In der Welt der kostenlosen Massage
Die Räumlichkeiten: Ein großer Raum im Erdgeschoß eines Neubaus. Wie ein beliebiges Großraumbüro. Fenster an Front und Rückseite. Abgehängte Decke, Quadrate, jedes vierte eine Leuchte. Der Raum ist mit halbhohen Sichtblenden unterteilt in einen Vortrags- und einen Liegeraum. 33 Stühle, durch Nummern einer bestimmten Liege zugeordnet. An den beiden Seiten Türen zu Büros, Küche und Aufenthaltsraum für die Angestellten, Toiletten für die Kunden.
Die Kunden: Vorwiegend ältere Menschen, selten Kinder. Mehr Frauen als Männer. Viele Ausländer. Alle mit körperlichen Beschwerden.
Die Krankheiten: Erstaunlich, wie offen Kunden und Angestellte über ihre Krankheiten sprechen. Erschreckend, unter welchen Krankheiten und für wie lange Zeit viele schon leiden. Beunruhigend, wieviel Erfolgslosigkeit der Schulmedizin hier zutage tritt. Beeindruckend, in wievielen Fällen – von Muskelverspannungen über organische Erkrankungen bis Tinnitus – der Massageliege ein Heilerfolg zugeschrieben wird.
Die Massageliege: Kurz „die Liege“. Ein schmales Bett aus Südkorea. Der Kunde liegt auf dem Rücken. Ein mit Kugeln aus Jade bestückter kleiner Schlitten fährt auf Schienen beiderseits der Wirbelsäule zwischen Steiß und Hinterkopf auf und ab. Massage der Rückenmuskulatur durch das Gewicht des Kunden. Chiropraktik. Gleichzeitig Ferninfrarotwärme. Stillstand der 60° heißen Kugeln an verschiedenen Stellen des Rückens. Akupressur, Moxa. Vorher jedoch ein Vortrag.
Der Vortrag: Sehr unterschiedliche Themen und Qualität. Spektrum der elektromagnetischen Wellen und ihre Bedeutung; Herkunft des Firmennamens; zu erwartende unangenehme körperlichen Reaktionen als Teil der Behandlung; Berichte von Heilerfolgen; Lachen,Singen, Schreien als gesundheitsfördernde Maßnahmen; Vorsingen eines Werbelieds. Immer wieder Kunden ans Mikrofon, die bereitwillig Auskunft geben. Aufforderung zum Applaus. Am Ende stehen die Kunden auf, klatschen rhythmisch, skandieren „Ceragem – jaaa!“, eilen zur Liege. 14mal am Tag Vortrag und Gespräche mit den Kunden auf der Liege.
Die Angestellten: Fast ausschließlich 'Frauen. Meist ehemalige Kundinnen. Mehrheitlich Ausländerinnen.
Das Marketingkonzept: Erst ausprobieren, dann kaufen. Ermunterung zu langfristigem Probeliegen, am besten jeden Tag. Kein Kaufdruck. Kostenlos.
Ceragem, Bundesallee 39-40, direkt am U-Bf. Berliner Straße
MichaelR
Michael R. - Gastautoren - 24. September 2008 - 00:15
Tags: massage
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