Alltägliche Augenblicke
Sonntag
Ein paarmal im Jahr ist der Supermarkt auch am Sonntag ab mittags geöffnet. Einige der festen Angestellten arbeiten gern an solchen Tagen, weil es dann wenigstens eine Zulage gibt. Nachmittags ist es recht voll im Laden. Sind es die 10 % Rabatt auf alles (auch Tiernahrung), mit denen der Laden die Kunden lockt, oder haben die Leute am Sonntagnachmittag wirklich nichts Besseres zu tun?
Montag
Die Fensterbretter ihrer Wohnung sind voller Topfpflanzen. Nach vorn zur Straße hin war das schon immer so, nach hinten ist es erst später so geworden. Die Pflanzen nach vorn dienen als Gardine, die nach hinten sind einfach nur Schmuck. So gibt es auf beiden Seiten der Wohnung einen kleinen grünen Wall, der gelegentlich mal unterbrochen wird von einer orangenen, blauen, gelben oder weißen Blüte.
Dienstag
Es ist eine Raucherkneipe, ganz in der Nähe.
Öfters sind nur zwei, drei Gäste drin, aber bei anderen Gelegenheiten
kann es voll sein, also zehn und mehr. Praktisch alle sind Stammgäste;
selten verirrt sich jemand anderes herein, um Zigaretten zu kaufen.
Manche Gäste kommen so gut wie jeden Tag und bleiben dann mehrere
Stunden, bis sie ziemlich betrunken sind und schließlich mit ihren
Einkäufen nach Hause wanken. Einige Kunden machen ihre Einkehr davon
abhängig, wer gerade hinter dem Tresen steht.
Mittwoch
Sie
möchte sich als Komparsin beim Film verdingen. Dazu muß sie erst einmal
selbstgemachte Fotos an die Agentur schicken, Portraits und
Ganzkörperfotos, und das auch noch mit verschiedenen Frisuren und
Gesichtsausdrücken sowie einem Querschnitt aus dem Kleiderschrank,
möglichst einschließlich eleganter Abendkleidung und flippigen
Klamotten. Als das endlich geschafft ist, gibt es ein neues Problem: Die
Fotos haben viel zuviel KB, und der Provider will sie nur einzeln
verschicken. Aber das wird sie vielleicht auch noch schaffen.
Donnerstag
Das
Zimmer ist ziemlich groß, bestimmt fünf auf vier Meter. Die wenigen
Möbel stehen alle längs der Wand: ein Bett, ein kleiner Schreibtisch mit
Stuhl, ein Bücherregal und eine Kommode. In der Mitte ist also jede
Menge Platz. Diese gesamte Freifläche ist bedeckt mit Spielsachen aus
Plastik oder Holz, aufgebaut oder in Beuteln verpackt. Was dieses Chaos
wohl bedeutet?
Freitag
Die beiden Freunde sind schon
über 40 Jahre hier. Alle ihre Bekannten haben nach und nach das Fasten
aufgegeben, daher sehen auch sie keinen Sinn mehr darin und lassen sich
Brot und Käse schmecken und trinken auch noch Rotwein dazu, obwohl die
Sonne erst in ein paar Stunden untergegangen sein wird. Als aber neulich
der eine von ihnen eine junge Türkin mit traditionell fest umgelegtem
Kopftuch, bauchfreiem T-Shirt und auf der Hüfte sitzenden Jeans, die
ihren roten String erkennen ließen, auf der Straße sah, ergriff ihn ein
heiliger Zorn, und er stellte sie empört zur Rede.
Sonnabend
Sie
kannten sich schon lange und mochten einander, hatten aber noch nie
zusammen gekocht. Da schlug sie ihm vor, doch mal tantrisch zu kochen,
und nachdem er endlich von ihr überzeugt worden war, schworen sie beim
Kochbuch ihrer Großmutter, das gemeinsam hergestellte Mahl nicht
anzurühren; sein bloßer Anblick und Duft sollte genug sein, um ihre
Bedürfnisse aufs schönste zu befriedigen. Als das fertige Gericht dann
auf dem Tisch stand, passierte das Unfaßbare: Sie rissen Teller und
Besteck heraus und stürzten sich auf das Essen und lachten auch noch
dabei, als sie es sich schmecken ließen.
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Menschen im Kiez - 27. August 2010 - 00:02
Tags: alltag/erlebnisse/kiez
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