Bester Grund für Rom
Die Feststellung, dass alle Wege nach Rom führen, ist wohlfeil. Viel interessanter ist die Frage nach Gründen, gerade jetzt in die Città Eterna zu reisen. Manch einer ist einfach des cisalpinen Winters samt Eis und Schneematsch überdrüssig und fliegt dem ersehnten Frühling entgegen. Die solventen Modeopfer flanieren bereits auf der Via Condotti und decken sich in Erwartung der Freiluftsaison mit den letzten Trophäen von Armani, Prada und Gucci ein. Die humanistisch Gebildeten wandeln auf dem noch nicht rettungslos überlaufenen Forum Romanum auf den Spuren Trajans, Augustus’ und Konstantins, und für Christen aus allen Himmelsrichtungen hat das Epizentrum des Katholizismus speziell in der anbrechenden Fastenzeit Konjunktur. Die Kunstliebhabenden kommen noch in diesem Monat auf ihre Kosten: anlässlich der 400. Wiederkehr des Todes Caravaggios zeigt der Quirinalspalast ab dem 20. Februar eine opulente Ausstellung zu Ehren des verstoßenen Adoptivsohns (www.scuderiequirinale.it). Zur Schau reisen legendäre Bilder Caravaggios an den Tiber: aus Florenz kommt der „Bacchus“, aus London das „Gastmahl von Emmaus“, aus St. Petersburg der „Lautenspieler“, New York schickt die „Musikanten“, Wien die „Dornenkrönung“ und Berlin den „Amor“. Dabei hat Rom auch im Alltag die höchste Caravaggio-Dichte weltweit; knapp ein Viertel der rund 100 erhaltenen Gemälde hängt dauerhaft in römischen Sammlungen.
Michelangelo Merisi (1571-1610), besser bekannt unter dem Namen seines Geburtsortes Caravaggio in der Lombardei, kommt nach einer Ausbildung zum Maler im Jahre 1593 nach Rom, wo die Kurie im Gefolge des Konzils von Trient zahlreiche Aufträge an Maler, Bildhauer und Architekten vergibt. Sie sollen die zentralen Kirchen, Plätze und Paläste der Ewigen Stadt mit Gemälden, Fresken und Skulpturen religiöser Sujets schmücken, um Kraft und Entschlossenheit der katholischen Gegenreformation auch visuell zu dokumentieren. Schon bald nach seiner Ankunft wird der aus proletarischen Verhältnissen stammende Caravaggio von mehreren Kardinälen gefördert und mit fürstlich entlohnten Aufträgen bedacht. Binnen weniger Jahre wird er zum gefragtesten Maler Roms und zu einem der einflussreichsten Künstler des beginnenden Barock. Sei dramatischer Realismus und seine effektvolle Hell/Dunkel-Technik werden stilbildend bis nach Frankreich, Spanien und die Niederlande. 1606 tötet er bei einem Ballspiel einen Mann und verlässt überstürzt die Stadt. Über Neapel gelangt er nach Malta, wo er in den Malteser Orden aufgenommen wird. Nach Streitigkeiten mit Ordensrittern muss er erneut fliehen und kommt nach Sizilien. 1610 macht er sich per Schiff nach Rom auf, in der Hoffnung, vom Papst begnadigt zu werden. Kaum an Land, wird er überfallen und ausgeraubt, er stirbt wenige Tage später an Entkräftung und Auszehrung.
