Lesefrüchte I: Das nette Grauen
Es braucht nicht viel, und ein scheinbar gefestigtes Leben gerät auf die abschüssige Bahn. Ein alter Mann erkrankt an Alzheimer; während die Krankheit unaufhaltsam seine Persönlichkeit vernichtet, kommen die Umstände eines Jahrzehnte zurückliegenden Verbrechens ans Tageslicht („Small World“, 1997). Ein prominenter Wirtschaftsanwalt in der Midlife-Crisis lässt sich auf einen Trip mit halluzinogen Pilzen ein und wird in der Folge zum Zerstörer seines und anderer Leben („Die dunkle Seite des Mondes“, 2000). Ein distinguierter Kunstexperte, der mit der Liebe längst abgeschlossen zu haben glaubt, bewahrt eine verlebte Schöne vor dem Selbstmord und wird zur Schlüsselfigur einer dreisten Gemäldefälschung („Der letzte Weynfeldt“, 2008). Diese und weitere Romane des Schweizer Autors Martin Suter, allesamt bei Diogenes erschienen, fesseln die geneigte Leserin von der ersten bis zur letzten Seite. Die Texte betreiben eine subtile Kritik wohlgeordneter Bürgerlichkeit, hinter deren gleißender Fassade die Katastrophe lauert.
Martin Suter kommt über Umwege zur Literatur. Geboren 1948 in Zürich, macht er in seiner Heimatstadt zunächst Karriere als Werbetexter. Zu Beginn der 1990er Jahre unternimmt er erste Schritte auf dem literarischen Parkett; die Kolumne „Business Class“, erschienen in der Weltwoche, nimmt mit boshaft-satirischem Blick die Konkurrenzkämpfe aufstrebender Manager aufs Korn, die Serie „Richtig leben mit Geri Weibel“ des NZZ Folio widmet sich voller Ironie der trendbewussten urbanen Bohème und ihren wechselnden Ins und Outs. Sein erster Roman wird auf Anhieb ein internationaler Erfolg, die weiteren Titel werden ebenfalls lobend besprochen und viel gelesen. Ihnen allen ist eine atemlose Handlung zu eigen, die zwischen Krimi und Psychothriller changiert. Martin Suter, der auch als Drehbuchautor arbeitet, lebt mit seiner Familie abwechselnd in Guatemala, auf Ibiza und in Zürich.
Suters Handschrift ist ihre Abkunft vom werblichen Texten anzumerken. Seine Erzählungen sind diszipliniert, die effektiven Sätze enthalten kein Wort zuviel, die Dialoge sind scharf und temporeich. Die Plots sind raffiniert konstruiert und werden mit wachsender Spannung vorangetrieben, um in einer überraschenden Pointe zu kulminieren. Einzig seine Personenzeichnung ist distanziert und kühl, mit keinem seiner Helden wird die Leserin so richtig warm. Oft entsteht der Eindruck, als betrachte Suter sein Personal so nüchtern wie der Forscher eine Pilzkultur unter dem Mikroskop. Unbestritten virtuos hingegen sind seine Naturschilderungen: „Der Wind, der den ganzen Nachmittag die Wolken über das Tal gejagt hatte, wuchs in der Nacht zu einem Sturm heran. In zornigen Böen tobte er durch das Dorf, riß die Geranienblüten von ihren Stengeln und fegte sie in bunten Haufen in den Ecken und Mauervorsprüngen der Dorfstraße zusammen. Er zerrte an der Fontäne des Dorfbrunnens und brachte die Kirchenglocken zu ein paar gespenstischen Schlägen.“
Für seine Milieuschilderungen, ob es der Alltag einer Redaktion ist, die diskrete Praxis eines Auktionshauses oder der Literaturbetrieb, recherchiert Suter im Vorfeld stets sorgfältig. Als Hintergrundfolie dient ihm dabei die hermetische Welt der Hochfinanz und des Schweizer Geldadels. Diese Referenz, und leider auch sein konservatives Geschlechterbild, verleihen seinen Texten mitunter das Flair eines gehobenen Arztromans. Die treibende Kraft seiner Helden ist der Kampf um Anerkennung und sozialen Erfolg, ein Ziel, das kaum überraschend mit dem Besitz von viel Geld einhergeht. Erst im Scheitern werden sie menschlich und bekommen Kontur, eine Moral, die geeignet ist, die Leserin milde zu stimmen. Hervorzuheben ist der internationale Gestus, der sich wohltuend abhebt von der mitunter manischen Selbstbezüglichkeit früherer Generationen von Schweizer Literaten. So wird der Name der Stadt, in der die Romane angesiedelt sind, nämlich Zürich, nie genannt. Unterm Strich liefern Suters Romane anspruchsvolle Unterhaltung gepaart mit einem unbestechlichen Blick auf die Schattenseiten menschlichen Handelns, auf Neid, Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Und das wird ja immer wieder gern goutiert, erst recht, wenn das Grauen von leichter Hand serviert wird wie von Martin Suter.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 13. Oktober 2008 - 00:04
Tags: martin_suter
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Warum bringt ihr nicht auch ein Foto des Autors oder ein Buchcover? Warum wird diese tolle Rezension nicht etwas bunter präsentiert?