Zehn Jahre Baupolitik des SPD-Links-Senats und die Folgen
Forderungen an SPD und CDU
Dieser Tage finden in Berlin die Verhandlungen zwischen SPD und CDU zwecks Bildung einer Koalitionsregierung statt. Den beiden Parteien wird nahegelegt, dabei im Bereich Stadtentwicklung das Folgende zu berücksichtigen.
Nach 1990 stand es schlecht um die Finanzen von Berlin. Bis dahin war Westberlin aus Bonn bezuschußt worden, Ostberlin aus dem DDR-Staatshaushalt. Diese Zahlungen waren entfallen, die Schulden drückend, es mußten Auswege gefunden werden, um die Banken zu befriedigen.
Für den SPD-Links-Senat, seit 2001 im Amt, sah die Lösung im Bereich Stadtentwicklung folgendermaßen aus: Besonderes Gewicht wurde auf die Stadtplanung gelegt, also auf die Förderung von Baumaßnahmen mit großer Außenwirkung wie Potsdamer Platz, Stadtschloß oder MediaSpree, durch die man sich im internationalen Konkurrenzkampf um Touristen und die Ansiedlung von Verwaltungszentralen großer Konzerne oder politischer Institutionen einen Vorteil erwartete. Denn Erfolge auf diesen Gebieten bedeuten mehr Einnahmen von Gewerbe-, Mehrwert- und Einkommenssteuer und durch Schaffung von
Arbeitsplätzen geringere Sozialausgaben.
Auch die Wohnungspolitik des Senats war davon bestimmt, die Einnahmen zu steigern und die Ausgaben zu reduzieren, um die Schulden des Landes bei den Banken besser bedienen zu können. Naturgemäß konnten da nicht die Interessen der Mehrzahl der Bürger an bezahlbaren Wohnungen im Mittelpunkt stehen, hier ging es um Wegnehmen. Folgender drei Methoden bediente sich der SPD-Links-Senat dabei:
- Zum einen war es der Verkauf von kommunalen Wohnungsbeständen. 1990 gab es in Westberlin 236.000 Wohnungen im Besitz von Wohnungsbaugesellschaften, in Ostberlin 246.000, also insgesamt 482.000, was 28% aller Wohnungen der Stadt bedeutete. Davon wurden bis 2005 209.000 verkauft, davon von 2002 bis 2005, also in bloß drei Jahren, 120.000 vom SPD-Links-Senat. Dazu gehörte im Jahr 2004 die GSW mit allein 65.000 Wohnungen. 57% aller privatisierten Wohnungen gingen an Fonds und Verwerter, deren alleiniges Ziel die Verbesserung des Verkaufswertes zwecks raschen Weiterverkaufs ist. Man kann es auch so ausdrücken: Verwertung statt Verwaltung. Zu den mietpolitischen Folgen gehören Umwandlungsdruck, Mietsteigerungen und der Verlust von preiswerten Wohnungen.
Das genaue Gegenteil davon sind langfristige Substanzverbesserung und Stabilisierung der Bewohnerstruktur, was beides dämpfend auf die Mietenentwicklung einwirkt. Dies ist das Ziel der Wohnungsbaugenossenschaften, von denen es über 80 mit über 180.000 Wohnungen in Berlin gibt, die somit über mehr als 10% des Wohnbestandes der Stadt verfügen. Sie sind nicht profitorientiert, alle Gewinne müssen in der Genossenschaft bleiben für Modernisierungen, Rücklagen und Neubau. Dennoch gingen an sie nur 5% der verkauften kommunalen Wohnbestände.
- Das zweite Mittel, um an Geld für die Banken zu kommen, waren die verbliebenen sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die bis Ende der 80er Jahre der Gemeinnützigkeit verpflichtet waren (insofern waren sie mit den Wohnungsbaugenossenschaften vergleichbar). Gemeinnützigkeit bedeutete, daß ihr Geschäftszweck nicht war, Gewinne zu erwirtschaften, sondern die Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum zu versorgen, und Gewinne waren das Mittel dazu, indem sie für die Schaffung und den Erhalt preiswerten Wohnraums wieder investiert wurden. Besonders Finanzsenator Sarrazin (SPD) forcierte in den Jahren von 2002 bis 2009 die jetzt mögliche betriebswirtschaftliche Orientierung der Wohnungsbaugesellschaften, indem er sie dazu anhielt, die Mieten bis zur rechtlich
möglichen Obergrenze zu erhöhen, das Personal abzubauen und die Gewinne an das Land Berlin abzuführen.
