Weiches Hirn
Ein Wortwechsel mit Mario, der am 19. Juli 2006 gegen halb elf vormittags, vom Einkauf kommend, auf dem Weg nach Hause ist und mir über die Seelingstraße hinweg eine Warnung zuruft.
MARIO: Paß auf wegen der Hitze, setz besser einen Hut auf!
HARRY (mit lauter Stimme): Da ist nichts mehr zu retten, das Hirn ist schon weich.
(Überquert die Straße und stellt sich neben ihn. Ab jetzt alles in gemäßigtem Konversationston)
MARIO: Dann gib Petersilie hinzu.
HARRY: Du meinst das jetzt kulinarisch?
MARIO: Genau. Obwohl Hirn nicht mein Fall ist. Eine Ehemalige hat das gerne gegessen, angerichtet mit Zwiebeln und Petersilie.
HARRY: Ich habe einmal paniertes Hirn gegessen, in einem Restaurant in der Uhlandstraße. Nie wieder.
MARIO: Mir schmeckt es auch nicht. Außerdem bin ich gichtgefährdet. Hirn enthält sehr viel Purin, da muß ich aufpassen. Das führt sehr leicht zu Gicht.
HARRY: Am Wochende war ein Foto in der F.A.Z., eine Aufnahme von Mozarts Witwe. Die hatte schwere Gicht in einer Hand. (Ahmt die Stellung der Hand nach) Ein Foto von Mozarts Frau - finde ich irre.
MARIO: Goethe hatte auch Gicht. Nun hat der ja auch immer gut gelebt: viel Fleisch und Wein.
HARRY: Der hat sehr viel für Wein ausgegeben. Um die Mittagszeit war meist schon die erste Flasche geleert. Man muß sich den Goethe im Eckermann also immer leicht paralysiert vorstellen. Besonders gegen Abend.
MARIO: Außerdem hatte er kaum noch Zähne, denke ich mal. Das ging ja vielen damals so.
HARRY: Ich weiß nicht, ob er ein Gebiß hatte.
MARIO: Da bin ich mir auch nicht sicher. Wobei es ja ohne Zähne oft besser aussieht, als wenn du ein Brandenburger Tor im Mund hast.
HARRY: Genau. Ich glaube, man sieht auf der Zeichnung vom Totenbett, daß der Mund ganz eingefallen ist.
MARIO: Stimmt. (Schreitet davon, wobei er noch einen schönen Tag wünscht.)
Und da hört man immer wieder was vom Verfall der Gesprächskultur...
Solange sich Menschen derart gepflegt bei geschätzten 35 Grad Celsius im Hochsommer auf offener Straße ohne Hut mitten im Kiez am Klausenerplatz unterhalten und Namen großer Geister wie Mozart und Goethe fallen lassen wie Zigarettenkippen, so lange ist doch noch nichts verloren. Oder?
Am nächsten Tag, die Geschichte geht noch weiter, liegt ein Antwortschreiben Marios im Briefkasten des Kiezbüros. (Ein Bote hatte ihm diese Zeilen überbracht). Mario schreibt:
20. im Zeichen der Walküre
ERSTAUNEN MIT WUNSCH
Dass Du entsinnst
Des kleinen Plausches
Welch ein Gewinnst
Dank Sommerrausches!
Gäben's die Götter
Wären noch so viele
Gleich uns mein Vetter!
Sich kühlend auf Petrarcas Pfühle...
Mario der Zauderer
(Transkription: Alfred Rietschel)
Raymond Sinister - Kunst und Kultur - 20. August 2006 - 14:19
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Zitat:
Gäben’s die Götter
Wären noch so viele
Gleich uns mein Vetter!
Sich kühlend auf Petrarcas Pfühle…
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Ach ja, wie wär,s so schön – das Leben, und überhaupt…
Schließe mich dem voll und ganz an.
Gruß an Mario