"Wenn der rote Großvater erzählt"
Anmerkungen zum Kiezkino am 7.11.06...... als nämlich Barbara Kaspers und Lothar Schusters Film "Die Schlacht am Tegeler Weg" im Kiezbüro gezeigt wurde und nachher eine muntere Diskussion begann.
Ich muß dann doch noch mal Elias Canettis "Masse und Macht" lesen. Es geht darum, wie der einzelne seine Verantwortung an die Masse übergibt, sich als Individuum auflöst und dem größeren Ganzen überantwortet. Daran mußte ich denken, als ich die Wasserwerfersteinekampfszenen am und um den Tegeler Weg sah. Massenphänomene gab es im 20. Jahrhundert genug. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang auch Ereignisse wie die Kriegshysterie 1914 erwähnt werden. Man kann Ereignisse vergleichen, ohne sie gleichzusetzen. Mir scheinen auch einige der damaligen Phänomene erklärbar: die Gewaltfaszination, die extrem autoritären Strukturen innerhalb der vermeintlich antiautoritären Bewegung, die Frauenverachtung, die strikteste Ablehnung der als überkommen und massenfern erklärten Bildungsgüter undsofort.
Wenn ich mir einen Staat vorstelle, der nach den Maximen des mittlerweile hagiographisch verbrämten Rudi Dutschke regiert würde, kommt mir, um mit meinem alten Lateinlehrer Fritz Leyh zu sprechen, "der Konfirmationskaffee hoch". Da war autoritäres Denken gepaart mit Urchristentum, leninsches Denken in Rätekategorien mit Alleinherrscherphantasien. Dem Herrgott sei Dank für die bürgerliche Nachkriegsgesellschaft!
Was natürlich auch gerne ausgeblendet wird:
Daß im Gefolge dieser studentenbewegten wilden Zeiten grenzdebiles Potential an die Universitäten gespült wurde und dort sein Unwesen als Dozent und Professor ausüben konnte, mag den maoistischgeprägten 70er Jahren aufs Schuldkonto geschrieben werden.
Natürlich bleibt aber einiges: Wenn wir uns vorstellen, daß sich die Studenten, in der Regel angetan mit Anzug, - ganz verwegene verzichteten auf den Schlips und trugen Rollkragenpullover- bis in die 50er Jahre siezten, wollen wir eines hier festhalten:
Mittlerweile duzen sich die Studenten. Das ist auch gut so.
Als zweites Überbleibsel und durch keine noch so hartnäckig über sie hinwegspülende Zeitläufte zu beschädigende Grunderkenntnis bleibt die Tatsache, daß sich oft schon angegraute und ins Präsenilium übergegangene Individuen über vergangene, mittlerweile verjährte Rechtsverstöße austauschen. Im Kiezbüro. Nach dem Filmeanschauen.
Außerdem konnte man immer jeden besuchen. Auch das wollen wir als lobens- und erinnerungswert festhalten.
(An diesen gerade erwähnten Rechtsverstößen übrigens hat der Autor dieses Aufsatzes, das sei abschließend noch mitgeteilt, auch mal teilgenommen. Das war aber Ende der 70er Jahre, bei verbotenen Demos rund um den Savignyplatz, als der eine oder andere Mercedes umgeschmissen wurde. Ich würde dann allerdings lieber den Konfirmationskaffee hochspülen lassen, als,
jetzt taucht die Titelzeile wieder auf, den Roten Großvater, in unserem Fall ist es der Vater, erzählen zu lassen oder selber mit deutlich erkennbarem Stolz in der Stimme und zittrigem Revolutionspathos darüber zu berichten).
Das ist mir, mit Verlaub, dann doch zu jämmerlich.