- Bei der dritten Maßnahme zum Sparen im Bereich Wohnen handelt es sich um den sozialen Wohnungsbau. 2003 beschloß der SPD-Links-Senat, ihn auslaufen zu lassen und außerdem aus der sog. „Anschlußförderung“ auszusteigen.
Das Ziel des sozialen Wohnungsbaus war, die Schaffung preiswerten Wohnraums zu fördern, indem an Bauherren zinsgünstige staatliche Kredite vergeben wurden mit der Maßgabe, daß die Miete die tatsächlichen Kosten nicht übersteigen durfte – es handelte sich hier um die sog. „Mietpreisbindung“. Natürlich ging man davon aus, daß diese Kosten nicht zu einer Miete führten, die über der ortsüblichen Vergleichsmiete lag. Was gut gemeint war, wurde allerdings sehr teuer, denn die Förderbedingungen gaben den Bauherren wenig Anlaß, kostensparend zu bauen. Gefördert wurden alle „unrentierlichen Kosten" - also alle Ausgaben, auch wenn sie später nicht von der politisch festgelegten Sozialmiete gedeckt werden konnten. Besonders trugen zum Auseinanderklaffen von Kosten- und Sozialmiete die Kosten für Zins und Tilgung von zusätzlich bei Banken aufgenommene Kredite bei. Um dennoch den sozialen Anspruch einer bezahlbaren Miete zu sichern, wurde die Differenz zwischen Kostenmiete und Sozialmiete aus öffentlichen Fördertöpfen bezahlt. Diese staatliche Subventionierung der Mieten – oder genauer: der kreditgebenden Banken – betrug in der Regel 30 Jahre.
2003 beschloß der Senat 2003 also, diese staatliche Subventionierung der Kostenmieten, die aufgrund der beschriebenen Umstände meist höher als die Mieten vergleichbarer nichtgeförderter Wohnungen liegen, auslaufen zu lassen und so Haushaltsmittel einzusparen. Seitdem können die Vermieter von Sozialwohnungen die Mieten jederzeit und in einem Schritt bis zur vollen Kostenmiete anheben. So wurde im Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez im Frühjahr 2010 die Grundmiete von 5,33 €/m² auf bis zu 13,02 €/m² erhöht. Infolge dieser exorbitanten Mietsteigerung - die im freifinanzierten Wohnungsbau vollkommen undenkbar wäre - sah sich bislang etwa die Hälfte der Mieter dazu gezwungen, ihre Wohnungen zu kündigen und wegzuziehen.
Als der soziale Wohnungsbau zuende ging, gab es noch genug preiswerten Wohnraum, so daß die Lage auf dem Wohnungsmarkt relativ entspannt war. Aber im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat sich die Lage verschärft: Die Bevölkerung wuchs um 54.000 Einwohner. Weil jedoch immer weniger Menschen zusammen in einer Wohnung leben, nahm die Zahl der Haushalte sogar um 130.000 zu. Trotzdem wurde immer weniger gebaut, denn aufgrund der zunächst noch relativ niedrigen Mieten waren die Gewinnaussichten zu gering. Zuletzt waren es nur noch rund 3500 Wohnungen im Jahr, davon zwei Drittel Eigentumswohnungen. Folglich kam es, wie es kommen mußte: Baue ich nicht mehr, fördere ich nicht mehr, trifft mich zehn Jahre später die Keule der Wohnungsnot um so härter. Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft faßte auf der wohnungspolitischen Konferenz der Berliner Mietergemeinschaft mit dem Titel “Vorsicht Wohnungsnot“ im April 2011 den Sachverhalt folgendermaßen zusammen: 'Es wird immer schwerer, eine neue Bleibe zu finden. Vor zehn Jahren kamen noch 104 Wohnungen auf 100 Haushalte; jetzt sank dieser städtische Mittelwert auf 96.'
Mit der allmählich wachsenden Verknappung von Wohnraum begannen auch die Mieten zu steigen. Jetzt wurde es auch für Investoren interessant, Häuser aufzukaufen und sie dann bei günstiger Entwicklung der Preise im ganzen oder aufgeteilt in Eigentumswohnungen weiterzuverkaufen. Die fehlerhaften zehn Jahre Baupolitik des SPD-Links-Senats haben jetzt zu einer Situation geführt, die der Deutsche Mieterbund so beschreibt: „Die guten Wohnungen in guten Lagen können sich nur noch reiche Leute leisten“ – und, muß man hinzufügen, selbst diese Wohnungen sind knapp: Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf herrscht bereits Wohnungsnot, was sich daran zeigt, daß es nur noch 1,5% Kurzleerstand gibt.
