Lesetipp VII: Hauptsache berühmt
Guter Geist ist sexy. Unter dieses Motto hat die US-amerikanische Autorin Susan Sontag ihr Leben und Werk gestellt. Behende zwischen den Welten der High Society, der Avantgarde und der Universität changierend, sich für den Film ebenso wie für die Literatur, das Theater und die Fotografie begeisternd, Kurzgeschichten, Rezensionen und Essays verfassend und immer wieder politisch provozierend – für Sontag mit ihrer enzyklopädischen Bildung, ihrem eklektizistischen Stil, ihrer Liebe zum klassischen Europa, ihrer unbändigen Energie und ihrer androgynen Schönheit scheint der Titel einer Star-Intellektuellen wie geschaffen: „Wenn ich zwischen The Doors und Dostojewski wählen müsste, entschiede ich mich – natürlich – für Dostojewski. Aber muss ich diese Entscheidung treffen?“ Die erste auf Deutsch verfasste Biographie Sontags erschien 2007 unter dem Titel „Geist und Glamour“ beim Berliner Aufbau-Verlag und geriet bei Kritik und Publikum zum großen Erfolg, Anfang dieses Jahres wurde die Taschenbuchausgabe des Buches verlegt.
Susan Lee Rosenblatt wird 1933 in New York geboren. Nach dem Tod ihres Vaters, eines Pelzhändlers, zieht die Familie 1938 nach Arizona; Susan nimmt den Namen des zweiten Ehemanns ihrer Mutter, Nathan Sontag, an. Das einzelgängerisch veranlagte Mädchen lernt mit drei Jahren lesen und verbringt Kindheit und Jugend weitgehend in Gesellschaft von Büchern. 1948, nach der Lektüre des „Zauberbergs“, besucht sie Thomas Mann in seinem Domizil in Kalifornien. Im Alter von 17 Jahren heiratet sie den jungen Soziologen Philip Rieff und hat mit ihm einen Sohn, David. Nach einem Intermezzo als Dozentin für Philosophie und nach ihrer Scheidung zieht Sontag 1959 nach New York. Schlagartig berühmt wird sie mit ihren „Anmerkungen zu ‚Camp’“ von 1964. Sie veröffentlicht Romane (Der Wohltäter, 1963; Todesstation, 1967), dreht Filme (Duet for Cannibals, 1969; Brother Carl, 1974) und schreibt nach ihrer Brustkrebserkrankung 1976 die Streitschrift „Krankheit als Metapher“. Mit der Aidskrise setzt sie sich mit ihrem Text „Aids und seine Metaphern“ (1989) auseinander. 1992 erlangt sie mit dem Roman „Der Liebhaber des Vulkans“ ihren ersten großen Publikumserfolg. 1993, mitten im Krieg im zerfallenden Jugoslawien, inszeniert sie in Sarajevo Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Im Jahre 2003 erhält Susan Sontag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ende 2004 stirbt sie an einem Rezidiv ihrer Krebserkrankung und wird in Paris beigesetzt.
Der Autor von „Geist und Glamour“, Daniel Schreiber, 1977 geboren und mittlerweile Redakteur des Kunstmagazins „Monopol“, hat neben den Texten Sontags auch zahlreiche Sekundärquellen für seine gründliche Arbeit herangezogen. Darüber hinaus konnte er u. a. mit Nadine Gordimer, David Rieff, Robert Wilson und Michael Krüger über Sontag sprechen und das Archiv ihres Verlags Farrar, Straus & Giroux in New York konsultieren. Herausgekommen ist eine chronologische Schilderung von Sontags Leben, wie es sich in ihrer Arbeit spiegelt, detailgetreu und lebendig erzählt. Dergestalt entsteht ein buntes Gemälde eines intellektuellen Milieus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Paris und New York, Ernst und Klatsch, Sternstunden und Alltag - Intellektualität als Beruf, vehementes Engagement als heiteres Happening, Prominenz als zirkuläre Ressource. Mitunter ermüdend sind die zahllosen Namen von Professoren, Malern, Autoren, Choreographen, Regisseuren, Tänzern, Komponisten, Mäzenen und auch Liebhaberinnen, die Schreiber immer wieder einstreut, wohl um Sontags Vernetzung in der akademisch-künstlerischen Sphäre zu unterstreichen. Mit leichter Hand referiert er die wechselnden Moden, Attitüden und Debatten dieser Szene im Lauf der Zeit, wobei etwas mehr Distanz zum Objekt seiner Beschreibung dem Buch sicher gut getan hätte.
Sehr instruktiv liest sich die Rekonstruktion der Strategie des Verlegers Roger Straus, für seinen aufstrebenden Schützling ein Maximum an Publicity zu generieren. So lanciert er in den 1960er Jahren Sontags Texte nicht nur in den Organen der linken Intelligenz wie „Partisan Review“, „Commentary“ oder „New York Times“, sondern auch in Publikumszeitschriften wie „Vogue“, „Harper’s“ oder „Mademoiselle“. Nicht nur zahlen diese Blätter besser, auch erreichen sie eine junge und vor allem weibliche Leserschaft, die über die etablierten akademischen Kreise hinaus weist. Sontag pflegt das Image eines „intellektuellen It-Girls“, das bestens korrespondiert mit ihrer Auffassung von Öffentlichkeit, die lässig die Grenzen von hoher E- und niedriger U-Kultur ignoriert – ganz im Sinne ihrer noch heute frischen „Anmerkungen zu ‚Camp’“: „Camp sieht alles in Anführungsstrichen: nicht eine Lampe, sondern eine ‚Lampe’; nicht eine Frau, sondern eine ‚Frau’. Camp in Personen oder Sachen wahrnehmen heißt die Existenz als das Spielen einer Rolle zu begreifen.“ Camp als „Betrachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt des Stils“ hat zudem in Zeiten sexueller Prüderie die Funktion eines Codes unter Eingeweihten, nämlich den Homosexuellen, besessen. Zeit ihres Lebens hat Sontag sich geweigert, als Rollenmodell einer erfolgreichen Lesbe zu dienen, zu ihrer langjährigen Partnerin, der Fotografin Annie Leibovitz hat sie sich nie öffentlich bekannt. Diese Zurückhaltung im Privaten verleiht ihr einen altmodischen Nimbus; sie steht für eine Zeit, die ihre Phantasien noch nicht hemmungslos im nachmittäglichen Trash-TV und auf Facebook ausbreitete. Sontags Analysen der bespöttelten Massenkultur kommen zärtlich daher, ihre Originalität besteht in der prinzipiellen Gleichbehandlung akademischer wie populärer Quellen. Eine Haltung, die heute im uferlosen Fluss der Daten so wohlfeil wie beliebig ist. Willkommen in der Postmoderne.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 10. August 2009 - 00:02
Tags: susan_sontag
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: