Pius XII. beredtes Schweigen
Seit 1996 gedenkt die Bundesrepublik Deutschland jeweils am 27. Januar den Opfern des Nationalsozialismus; an jenem Tag im Jahre 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Die Mahnung des Bundespräsidenten, die Verbrechen der Nazis nie zu vergessen, ist Teil der deutschen Staatsräson. Keineswegs einhellig beurteilt wird die Rolle der katholischen Kirche während des Holocausts, speziell das Lavieren des Papstes. In seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ von 1963 warf der Dramatiker Rolf Hochhuth Pius XII. posthum vor, zum Holocaust geschwiegen zu haben. Etliche Überlebende der Shoah hingegen dankten Pius XII. für sein Bemühen bei der Rettung zahlreicher Juden. Anlässlich des 70. Jahrestages der Wahl Eugenio Pacellis zum Papst hat das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften eine Ausstellung konzipiert, die sein diplomatisches, theologisches und politisches Wirken präsentiert und dabei auf bislang gesperrte vatikanische Akten zurückgreifen kann. Noch bis zum 7. März ist die Ausstellung im Schloss Charlottenburg zu sehen.
Eugenio Pacelli wird 1876 in Rom geboren. 1899 wird er zum Priester geweiht, sein Studium der Theologie schließt er 1901 als Dr. theol. ab, im Jahr darauf promoviert er zusätzlich zum Dr. jur. Von 1909 bis 1914 ist er Professor an der Päpstlichen Diplomatenakademie in Rom, 1917 wird er von Benedikt XV. zum Bischof geweiht. Er wird päpstlicher Nuntius in Deutschland, zunächst in München, ab 1920 in Berlin, wo er die Konkordate zwischen dem Vatikan und den deutschen Ländern Bayern sowie Preußen aushandelt. Nach seiner Ernennung zum Kardinal 1929 kehrt er zurück in die römische Kurie und wird enger Mitarbeiter Pius XI. Am 2. März 1939, seinem Geburtstag, wird Pacelli zum Papst gewählt. In seiner kurz nach dem Ausbruch des 2. Weltkriegs veröffentlichten Enzyklika „Summi pontificatus“ wendet er sich gegen Rassismus und den Herrschaftsanspruch von Diktaturen. In seiner Radioansprache zu Weihnachten 1943 unterstützt er die Opfer des Naziterrors und ruft zum Frieden auf. 1950 verkündet er das Dogma der Aufnahme Marias mit Leib und Seele den Himmel. Pius XII. stirbt 1958 in Castel Gandolfo, seine letzte Ruhe findet er in der Krypta des Petersdoms.
Die Ausstellung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg rekonstruiert Pacellis Leben chronologisch wie thematisch. Seine Diplomatenjahre, sein Einsatz während der Bombardierung Roms und seine theologische Strahlkraft werden auf Tafeln mit Fotos und langen Texten nachgezeichnet. Soweit das bei dem exponierten Amt möglich ist, werden Einblicke in sein Privatleben geboten: so ist eine Schreibmaschine zu sehen, auf der Pius XII. seine Reden verfasste, ein kostbarer Reisewecker ist ebenso zu bewundern wie der Siegelring des Pontifex. In Vitrinen werden prachtvolle Mess- und Repräsentationsgewänder gezeigt, über 50 Jahre nach dem Pontifikat in bemerkenswert gutem Zustand. Ein besonderes Exponat ist die Tiara, die Papstkrone, die erstmals nördlich der Alpen ausgestellt ist. Originale Briefe, Telegramme und Erlasse runden das Bild eines exakten Arbeitslebens ab. Gezeigt werden auch einige Porträtbilder Pius XII., die wegen des missratenen Lichtkonzeptes der Räume nur schlecht zu betrachten sind. Anrührend schließlich ist eine Grußadresse des Groß-Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter aus dem Jahre 1949 an den Papst, in der er die Umbenennung einer Dahlemer Straße in Pacelliallee ankündigt.
Die bohrende Frage nach dem Versagen des Papstes durch sein Schweigen während des Holocausts ist durch die Ausstellung nicht restlos zu beantworten. Schon früh hat er in den Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus politische Religionen mit hoher antiklerikaler Wucht gesehen. Nach den Lateranverträgen mit dem faschistischen Italien von 1929 hat der Vatikan seine Linie strikter Neutralität in politischen Fragen aufrechterhalten. Das letztlich fruchtlose diplomatische Wirken während des 1. Weltkriegs liess den politischen Einfluss ohnehin gering erscheinen - Priorität hatte die Aufrechterhaltung des katholischen Lebens in den (Krieg führenden) Diktaturen. Das Fehlen einer klaren Positionierung hat den Papst indes nicht davon abgehalten, Tausende Juden in den Palästen des Vatikans zu verstecken. Auch ergingen geheime Anweisungen an das deutsche Episkopat, wo immer es möglich sei, Juden beizustehen und ihnen zur Flucht zu verhelfen. Das mutige Eintreten deutscher Geistlicher gegen den Terror wie Bernhard Lichtenberg, Dietrich Bonhoeffer (beide wurden deswegen von den Nazis hingerichtet) und Clemens von Galen findet in der Ausstellung leider keine Erwähnung.
Hochhuths Unterstellung, ein flammendes Wort des Papstes gegen die hochtourig laufende Vernichtungsindustrie hätte diese stoppen können, ist reichlich naiv; es scheint gar die Sehnsucht mitzuschwingen, die ungeheure deutsche Schuld am Holocaust „aufzuteilen“. Diese holzschnittartige Perspektive verstellt den Blick auf das, was an konkretem Handeln während des Krieges möglich war. Der Begriff Schuld hat nach Karl Jaspers eine juristische, eine politische, eine moralische und eine metaphysische Dimension. Pius XII. wässrige Diktion mag taktisch bedingt gewesen sein, sicher kann man sie moralisch beklagen. Die Berliner Ausstellung unternimmt den Versuch, das Handeln des Papstes über seine Entwicklung, seinen Charakter und sein Amtsverständnis zu vermitteln. Vor allem weist sie deutlich über 1945 hinaus und zeichnet das differenzierte Bild eines Papstes während des Kalten Krieges, der die katholische Kirche global in Demokratien wie Diktaturen repräsentiert – „mit Christus oder gegen Christus“ lautet die Alternative. Wer schweigt, stimmt zu?
Opus Justitiae Pax – Die Papstausstellung
Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel
Spandauer Damm 10-22
14059 Berlin
Telefon (030) 32 09 11
Ausstellung bis zum 07. März 2009
Mittwoch bis Montag von 10:00 bis 17:00 Uhr
Eintritt 5,- €, ermäßigt 3,- €
Katalog 24,90 €
www.papstpiusXII.de
Andrea Bronstering - Gastautoren, Geschichte - 30. Januar 2009 - 00:12
Tags: charlottenburg/papst_pius_xii/schloss_charlottenburg
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