Die guten Wohnungen in guten Lagen können sich also nur noch reiche Leute leisten – hieran anknüpfend soll in fünf Punkten dargestellt werden, was bewirkt, daß zunehmend eine soziale Umstrukturierung in den Städten stattfindet – auch „Gentrifizierung“ genannt. Gentrifizierung bedeutet die durch immobilienwirtschaftliche oder politische Programme bewirkte Verdrängung ärmerer Haushalte aus den zentralen Stadtvierteln an den Stadtrand. Diese Verdrängung mit der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft nach dem Kriterium Geldbesitz ist dabei kein zufälliger und ungewollter Nebeneffekt, sondern sie ist ein zentraler Bestandteil der Gentrifizierung, die zur Folge hat, daß Platz geschaffen wird für zahlungskräftigere Mieter. Und was die eben erwähnte Rolle der Politik dabei betrifft: Der SPD-geführte Senat kann sich nach zehn Jahren Regierung, in denen er in der beschriebenen Weise eine Wohnungsbaupolitik gegen die Interessen der 85% Mieter in Berlin betrieben hat, wohl kaum darauf hinausreden, die von ihm betriebene Förderung der Gentrifizierung sei keine Absicht, zumal auch wenn man auf das Lieblingsspielzeug sozialdemokratischer Bauperspektive schaut: das „Town House" – genau passend zum Zauberwort des Wohnungsbausektor, nämlich 'Eigentumsbildung' statt bezahlbarer Wohnraum für die übergroße Mehrzahl der Bevölkerung. In der Dolziger Straße in Friedrichshain werden solche Town Houses dieser Tage für 3480 €/m² angeboten.
Erstens: maximale Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Spielräume bei der Erhöhung von Bestandsmieten
Bei bestehenden Mietverhältnissen darf laut Gesetz der Vermieter alle drei Jahre die Miete um sage und schreibe 20% erhöhen, vorausgesetzt, daß er dabei die Obergrenze des Mietspiegels nicht überschreitet. Daran beteiligen sich im Moment gerade auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, wie der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, im Mietermagazin vom Oktober 2011 feststellt. In Klammern sei hier angemerkt, daß laut Tagesspiegel vom 16. August der SPD-Links-Senat in diesem Jahr die Vorstandsgehälter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften massiv erhöht hat, so daß sie weit über den Bezügen ihrer Kollegen in anderen Großstädten liegen. Man muß wohl davon ausgehen, daß das dazu benötigte Geld von den Mietern stammt.
So wenig sozial das geltende Mietrecht mit der Kappungsgrenze von 20 Prozent Mieterhöhung in drei Jahren auch ist, so stellt es doch immerhin eine Begrenzung dar. Selbst wenn deren Höhe etliche Mieter mit geringerem Einkommen zum Verlassen ihrer Wohnungen zwingt, langt das gewissen Interessierten keinesfalls, weil die Anzahl freiwerdender Wohnungen zu gering ist, um im großen Stil Neuvermietungen vorzunehmen, auf die gleich zu sprechen gekommen wird.
Auch aufgrund des bestehenden Kündigungsschutzes ist es nicht so einfach, die Bestandsmieter auf die Schnelle loszuwerden. Doch es gibt noch eine Möglichkeit, ihre Mieten beträchtlich zu steigern, und zwar unabhängig und zusätzlich zu den erwähnten Grundmietenerhöhungen: nämlich durch Modernisierungsmaßnahmen.
Zweitens: Modernisierung
11% der Modernisierungskosten dürfen jährlich – und das auf ewig – auf die Miete umgelegt werden. Was soll man aber modernisieren, wenn das Haus schon mal saniert wurde, wenn jedenfalls der Zustand nicht gerade uralt ist? Luxusmodernisierungen mit Marmorbädern und ähnlichem? Das wird schon gern mal von den sog. „Heuschrecken“ praktiziert, denn rechtlich gesehen ist Modernisierung nicht begrenzt. Es kommt nur darauf an, daß sie wertsteigernd ist. Und je teurer sie ist, desto höher ist nun einmal die Umlage auf die Mieten. Jedoch: Luxusmodernisierung in großem Umfang umzusetzen, ist etwas schwieriger, denn es könnte Unruhe im Viertel verursachen. Aber es gibt eine viel elegantere Möglichkeit: Umweltschutz! (An dieser Stelle soll es nur um die mögliche Rolle von ökologischen Argumenten für einen Stadtumbau gehen, der die Mieten weiter in die Höhe treibt und durch Verdrängung die sozialen Ungleichheiten verschärft.)
