Zahlende Claqueure
Ende September beginnt die nächste Volleyballsaison, und ein hier
ansässiger Verein wird erneut versuchen wollen, wieder die Nr. 1 in der
DVL zu werden.
Aber dazu ist Geld nötig, um entsprechende Spieler einzukaufen. Dafür
nutzt man Sponsoren, die in der Bundeshauptstadt u.a. aus den Reihen der
privaten Müllabfuhrunternehmen kommen (Hintergrund von deren
Sponsorentum sind ihre Bemühungen, ins Geschäft mit dem Hausmüll
einzusteigen, wobei es ja nicht schaden kann, die Hausmüllverursacher
auf seiner Seite zu haben). Auch der führende lokale Volleyballverein
hat solch einen, und um seine Einnahmen weiter zu steigern, hat er
kürzlich sogar seinen Namen an diesen Sponsor verkauft und heißt von
jetzt an Berlin Recycling Volleys.
Wichtig ist auch, vor großer Kulisse zu spielen, was Einnahmen und Wert
ebenfalls steigert. „Wir wollen auf den Zug der erfolgreichen
Hauptstadtklubs aufspringen, (damit) wir nicht abgehängt werden“,
erklärte der SCC-Manager Ende 2008. Da reicht die Sömmeringhalle, die
in den 60er Jahren einmal die größte Sporthalle Westberlins war, mit
ihrem Fassungsvermögen von 2600 Zuschauern nicht mehr aus, auch wenn sie
meist nicht einmal zur Hälfte gefüllt war.
Daher begann man seit Ende 2008 für einzelne Spiele in die Max
-Schmeling-Halle auszuweichen, wo im Unterring 4200 Sitzplätze zur
Verfügung stehen. Ab der bevorstehenden Saison werden nun alle
Heimspiele dort ausgetragen. Aber dafür braucht es dauerhaft die
entsprechende Zahl von Zuschauern, möglichst auch noch begeisterte. Wie
bekommt man die? Dazu der SCC-Trainer im Jahr 2009: „Es liegt an uns,
die Menschen in der Max -Schmeling-Halle mit unserem Spiel so zu
begeistern, daß sie auch in Zukunft gerne zu unseren Heimspielen
kommen.“
Begeisterte Zuschauer – das ist ein Problem, denn den Besuchern von
Volleyballspielen wird nachgesagt, daß sie ihrer Mannschaft bestenfalls
lauwarmen Beifall spenden für ihre Sprungaufgaben, Blocks und
Schmetterbälle. Daher konnte man schon in den vergangenen Jahren in der
Sömmeringhalle mit ihren eher beschränkten Möglichkeiten und
Besucherzahlen beobachten, wie die Veranstalter mithilfe eines Animateurs
bemüht waren, der Begeisterung der Zuschauer auf die Sprünge zu helfen.
Die neue Halle bietet dafür jedoch entschieden bessere Bedingungen:
erheblich mehr Menschen, sogar rundherum einschließlich der Stirnseiten,
wesentlich lautere Lautsprecher und zwei Videowände. Ein
Bundesligaheimspiel im Februar ließ erkennen, was jetzt alle paar Wochen
an gesteuerter Begeisterung zu erwarten sein wird:
Der Besucher wird von ohrenbetäubender Musik empfangen. Auf
jedem Sitz liegt das Werbeblatt einer Versicherung, auf Karton gedruckt
und vorgefalzt, das sich der Besucher zu einer fächerförmigen Klatsche
faltet, um sich damit während des Spiels auf die andere Hand zu hauen,
zusammen mit 4000 anderen im von der Musik vorgegebenen Rhythmus, was
zum Entzücken der Zuschauer einen infernalischen Lärm erzeugt. Außerdem
liegt für jeden Besucher das beliebte Spaßdekor Knicklicht
bereit, ein dünner Stab, der nach Abdunklung der Halle zum Leuchten
gebracht - und von vielen aufs Spielfeld geworfen und dort von Helfern
sogleich wieder
eingesammelt - wird. Und um die Bedeutung der ganzen Angelegenheit zu
unterstreichen, betreten die Spieler des hiesigen Vereins, jeweils mit
einem Auflaufkind an der Hand, das Spielfeld durch eine Ehrenpforte aus Baugerüstelementen.
Soweit die Aufheizphase der Zuschauer. Während des Spiels prasseln
ununterbrochen Anweisungen auf sie nieder, deren Umsetzung vor dem
Anpfiff auf den Videowänden erklärt wird, aber den meisten schon in Fleisch und Blut
übergegangen ist: Es ist für sie selbstverständlich, daß sie bei „mein
Block“ beide Arme in die Höhe recken und seitlich hin und her bewegen, wohingegen sie
bei „Hammer“ (gemeint sind Schmetterbälle) den rechten Ellenbogen
(Linkshänder umgekehrt) in die linke Handfläche legen und den so abgestützten
Unterarm ruckartig nach unten kippen. Bildlich unterstützt wird dieser
Vorgang auf der Videowand vom eigenen Vereinsabzeichen, das Buchstabe für Buchstabe das
Wort „Hammer“ zerschlägt - offenbar hat man sich nicht getraut, mit
einem Vereinsabzeichenhammer das jeweilige Gästevereinsabzeichen zu zerschlagen, was zumindest logischer wäre.
Weitere Anweisungen ans Publikum lauten „Put your hands up in the air“,
„Everybody clap your hands“ (im Rhythmus der Musik – individueller
Beifall ist damit so gut wie unmöglich und offenbar gar nicht vorgesehen) und
„Satzball Stand up“ - was dazu führen kann, daß bei erfolglosen
Satzbällen die Zuschauer mehrfach aufstehen und sich wieder setzen müssen, was allerdings
bereitwillig getan wird. Schließlich gehören zu den
Begeisterungsförderungsmitteln noch einige Takte aus dem populären Musikschatz: der Cancan aus Jacques
Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ und das Day-O aus Harry Belafontes
„Banana Boat Song“. In den Pausen werden die Zuschauer im Griff behalten durch laute
Musik, Werbung für die Versicherung mit der Klatsche und akrobatische
Vorführungen.
Es ist gelungen, aus sportlich interessierten Menschen begeisterte Fans
zu machen - ganz nach den Vorstellungen der Volleyballabteilung des
lokalen Sportvereins, die damit auch die Wünsche des Sponsors erfüllt.
Die Zuschauer nehmen einen weiten Weg in Kauf und bezahlen sogar dafür,
daß sie sich willig zum Gegenstand eines Begeisterungsspektakels machen
lassen, statt
nach eigenem Gutdünken und Dafürhalten begeistert zu sein: Volleyball
als perfektionierter, geschäftsfördernder Rummel, seine Zuschauer als zahlende Claqueure.
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, ZeitZeichen - 22. September 2011 - 00:02
Tags: berlin/charlottenburg/sport/volleyball
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Man könnte doch auch den Hausmüll selbst, über den man ja wohl ausreichend verfügt, austeilen zum “lärmenden Einsatz”. Ich denke da z.b. an leere Konservendosen usw.
Also: eine zusätzliche Verwendung in der Wiederverwendungs-/Recyclingkette.
Könnte dann vielleicht sogar noch ein entsprechend positiv besetztes Label (“Müll den Sport”?) dafür erhalten.