Tod, wo ist Dein Sieg?
Alwin Bauer ist tot. Die erste Reaktion: Schweigen. Dann Fassungslosigkeit, schließlich Herantasten. Wann ist es denn passiert? Wie lange weißt Du es schon? Kanntest Du ihn näher? Ist er bereits beerdigt worden? Diese Fragen, die auf konkrete Antworten zielen, dienen instinktiv dazu, die eigene Sprachlosigkeit im Angesicht des Todes eines Menschen nicht weiter wuchern zu lassen. Wie ungenau man doch die Menschen kennt, die man über Jahre trifft, manchmal im Wochenrhythmus. Was weiß man schon von der Verzweiflung, die hinter einer frischen Fassade der Aktivität, des Engagements, der Herzlichkeit wohnt. Sein Fehlen drückt, je länger es wähnt.
Wie es ihm nun geht, bleibt den Lebenden verborgen. Wie es ihnen geht mit seinem Tod, ist Gegenstand stockender Gespräche, wird offenbar in Tränen, im Schweigen, im Vermessen der Leere. Seine Schüler, die Mitglieder des Orchesters, die Gäste im Kiezcafé, die Nachbarn, nicht zuletzt die Freundin, sind individuell getroffen, stellen sich mutmaßlich die Frage nach dem „Warum“ und merken grausam, wie schwer die Sprache sich tut im Versuch, dem Rätsel des Sterbens und des Todes zu begegnen. Sie kann allenfalls die Grenze beschreiben, ab der sie nichts mehr zu sagen hat. Und doch ist es wichtig, dem Kummer, der Trauer, der Angst eine Stimme zu geben, um diese existentiellen Gefühle zu integrieren in das Weiterleben. Keine leichte Aufgabe, lösbar vielleicht in hoher Zeit.
Was bleibt von einem Menschen, der sich mit seiner Passion der Musik für den Kiez und die hier lebenden Menschen eingesetzt hat? Ganz sicher die Gewissheit über die Einmaligkeit eines/einer jeden; möglicherweise die Eigenmahnung, häufiger nach links und rechts zu blicken und nicht nur an sich selbst zu denken; vielleicht auch der Glaube, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Hoffentlich ein Gefühl des Dankes für die schönen Stunden, die er vielen Menschen mit seiner Musik geschenkt hat. Und eventuell die Pietät, die Händel und Intrigen in der Schlangengrube Klausenerplatz-Kiez nicht vor der Zeit wieder aufzunehmen. Unumgänglich das Sich-Stellen dem Verlust, das Mit-Teilen der Not, so unbeholfen das auch geschehen mag. Er hat seinen Schmerz gestillt, die Lebenden tragen ihn im Zeichen des Abschieds.
In der Philharmonie beispielsweise, wo sich über die Jahre hinweg die zahllosen gespielten Töne im Raum abgelagert und ihn mit einer akustischen Patina überzogen haben, kann man fast jeden Abend den magischen Moment am Ende eines Konzerts erleben, wenn der letzte Ton der Sinfonie verklungen ist und - Stille sich ausbreitet. Bleibt nur inständig zu hoffen, dass das Publikum diszipliniert ist und nicht gleich ungehemmt losklatscht und mit seiner Begeisterung den Nachhall der Musik verdrängt. Genaues Hinhören lehrt: Es ist die Stille, in der die Musik sich erst entfalten kann. Es ist die Abwesenheit, die die Konturen eines Menschen scharf zeichnet. Es ist der Tod, der die große Erinnerung an das Leben ist. Möge dem Kiez und seinen BewohnerInnen dieser Moment nach seinem Tod lange erhalten bleiben.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Menschen im Kiez - 16. September 2010 - 00:04
Tags: alwin_bauer/dirigent/kiezorchester/nachruf
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