Energetische Sanierung ist nämlich ein zweischneidiges Schwert: Einerseits wird grundsätzlich kaum jemand etwas gegen Klimaschutz haben. Dann kommt jedoch das große Aber: Er kostet viel Geld und wird nach jetziger Rechtslage zu deutlichen Mieterhöhungen führen, z.B. 2 bis 3 € pro m², was in etwa eine Mieterhöhung um ein Drittel der bisherigen Miete bedeutet. Diese Umlage ist auch zulässig, wenn die Einsparungen bei den Heizkosten die Mieterhöhung bei weitem nicht ausgleichen. Entweder zahlen nun die bisherigen Mieter – die sogenannten Bestandsmieter – diesen Aufschlag Monat für Monat – und natürlich ebenso die zukünftigen gesetzlichen Mieterhöhungen darauf –, oder sie ziehen eben aus, und das vermutlich in beträchtlicher Zahl. Damit ist dann der Weg frei für Neuvermietungen an Besserverdienende, die es nach der Modernisierung in solch ein Viertel zieht. Etwas Besseres kann dem Vermieter, sei er nun eine Privatperson oder eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, überhaupt nicht passieren.
Drittens: Neuvermietungen, auch Angebotsmieten genannt
Bei Neuvermietung ist also der Weg frei: nämlich die Mieten massiv in die Höhe treiben zu können. Denn hier gibt es für den Vermieter überhaupt keine Grenzen mehr, wenn man einmal vom Wucherparagraphen im Wirtschaftsstrafgesetz absieht, der aber so gut wie nie angewendet wird. Der Mietspiegel jedenfalls bildet bei der Höhe der geforderten Miete gerade keine Obergrenze; andererseits jedoch treiben die hohen Neumieten in den folgenden Jahren, wenn sie mit in den Mietspiegel eingehen, die Obergrenzen dort in die Höhe und begünstigen somit höhere Mietsteigerungen auch bei den Bestandsmieten.
In Zahlen sieht das so aus: Das global agierende Makler-und Immobilien-Berater-Unternehmen Jones Lang LaSalle sieht in seinem aktuellen Halbjahresbericht zum Berliner Wohnungsmarkt vom September eine dramatische Steigerungen bei den Angebotsmieten: „Die höchsten Mieten wurden für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf festgestellt, mit einem Mittelwert von 8,55 € netto kalt, gefolgt von Mitte mit 8,25 €. Die größten Steigerungen gab es in Mitte (+10,7%), Friedrichshain-Kreuzberg (+9,5%) und Neukölln (+9%).“
Bei den genannten Bezirken handelt es sich um zentral gelegene Bezirke. Wie sehr sich die Lage dort schon zugespitzt hat, zeigt auch der Vergleich mit folgenden Zahlen aus der Berliner Zeitung vom 20. September: „Im Schnitt liegen (im 1. Halbjahr 2011) die angebotenen Wohnungsmieten in der Stadt bei 6,55 € je m². Damit liegen sie rund 6% über den Angebotsmieten zum vergleichbaren Zeitraum des vergangenen Jahres.“ Zwar fielen die größten Steigerungsraten in den Innenstadtbezirken an, doch nahezu alle anderen Bezirke sind ebenso betroffen – eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik ist dringend notwendig.
