Schwimmen im Museum
Kaum eine, die nicht unter dem zähen Berliner Winter litte. Spätestens an Dreikönig, wenn die zerrupften Weihnachtsbäume am Straßenrand schimmeln, zeigt der Januar sein schonungsloses Gesicht. Eine Sinfonie in Grau, Nass, Kalt und Depressiv, voller Variationen in Endlosschleifen. Wer es sich leisten kann, fliegt nach Gran Canaria und sonnt sich im Lichte ewigen Frühlings, alle anderen brauchen viel Phantasie, der hiesigen Wolkensuppe zu trotzen. Ein klassischer Sehnsuchtsort liegt in Rufweite des Kiezes am Rande des Westends: neben dem gewaltigen Olympiastadion befindet sich das Schwimmstadion.
Hier fanden während der Olympischen Spiele 1936 die Schwimm- und Sprungwettbewerbe statt. Wer heute, eingestimmt durch die beige gekachelten Duschen, das Bad betritt, glaubt gerne, dass sich seit damals hier nicht viel getan hat. Es ist beinahe so, als schwömme man im Freilichtmuseum.
Morgens um 7:30 ist die Wasserwelt vollendet wie am siebten Tag der Schöpfung. Die Bademeister langweilen sich auf ihren Plastiksitzen, im Wasser sind nur Menschen, die nicht zum Planschen hierher kommen. Sie ziehen ruhig und gleichmäßig ihre Lagen, die meisten im Bruststil, einige kraulend. Sie alle schätzen den Luxus eines 50 m langen Beckens, in dem mindestens drei Bahnen durch Kordeln voneinander abgeteilt sind. So kommen diejenigen, die sich auf einen Ironman vorbereiten, jenen nicht ins Gehege, die eher auf ärztlichen Rat hier sind und etwas für ihre verschlissenen Gelenke tun wollen. Sie alle eint der hehre Spaß, den sie an der stets wiederholten Bewegung im nassen Element haben. Frühmorgens trifft man hier vermehrt auf Menschen, die kaum jünger als das Schwimmbad sind; die lärmende Jugend hingegen entert das verwunschene Gelände erst nach Schulschluss.
Das unter Denkmalschutz stehende Sommerbad am Olympiastadion, wie es offiziell heißt, ist vom Klausenerplatz in gerade mal zehn Minuten mit dem Rad zu erreichen. In den 1920er Jahren als Teil des Geländes des Deutschen Sportforums nach Plänen von Werner March errichtet, erfolgte ab 1931 der Umbau im Hinblick auf die XI. Olympischen Spiele. Das Becken wird an den Längsseiten von zwei ansteigenden (heute geschlossenen) Tribünen eingefasst, deren original erhaltene Holzbänke unaufhaltsam in der feuchten Berliner Luft verwittern. Das Becken selbst ist mit blaugrünen Fliesen und keramischen Reliefs ausgestattet. Immer gegenwärtig ist das monumentale Stadion, dessen Nordkurve ihren Schatten auf das Schwimmgelände wirft. Und noch eine Kuriosität: Die heutige Sonnenwiese am Nordrand des Bassins war 1936 der Schauplatz der rhythmischen Sportgymnastik der Frauen.
Abseits solch historischer Reminiszenzen ist das Olympiabad einfach ein wunderbarer Ort zum Schwimmen, einer hinreißenden Meditation der Bewegung. Das Wasser streichelt den Leib, trägt ihn und setzt ihm kaum Widerstand entgegen, zu greifen ist es gleichwohl nur schwer. Die Last des Alltags drückt hier weniger – Wasser ist auch ein Lösungsmittel. Bei klarem Himmel dauert es nicht lange und die Sonne bräunt zart den Rücken; blass zeichnen sich dann die Träger des Badeanzugs ab. Doch davon kann jetzt im Januar bei Weitem keine Rede sein. So erwache ich unsanft aus meinem Tagtraum, der sich aus Erinnerungen an den letzten Sommer speiste. Jetzt heißt es durchhalten: Bis zum Beginn der Freibadsaison sind es ja bloß noch drei Monate.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kiezreportagen - 25. Januar 2008 - 15:36
Tags: olympiastadion/schwimmbad
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Sehr schön be- oder geschrieben. Klasse
Danke für hoffnungsmachende Aussichten. Schöne Wochenendsgrüsse