Hoch hinaus
Stufen, Rolltreppen, Fahrstühle, Rampen, Geländer - diese Dinge sind wohl unumgänglich im Alltag einer Großstadt. Derlei Einrichtungen im öffentlichen Raum dienen dem Überwinden unterschiedlicher Niveaus im Straßenland und erleichtern die Fortbewegung. Seit einigen Jahren boomt eine Aktivität gegenteiliger Zielsetzung, das Sportklettern. Dabei kann es gar nicht schwierig, steil und überhängend genug sein auf dem schmalen Weg nach oben. Die Könner dieses noch jungen Sports beeindrucken durch spektakuläre Routen mit winzigen Haltepunkten und quasi unsichtbaren Tritten, ob im schroffen Fels der Alpen oder in der Kletterhalle.
Im Jugendzentrum "Schloßstraße19" kann man sich versuchsweise aufmachen in das Reich der Vertikalen.
Auf den Hüften sitzt straff der Klettergurt, durch den das Sicherungsseil läuft, an den Füßen drücken die zierlichen Kletterschuhe (sie sollen mindestens eine Nummer unter der der Straßenschuhe liegen, um auch auf kleinen Vorsprüngen sicher Halt bieten zu können). Im Souterrain des Jugendclubs ist eine strukturierte Querwand mit farbigen Griffen und Tritten zum künstlichen Felsen gemacht worden, den man in verschiedenen Schwierigkeitsgraden erklimmen kann.
Hier trainiert die Klettergruppe des Alpinclub Berlin einer Sektion des Deutschen Alpenvereins. Da Berlin eher flach ist, sind Klettermöglichkeiten im Freien begrenzt. Und in der kalten, nassen und dunklen Jahreszeit bleibt ohnehin nur die Halle, das Niveau zu halten oder zu verbessern. Zum Einstieg in die senkrechte Welt sind die Hallen ideal, finden sich doch immer helfende Hände, die Novizin mit den Feinheiten der Wand vertraut zu machen.
Ein freundlicher Student, der mich ins Seil eingebunden hat, führt mich zu einer Route grüner Punkte. Er sagt ermutigend, das Erklettern dieser Griffe sei wie Leitersteigen. Ich vertraue ihm und mache mich auf nach oben. Viel Platz ist da nicht zum Stehen, aber die Sprossen (i. e. die Griffe) liegen nah beieinander, sodass ich rasch nach oben komme. In etwa 6 Metern Höhe habe ich das Hallendach erreicht und werde auf den Boden abgelassen. Sicherheit wird gross geschrieben. Während einer Weitwanderung in den Dolomiten in diesem Sommer bin ich an verschiedenen Kletterfelsen vorbei gekommen, so auch an den legendären Drei Zinnen. Ihr Anblick hat mich so verführt, dass ich das Klettern selbst einmal ausprobieren wollte. Wie gut, dass es dazu hier im Kiez die Gelegenheit gibt. Mitglied im Deutschen Alpenverein bin ich ohnehin.
Wie erklärt man Nichtkletternden den Reiz dieser so unnatürlichen Körperlichkeit? Für mich ist es die Mischung aus Technik, Eleganz, Meditation und Akrobatik, die die Faszination des Kletterns ausmacht. Dabei kommt es weniger auf schiere Muskelkraft an (zumindest bis zum 7. Grad), sondern vielmehr auf Planung, Koordination und Ökonomie. Ich liebe es, mich kletternd dem uralten Traum der Überwindung der Schwerkraft hinzugeben. Auch wenn es überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene sind, die dem Klettern verfallen sind, werde ich meine späte Liebe sorgsam pflegen, auch weil sie so gelenkschonend ist.
Zum Charakter dieses Trendsports passt es, dass er vermehrt in Schulen und Jugendzentren ausgeübt werden kann. Wie schön, dass auch ältere Semester auf diese Weise den Weg in die Schlossstraße 19 finden können.
Und zwar dorthin, wo die steile Reise beginnt.
Andrea Bronstering - Gastautoren - 11. Dezember 2007 - 00:58
Tags: bergsteiger/kletterfelsen/kletterwand
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