Ein unabweisbares Zeichen des Großen in der Malerei ist der Eindruck des bisher nicht Dagewesenen. Caravaggio bedient sich thematisch des akzeptierten Kanons seiner Zeit und malt lebhafte Szenen aus dem Kreis der Bibel und der antiken Mythologie. Ganz anders aber als Raffael, Michelangelo und weitere Meister der Renaissance profaniert er die sakralen Themen in unerhörter Weise: sein erster, von der Zensur verworfener „Matthäus“ (1945 beim Angriff auf Berlin zerstört) hat derbe Gesichtszüge, schütteres Haupthaar und schmutzige Fußnägel; sein nackter „Amor“ macht die Betrachtenden mit einem lasziven Lächeln unverhohlen an; seine „Maria Magdalena“ ist eine sinnliche Frau; ein „Johannes“ zeigt einen Pubertierenden, der den Betrachter versonnen musternd, der Täufer wird nicht als abgezehrt und entrückt dargestellt, sondern als ein attraktiver Körper in einladender Haltung. Caravaggio ist der erste Maler der Kunstgeschichte, der hinter den sattsam bekannten Figuren aus Bibel und Mythologie die Individualität und Leiblichkeit eines konkreten Menschen durchschimmern lässt; er wählt seine Modelle aus dem Volk, er findet sie in den Kneipen und Bordellen der Stadt, mit großer Virtuosität verschmilzt er seine Gegenwart mit der Überzeitlichkeit seiner Darstellungen. Das Ergebnis ist eine mit Händen zu greifende Lebendigkeit der Szenen, die schon früh mit Standfotos aus Filmen verglichen wurden.
Dieser theatralische Effekt wird erreicht durch eine meisterhafte, oft kopierte Lichtführung, die den gemalten Vorgängen eine untergründige Bewegung verleiht. Ein in diesem Sinne vollkommenes Gemälde ist „Die Berufung des Evangelisten Matthäus“ in der Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi in Rom. Jesus, in testamentarischem Gewand neben Petrus, steht im Profil am rechten Rand des Bildes. Sein Blick und seine erhobene rechte Hand ziehen eine Diagonale zum linken Bildrand, wo Matthäus in barocker Kleidung am Tisch beim Geldzählen sitzt. Parallel zu dieser Diagonalen ergießt sich Licht auf die mit am Tisch Sitzenden, ohne dass seine Quelle klar wäre. Die Tageszeit ist ebenso wenig bestimmbar, wie der Standort des Tisches, drinnen oder draußen. Die Gesichter der Sitzenden, in unterschiedlichen Graden Jesu zugewandt, leuchten im Restschatten wie auf einer Bühne, Christi Gloriole wird vom Lichtstrahl beinahe überblendet. Über der Begegnung liegt ein „fast schon exhibitionistischer Naturalismus“ (Arnold Stadler) – kann ein „Folge mir nach!“ so trivial aussehen? Caravaggios singuläre wie bleibende Kunst besteht darin, irdisches Leben und himmlische Verheißung zu verzahnen. In Rom gibt es ganzjährig die Gelegenheit, diese Fähigkeit an seinen Gemälden zu studieren. Wer es in diesem Frühjahr nicht zur großen Jubiläumsschau schafft, kann sich auf märkischem Sand Caravaggios Kunst hingeben: die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zu Potsdam beherbergt seinen „Ungläubigen Thomas“.
Die Literatur zu Caravaggio ist in den letzten zehn Jahren merklich angeschwollen. Folgende Titel bieten eine gute Einführung in sein Werk und dessen Wirkung und diskutieren aktuelle Fragen der Forschung:
- Jennifer Blunden (Hg.): Darkness & Light. Caravaggio and his world, Melbourne 2003 (Art Gallery of New South Wales)
- Beverly Louise Brown (Hg.): Die Geburt des Barock, Stuttgart 2001 (Belser)
- Silvia Cassani/Maria Sapio (Hg.): Caravaggio. The Final Years, Neapel 2005 (Electa Napoli)
- Jürgen Harten/Jean-Hubert Martin (Hg.): Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung, Ostfildern 2006 (Hatje Cantz)
- Dirk Zimmermann (Hg.): Rembrandt-Caravaggio, Stuttgart 2006 (Belser)
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 09. Februar 2010 - 23:15
Tags: caravaggio/kunstgeschichte/malerei/merisi/rom
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