Lesetipp VI: Tausend und ein Weiß
Der Winter in Berlin ist lang, kalt und fahl. Nach Weihnachten und Neujahr bricht die Zeit mitleidloser Starre an, nicht länger gemildert durch die leuchtende Vorfreude auf das Fest und den Jahreswechsel. Wenn es dann aber schneit, verändern sich binnen Stunden Klang, Gesicht und Duft der Stadt. Der weiße Puder legt sich wattegleich auf Straßen und Trottoirs, auf kahle Wipfel nackter Bäume und auf Firste dunkler Häuser. Er dämpft das Rauschen des Verkehrs und der Menschen Stimmen mit ihren fröstelnd hochgezogenen Schultern; wie ein frisches Laken bedeckt er zugefrorene Seen, märchenhaft und friedlich. Doch hält die unschuldige Pracht nicht lang: Autogase und Streusalz, Hundedreck und Stiefelsohlen kreieren einen krustigen Teig, das zarte Weiß des ersten Augenblicks wird vermengt mit groben Spritzern aus Beige und Grau, Blei und Sand, Müll und Kot. Winter in der Großstadt – diese Assoziation klingt immer wieder auf beim Betrachten der Bilder des dänischen Malers Vilhelm Hammershoi. Ein im Jahr 2008 bei Hatje Cantz in Ostfildern erschienener Bildband erlaubt es, diesen Grenzgänger der europäischen Malerei zu entdecken.
Vilhelm Hammershoi wird 1864 als zweiter Sohn einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie in Kopenhagen geboren. Von 1879 bis 1884 studiert er an der Kunstakademie seiner Heimatstadt, in diesen Jahren entstehen seine ersten Gemälde. Die Kunstakademie lehnt es zunächst ab, seine Bilder auszustellen; auf der Pariser Weltausstellung von 1889 ist Hammershoi hingegen mit vier Werken vertreten. 1891 heiratet er Ida Ilsted und reist mit ihr nach Frankreich. Weitere Reisen führen die beiden in den kommenden Jahren nach Amsterdam, Berlin, München, Verona, Rom und immer wieder nach London. 1898 zieht das Ehepaar in die Strandgade 30 im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn, wo die legendären Interieurbilder entstehen. 1904 stellt Hammershoi in Düsseldorf und Berlin aus, der Dichter Rainer Maria Rilke wird auf ihn aufmerksam, der Galerist Paul Cassirer vertritt ihn auf dem Kunstmarkt. Hammershois Renommee wächst, seine Bilder werden in London und Kopenhagen, Florenz, Hamburg und New York gezeigt. 1910 wird er Ratsmitglied der Kunstakademie, 1916 stirbt er an Rachenkrebs.
Lässt man sein Frühwerk, in dem der Maler mit Farben, Formen und Motiven experimentiert, einmal beiseite, so fällt beim Gros seiner Gemälde die enorm verknappte Palette auf. Ähnlich der mittelalterlichen Grisaille-Malerei, verwendet Hammershoi vor allem Schwarz, Grau, Blau und Weiß; Tiefenwirkung erreicht er durch virtuose Schattenmodellierung zum einen, durch Anschneiden der Räume und Möbel zum anderen. Dabei ist seine 1001fache Variation der Nichtfarbe Weiß faszinierend; ihr Aufschimmern in den wie auch ihr Schlucken der anderen Farben des Spektrums verleihen Hammershois Gemälden eine „Poesie der Stille“, wie Felix Krämer, einer der Herausgeber des genannten Buches, schreibt. Der Farbauftrag ist eher flächig, die durchscheinende Leinwand rhythmisiert die Kompositionen. Das Bild „Tanz der Staubkörner“ von 1900 zeigt den Einfall der Sonne durch ein Fenster in ein leeres Zimmer, das Licht selbst wird plastisch durch die flirrenden Staubpartikel, die wie Streifen im Raum zu zittern scheinen. Ähnlich hypnotisch ist Hammershois Studie „Weiße Türen“ von 1905: die Betrachterin scheint in einem leeren Raum mit abgetretenen Dielen zu stehen, von dem zwei geöffnete Türen sie in angrenzende Räume blicken lassen. Ein Ende der Zimmerflucht ist nicht in Sicht, eine weitere halboffene Tür zieht den Blick wie magisch um die Ecke auf ein angedeutetes Fenster, durch das mattes Licht die Szene beleuchtet. Keine Spur von Behaglichkeit, bestenfalls minimaler Schutz vor den Unbilden des städtischen Draussen.
Als habe er sich in der Epoche geirrt, nimmt Hammershoi motivische und ästhetische Anleihen bei der niederländischen Interieurmalerei des 17. Jahrhunderts. Doch während Jan Vermeer, Pieter Janssens Elinga und Pieter de Hooch auf eine realistische Wiedergabe des Geschehens zielten und damit Quellen des bürgerlichen Lebens ihrer Zeit schufen, haben Hammershois Bilder etwas Unbelebtes und Abstraktes; die wenigen Personen, zumeist Frauen, wirken wie verlegene Skulpturen. Es triumphiert die bleiche Farbe über die Zeichnung, die Stimmung über die Erzählung. Das Bild „Interieur mit junger Frau in Rückenansicht“ von 1904 ist seltsam kulissenhaft arrangiert, weder Wort noch Blick oder Bewegung stören das gespenstische Stillleben. Es ist erstaunlich, wie konsequent Hammershoi die Arbeiten seiner malenden Zeitgenossen ignoriert, er lässt sich definitiv keiner Stilrichtung des beginnenden 20. Jahrhunderts zuordnen. Auf seinen Bildern hat er den einen Moment eingefangen, ihn in einen allgemeinen Raum gegossen. Bei längerem Betrachten der Gemälde bzw. der Reproduktionen lösen sich die Motive auf, es bleibt ein intensives Farbempfinden elementarer geometrischer Formen, das in Meditation übergeht. In diesem Sinne ist Hammershoi zeitlos, zeitlos gut.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 18. Februar 2009 - 00:04
Tags: vilhelm_hammershoi
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