Viertens: Ferienwohnungen
Keiner weiß genau, wie viele Ferienwohnungen es in Berlin tatsächlich gibt; nach einer Studie der Berliner Mietergemeinschaft, veröffentlicht im Oktober, sind es zur Zeit wohl rund 12.000 mit 50.000 Betten. Aber jeder Tourist weiß, wie er eine mieten kann. Das ist gut für die Berlinbesucher und schlecht für die Bewohner, da diese Wohnungen dem Wohnungsmarkt entzogen sind. Darüber hinaus verändern sie dort, wo sie an touristischen Brennpunkten gehäuft auftreten, die Lebensbedingungen für die Bewohner; wir zitieren aus einer Zuschrift an die Mietergemeinschaft: „Es gibt eine vermehrte Fluktuation und dadurch nicht mehr das Gefühl eines Wohngebäudes. Es ist eben kein Wohnen, sondern es sind wechselnde Leute im Kurzurlaub, und das wirkt sich auch auf die noch verbliebenen Wohnungen beziehungsweise Nachbarn aus.“
Das Problem der Ferienwohnungen war lange Zeit kein Thema für den Senat, es sei denn, daß in ein und demselben Haus mehr als 12 Betten in Ferienwohnungen angeboten werden, weil das dann als „hotelähnliche Beherbergungsstätte“ gilt. Noch 2009 antwortete die Stadtentwicklungsverwaltung auf eine kleine Anfrage der CDU: „Der Senat sieht kaum Möglichkeiten, die Entwicklung durch Rechtsnormen zu kanalisieren.“ Einem Zweckentfremdungsverbot erteilt Senatorin Junge-Reyer (SPD) bis heute eine Absage. Sie verweist dabei auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes, das ein ähnliches Verbot kassiert hatte, weil nach Meinung des Gerichts in Berlin kein Wohnungsmangel mehr bestehe. Tatsächlich ist der Wohnungsmarkt in Berlin aber in viele Quartieren angespannt. Dabei müßte man nur den Wohnungsmarkt in Teilräume aufteilen und für die besonders betroffenen Stadtteile eine angespannte Wohnungssituation feststellen, um ein entsprechendes Zweckentfremdungsverbot auszusprechen. Immerhin ist laut Berliner Zeitung vom 22. Oktober jetzt erfreulicherweise erstmals der Bezirk Mitte gegen einen Fall von gehäuften Ferienwohnungen vorgegangen, hat eine Untersagung ausgesprochen und für den Fall der Mißachtung ein Zwangsgeld von 10.000 € festgesetzt.
Fünftens: Umwandlung in Eigentumswohnungen
Nicht nur durch steigende Mieten werden Bewohner vertrieben, sondern auch durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. In ganz Berlin steigen die Zahlen der Umwandlungen in Wohneigentum. Charlottenburg liegt dabei bereits seit Anfang 1980 an der Spitze. Andere Bezirke ziehen jetzt nach; auch hier rollt jetzt verschärft die Welle der Verkäufe und sogenannten Eigenbedarfskündigungen.
Ein Hauseigentümer kann jederzeit „Sondereigentum an einzelnen Wohnungen“ gem. § 8 Wohnungseigentumsgesetz entstehen lassen, indem er zum Grundbuchamt geht und sein Haus sozusagen „auf Vorrat“ aufteilt. Weder die Einbeziehung der Mieter noch deren Benachrichtigung ist dabei notwendig. Es handelt sich ja um eine rein grundbuchrechtliche Aktion. Kein Mieter erfährt davon, solange seine Mietwohnung nicht verkauft ist. Wenn dann wie jetzt hochspekulative Preise möglich sind, wird die Wohnung verkauft, ohne sie erst noch umwandeln zu müssen. Dies ist die Stunde der Profiteure und der möglichst schnellen Eigenbedarfskündigung durch solvente Käufer. Der Mieter hat zwar ein Vorkaufsrecht, aber die meisten können da nicht mithalten.
Erst nach der Mieterdemonstration vom 3. September, also zwei Wochen vor der Wahl im September 2011, hat der SPD-Links-Senat hier reagiert, indem eine alte Verordnung, die den Schutz der Mieter vor Eigenbedarfskündigungen von drei auf sieben Jahre verlängert, von vier auf sechs Bezirke ausgeweitet hat. Das war bitter notwendig, aber keine wohnungspolitische Großtat, denn andere Städte wie Hamburg sind längst weiter. Dort gilt die gesetzlich höchstzulässige Schutzfrist von zehn Jahren. Doch die von der SPD geführte Stadtentwicklungsverwaltung hatte wieder einmal Angst vor den Gerichten und machte lieber einen Schritt zu wenig als einen zu viel, denn es gibt noch ein weiteres Instrument, das in anderen Städten erprobt wird, nämlich den Genehmigungsvorbehalt bei Umwandlung in bestimmten Quartieren mit Wohnungsnot.
