB: Gut. Obwohl ich zuerst wegen der Musik etwas skeptisch war. Ich wollte zwar experimentelle Musik. Und ich habe experimentelle Musik bekommen, da sie eigentlich auf den eigenen Filmdateien aufbaut. Durch einen Zufallsgenerator und ein cleveres kleines Softwareprogramm entstand aus diesen Dateien sogar eine Art Melodie. So generiert der Film seine eigene Musik. Und mittlerweile gefällt sie mir auch sehr gut. Ich liebe sie sogar.
Ich denke, der Film hat auch eine sehr schöne und ruhige Kameraführung sowie einen interessanten Schnitt. Die Texteinlagen sind zwar auf dem ersten Blick verwirrend, jedoch tragen sie damit sehr zum experimentellen Charakter des Films bei. Ähnlich wie die Musik ist sie teilweise per Zufall entstanden. Ich habe vor und während der Aufnahmen die Gedichte von Baudelaire gelesen. Dann habe ich einfach einige Gedichte in einzelne Wörter zerstückelt. ( Ich habe vor den Filmaufnahmen noch an DADA styl Collagen gearbeitet ! )
Dann waren Harald Marpe, der in dem Film mitspielt, und Irena Feller, die Regieassistentin, bei mir. Wir haben die erste Rohschnittfassung des Films angeschaut. Wir haben mit Wörtern gespielt, haben die einzelnen Texte durcheinandergebracht und dadurch und per Zufall entstanden dann die Texte. Und irgendwie hatten wir zwei Stunden später 90% zusammen.
Da mußte ich aber leider dringend zum Flughafen fahren und meine Frau von Ihrem London -Flug abholen.
Die zehn Prozent des Textes, die wir nicht geschafft haben, sind unverändert geblieben. Das ist auch eine Art Zufall.
PP: Wie lange hast du gedreht?
SB: Die eigentlichen Aufnahmen erfolgten an 5 Wochenenden. Dann kam die Phase der Nachbereitung mit vielen Schwierigkeiten und Streß. Aber ich hatte mir eine Deadline gesetzt: Es mußte alles am 11.Juli 2006 fertig sein. Am 12.Juli waren wir tatsächlich fertig. Danach brauchte ich einen kurzen Urlaub.
PP: Was kam ungeplant?
SB: Mein Arzt hat während der Aufnahmen bei einer Zufallsuntersuchung Blut in meinem Urin gefunden. Da man etwas Schlimmes vermutete, folgte sofort eine andere unangenehme Untersuchung. Ich war also teilweise am Set, teilweise in Krankenhaus. Ich ziehe den Set vor. Krankenhäuser jagen mir etwas Angst ein. Im Wartezimmer kamen mir die merkwürdigsten Filmideen. Vielleicht war es eine Art Katalysator für die Filmproduktion. Wer weiß, vielleicht sollte ich meine nächsten Drehbücher in Krankenhauswartezimmern schreiben. Dort passieren nämlich immer die merkwürdigsten Ereignisse.Aber: Es war, Gottseidank, nichts Schlimmes, und ich bin wieder gesund.
PP: Wie ging es weiter, nachdem der Film fertig war?
SB: Der Film wurde inzwischen bei 7 Kurzfilmfestivals zur Ansicht eingereicht. Es läuft außerdem auf Google, Yahoo und man kann ihn sogar bei E-Bay kaufen. Außerdem waren alle Freunde und Bekannte begeistert. Bisher habe ich schon 50 Kopien machen müssen. Wie es aussieht, wird der Film in Ungarn im Oktober 2006 auf einem lokalen Sender laufen. Als Testphase. Mal sehen, was dabei rauskommt…
Ich würde mich freuen, wenn eines der Filmfestivals ihn in sein Programm aufnimmt.
PP: Was sind Deine nächsten Projekte?
SB: Gerade habe ich einen kurzen Montagefilm fertiggestellt: "Studies for the Last Judgment".
Es wird hier in Charlottenburg in einer Kunstausstellung als Videoart-Installation laufen.
Drei Projekte habe ich in Planung. Eines wird ein längerer Film von 3o Minuten sein.
Im November möchte ich mich aber wieder meine Malerei widmen. Ich habe sie jetzt über acht Monate vernachlässigt.
PP: Was hast du aus diesem Film gelernt?
SB: Das Filmemachen ist eine hervorragende Gelegenheit, mit dem Bösen in uns zu kämpfen, alle Hindernisse auf dem Weg zu überwinden und geistig zu wachsen. Es geht um Lust und Grausamkeit. Also immer viel zu tun !
PP: Vielen Dank für das Interview
SB: Bitte. Bis zum nächsten Mal.
Raymond Sinister - Alfred Rietschel - 29. August 2006 - 17:40
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