Raymond Sinister - Alfred Rietschel - 07. November 2006 - 22:28
vierzehn Kommentare
Nr. 3, maho, 08.11.2006 - 01:12 Es war aber ansonsten ein toller Film-Abend! Zwei sehr gute Filme von Barbara Kasper und Anke Oehme , zwei Filmemacherinnen aus dem Kiez. Eine wirklich gute Diskussion mit tollen Leuten folgte anschließend. |
Nr. 4, JessyRamon, 08.11.2006 - 02:28 Hmm… irgendwie kann ich das alles nun nicht so recht nachvollziehen. Okay, ich habe den Film nicht gesehen und auch die Diskussion nicht mitbekommen, da ich erst danach in den Raum kam. Daher hier nur ganz grundsätzlich: Sollte man nicht jedem seine (Jugend)Erinnerungen gönnen? Besonders, wenn man sie so positiv im Gedächtnis behalten konnte? Das hat doch im Grunde erstmal gar nichts mit politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Diskussionspunkten zu tun, sondern nur mit persönlichen Erfahrungen. Jede Persönlichkeit geht anders mit den Gegebenheiten um, die ihn umgeben; so hat jeder wohl gute und schlechte Dinge erlebt und für sich verarbeitet. Bevor ich jetzt aber ins Faseln komme: Als ich zum Schluß in den Raum kam und noch viele einzelne Grüppchen sich unterhielten, hatte ich eher das Gefühl, daß es auch Leute gab, die ähnlich empfanden wie jener, der hier so kritisiert wird. So sei doch jedem seine erlebte Jugend gegönnt – auch, obwohl (oder gerade weil?!) man nicht weiß, wie man sie in einer anderen Zeitepoche erlebt hätte. Es liegt eben nicht immer nur an solchen Dingen, sondern kommt auch viel auf das eigene Umfeld an. Wenn z.B. der Freundeskreis stimmt, ist vieles anderes schon mal nebensächlich. Daher möchte ich nun schließen mit einem ungefähren Zitat aus dem Film “Sonnenallee” (wie ich es jedenfalls grad im Moment im Kopf habe): Ganz egal, wie die Umstände waren – alles war gut für uns, denn wir waren jung. |
Nr. 5, JessyRamon, 08.11.2006 - 02:31 PS. Ich hätte solche Zeiten manchmal gern mitbekommen. Wenn man die Geschichten und Dokus hört/sieht, erscheint es doch erlebenswert. Zumal heutzutage einige Dinge leider nicht mehr so möglich erscheinen wie damals… was ich zuweilen bedaure. Heute ist alles viel zu hektisch, schnellebig und unsicher. |
Nr. 13, Marcel, 15.11.2006 - 19:45 Hallo Christine, genau aus dem Grund, wegen dem aus dem Hintergrund auf Menschen hauen und lästern, habe ich ja meinen 1. Kommentar geschrieben. Der Autor des Textes hat sich nicht zusammenreissen können und nicht den Mut aufgebracht nach dem Kinoabend sich an der Diskussion zu beteiligen und den Leuten direkt ins Gesicht die eigene Meinung zu sagen..nein..er schrieb diesen Text. Und, wenn ich so durch die Kommentare schaue, bisher hat der Autor auch noch nicht den Mut aufgebracht sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Noe..da bleibt man lieber stumm und sagt nichts mehr. Vielleicht kommt man mit Diskussionen einfach nicht klar? ;) Wenn dem so ist, sollte man sich aber nicht ein Medium suchen, wo die Antworten relativ einfach gepostet werden können, sondern eher kleine Zettel ausdrucken und im Kiez an die Bäume und die Wände tackern. Gruss, Marcel der btw. nicht predigt..sondern seine Meinung sagt =) |
Nr. 14, maho, 15.11.2006 - 21:29 Hallo Marcel, dann erkläre mir doch mal bitte den Unterschied zwischen “Predigen” und “Meinung sagen” |
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Hallo,
was ist denn an dem Erinnern jämmerlich? Es gibt halt Menschen die was im Leben erlebt und erreicht haben. Die für ihre Meinungen auf die Barrikaden gegangen sind. Die waren halt politisch aktiv und erzählen darüber.
Ich persönlich höre gerne älteren Menschen zu, denn die haben was zu erzählen.
Viel schlimmer finde ich die Menschen die sich besser darstellen und angeblich frei jeder Schuld sind und dauernd auf andere hinter deren Rücken eindreschen, über diese Personen herziehen wie dumm die anderen doch sind und wie klug man doch selber ist. Dabei kriegt man selber nichts auf die Reihe, muß bei dritten was essen, oder fremde Internetzugänge nutzen, weil man selber einfach nichts gebacken bekommt.
Am allerschlimmsten sind aber die Leute, die andere antriggern was man denn zu sagen oder gar zu denken hat. Die armen Leute die auf sowas noch reinfallen..oh gott..
Vielleicht sollte man mal die Aussagen von manchen Personen veröffentlichen?
Besonders die Aussagen von denen, die irgendwie noch nichts im Leben erreicht haben..ausser einen gewissen Wortschatz, den man nicht müde wird, unter die Leute zu bringen..
Gruss,
Marcel