Die Verdrängungswirkung wird natürlich in erster Linie spürbar für Menschen mit besonders geringem Einkommen, wie die Hartz-IV-Umzugsstatistik in der Oktoberausgabe des Mietermagazins des Berliner Mietervereins zeigt; dort ist die Abwanderung aus den Innenstadtbezirken in die Außenbezirke deutlich erkennbar. Aber die Verdrängungswirkung betrifft auch sonstige Bürger mit geringerem Einkommen wie Pensionäre, Studenten, Kinderreiche.
Zum Abschluß dieser Bestandsaufnahme sollen noch zwei Mietexperten zu Worte kommen: Beim einen handelt es sich um Dr. Jan-Marco Luczak, CDU, MdB, im Nebenberuf Hausverwalter der Luma Hausverwaltung Jan-Marco Luczak, Berlin. Er kommentierte die beschriebene Verdrängung in der ZDF-Sendung „Hoch, höher, unbezahlbar – gibt es ein Recht auf faire Mieten?“ vom 24. August 2011 so: „Bei steigenden Mieten muß man eben an den Stadtrand ziehen.“ Und die Expertin Ira v. Cölln, Master of Laws in Taxation (LL.M.), auf deutsch: Meisterin des Steuerrechts, Geschäftsführerin des Bundesverbandes freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, in deren 3,1 Mio Wohnungen 7,2 Mio Menschen leben, sagte in derselben Sendung: „Bezahlbare Mieten ergeben sich durch Angebot und Nachfrage.“ Da mag sich ein Oberbürgermeister, in dessen Regierungszeit 150.000 landeseigene Wohnungen, also letztlich Eigentum der Bürger, an internationale Finanzinvestoren verkauft wurden und dem es nach dem Motto „arm aber sexy“ offenbar in erster Linie darauf ankommt, daß „seine“ Stadt in der weltweiten Konkurrenz um Großevents ganz vorne liegt – da mag sich der also gefragt haben: „Warum ändern, was der Markt doch selbst regelt?“
Verständlich, daß sich bei solch einer Politik eine Vielzahl von Mieterinitiativen auf lokaler und Stadtteilebene gebildet haben. Zur Zeit gibt es um die 50, darunter das 'Bündnis Steigende Mieten stoppen!', die 'Initiative Charlottenburger Bürger gegen Mietervertreibung und Mietspekulation', 'Karla Pappel gegen Mieterhöhung in Alt-Treptow' und 'Stadtteilinitiative Schillerkiez'. Sie halten engen Kontakt untereinander. Hinzu kommen Mieterbeiräte der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, z.B. bei der GEWOBAG am Klausenerplatz. Natürlich stehen die beiden größten Berliner Mieterorganisationen Mieterverein und Mietergemeinschaft mit zusammen über 175.000 Mitgliedern hinter ihnen. Unterstützung kommt auch vom DGB und vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg, die am 12. Juli in einer gemeinsamen Presseerklärung festgestellt hatten: „Höhere Mieten setzen Berliner stark unter Druck – Diakonie und DGB fordern mehr soziales Engagement von Berliner Wohnungsbaupolitik.“
- Bestandsmieten: Die Kappungsgrenze ist auf 10%, höchstens 15% in vier Jahren zu senken, um die Inflation auszugleichen (statt der augenblicklichen 20% alle drei Jahre). Das würde die Belastung der Mieter spürbar verringern.
- Modernisierung: Es muß eine Kostenbegrenzung für Modernisierungen geben. Die dann erhöhte Miete soll nur so lange bezahlt werden, bis sich derUmbau amortisiert hat, und auch nur in Höhe von jährlich 9% der Modernisierungskosten statt der jetzigen 11% auf Dauer. Außerdem soll die Miete nur erhöht werden dürfen, wenn eine tatsächliche Steigerung des Wohnwerts vorliegt und wenn zwischen Mieterhöhung und Ersparnis des Mieters ein ausgewogenen Verhältnis besteht.
- Neuvermietung: Neumieten haben mit 40% der im Mietspiegel berücksichtigten Mieten einen erheblichen Einfluß auf den Mietspiegel – allein schon deshalb müssen sie gesetzlich beschränkt werden durch Beschränkung auf maximal 10% über dem Mittelwert des Mietspiegels. Beim Umzug zwischen Wohnungen einer Wohnungsbaugesellschaft darf der Mieter nicht als Neumieter behandelt werden.
- Ferienwohnungen: Die gewerbliche Nutzung von bestehenden Mietwohnungen als Ferienwohnungen muß in den innerstädtischen Bezirken mit knappem Wohnraum unterbunden werden.
- Eigentumswohnungen: Bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ strikt zu beachten. Das bedeutet, daß die Kündigungsschutzfrist wegen sog. „Eigenbedarfs“ deutlich verlängert werden muß; schon jetzt sind insgesamt 10 Jahre möglich.
Da Mietrecht Bundesrecht ist, wird die Umsetzung der eben vorgestellten Forderungen in Form von Bundesgesetzen noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Um so wichtiger ist es daher, daß dort schon ein erster Schritt gemacht wird, wo es sofort möglich ist. Gemeint sind damit die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, denn die sechs Gesellschaften mit ihren 270.000 Wohnungen haben ein großes Gewicht auf dem städtischen Wohnungsmarkt und als städtische Unternehmen eine große Verantwortung gegenüber den Bürgern.
Was sind die städtischen bzw. landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften? Sie gehören dem Land Berlin – oder rechtlich ausgedrückt: das Land Berlin, vertreten durch den Senat, ist ihr Gesellschafter. Die letzte Verantwortung für alles, was von den Wohnungsbaugesellschaften praktiziert wird, liegt somit beim Berliner Senat. Ob es sich nun um Anweisungen handelt, die Mieten zu erhöhen, wie mit dem sozialen Wohnungsbau zu verfahren ist, wie man mit den Mietern umgeht, wie mieterfreundlich der Service im Alltag gestaltet wird, ob und wie man Sanierungen durchführt, ob man sozialverträglich dabei verfährt – all das und noch mehr kann die Berliner Landesregierung vorgeben. Auch dann, wenn sie das Verhalten der Wohnungsbaugesellschaften stillschweigend duldet, was Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (SPD) gelegentlich mit „Man würde sich nicht in das operative Geschäft der Wohnungsbaugesellschaften einmischen“ beschreibt – auch dann trägt die Landesregierung die volle Verantwortung. Denn sie kann jederzeit durch verbindliche Gesellschafteranweisung entscheidenden Einfluß auf ihre Wohnungsbaugesellschaften ausüben und ihnen klare Vorgaben machen.
Das heißt für dieses Thema: Ein Senat, der im Interesse einer Bevölkerung, die zu 85% aus Mietern besteht, handeln will, kann mithilfe der Wohnungsbaugesellschaften dämpfend auf die Mietpreisentwicklung bei Bestands- und Neumieten und bei Sanierungen einwirken, wenn er seinen eigenen Slogan von der „Stadt der Mieter“ ernst nimmt. Dazu muß der Senat seine Wohnungsbauunternehmen veranlassen, daß sie die derzeitige Praxis, Mieterhöhungen im Rahmen des Mietspiegels voll auszuschöpfen, umgehend beenden. Auch der Neubau von günstigen Wohnungen würde den Wohnungsmarkt vor allem im unteren Bereich entlasten.
Kurz gesagt: Schon vor jeder bundesgesetzlichen Regelung kann der Senat mithilfe der städtischen Wohnungsbaugesellschaften eine soziale Wohnungspolitik betreiben, die Verdrängung verhindert und dauerhaft preiswerte Mietwohnungen in allen Teilen der Stadt sichert.
Darüber hinaus kann der Senat auch auf das Verhalten von Privatvermietern Einfluß nehmen, indem er die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert oder verhindert sowie die Zweckentfremdung von Wohnraum für gewerbliche Zwecke, auch für Ferienwohnungen, verbietet. Die Kündigungssperrfrist für Eigenbedarf in Eigentumswohnungen muß auf die bundesrechtlich möglichen 10 Jahre ausgeweitet werden.
Je nachdem wie sich der neue SPD-CDU-Senat entscheidet – ob für eine Wohnungspolitik im Interesse der Mieter oder gegen sie: aufgrund der beschriebenen rechtlichen Möglichkeiten auf Landesebene sind die beiden Parteien für die Auswirkungen auf die Berliner Mieter verantwortlich.
Der Text beruht auf Materialien dieses Blogs und anderer Quellen.
Im November ist hierzu eine Radiosendung im offenen Kanal geplant, die im Blog rechtzeitig angekündigt wird.
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Politik - 27. Oktober 2011 - 00:02
Tags: berlin/gentrifizierung/michaelr/mieten/verdrängung/wohnen/ökokiez
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