Eine Geschichte aus dem Heim
Ein 83jähriger Bewohner eines Altersheims bat darum, seine Geschichte aufzuschreiben. Hier ist sie, und sie zeigt nicht nur, daß man in jedem Alter Eigeninitiative entfalten kann, sondern auch, wie man sich damit das Leben verschönert.
Kürzlich las ich in der Zeitung: Die Menschen hatten schon in der Steinzeit das Bedürfnis, Dinge selbst zu gestalten. Und das stimmt bis heute, denn die Oma bäckt gern selbst einen Kuchen, die Kinder am Strand bauen sich ihre eigene Sandburg, usw. Etwas selbst zu machen, das macht eben einem selbst Freude.
Das brachte mich auf den Gedanken, daß es doch auch hier im Heim viele Menschen gibt, die dieses Bedürfnis haben, selbst zu gestalten – und daß sie dazu auch die Möglichkeit erhalten sollten. Folglich bin ich zusammen mit der Studentin Karin einkaufen gegangen: Pinsel, Tuschkästen, Papier, Klebstoff und vieles mehr. Seitdem treffen wir uns jeden Dienstag um 15 Uhr zur Bastelstunde. Aber vorher gibt es erst einmal Kaffee und Kuchen.
Anschließend packt Karin die Bastelsachen auf den Tisch und kündigt
an, was für heute zu basteln geplant ist. Der bisherige Höhepunkt der
Bastelstunden waren im Februar die Vorarbeiten für das Kapuzenfest. 20
Kopfbedeckungen waren gekauft worden und wurden jetzt mit großer
Begeisterung bearbeitet.
Das Kapuzenfest wurde von den Mitbewohnern begeistert aufgenommen, und noch tagelang konnte man die dabei getragenen Hüte, Kappen und Kapuzen bewundern. Aber schon ging es emsig weiter mit der Vorbereitung auf das nächste Fest, nämlich Ostern. Mehrere ausgeblasene Eier wurden in der Bastelstunde angemalt. Jetzt sind sie im Foyer ausgestellt.
Entscheidend für den Erfolg der
Bastelstunden ist die Zusammenarbeit der Teilnehmer untereinander und
die gegenseitige Hilfe mit Ratschlägen – ganz in dem Sinn, wie es
Schiller in seinem „Lied von der Glocke“ ausgedrückt hat:
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
Hier
zwei Beispiele, was dieses Basteln für die teilnehmenden Bewohner
bedeutet: So habe ich dieser Tage zufällig ein Gespräch belauscht, bei
dem eine Mutter ihrer Tochter etwas Selbstgebasteltes zeigte und feuchte
Augen bekam, als ihre Tochter bewundernd darauf reagierte. Und ein
Herr, der vor langer Zeit gern Laubsägearbeiten gemacht hatte, bis der
Fliegeralarm ihn in den Luftschutzkeller rief, fand in dem Karton, den
Karin eines Tages auf den Tisch stellte, eine Laubsäge. Wehmütig
erinnerte er sich daran, wie er das letzte Mal selbst Sägeblätter
gekauft hatte; es muß um 1942/43 gewesen sein, als man ihm sagte, das
Metall bräuchte man jetzt für die Panzer. Seitdem hatte er bis zu diesem
Tag keine Laubsäge mehr in der Hand gehabt.
Jetzt sind wir
gerade dabei, das kommende Sommerfest vorzubereiten, indem wir es
mitgestalten mit viel Farbe und Fröhlichkeit – Fröhlichkeit von
Menschen, die nicht mehr jung sind, aber Freude am Gestalten haben und
dadurch sich selbst mehr Lebensfreude schaffen. Und gleichzeitig ist
zwischen uns ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstanden.
Dieser
Tage stand ich an dem Glasschrank im Foyer, als ein junger Mann
vorbeikam und meinte: „Das kann doch jeder!“ Ich fragte ihn, ob er die
Geschichte von Kolumbus und dem Ei kenne – jene Geschichte, in der
Kolumbus ein gekochtes Ei auf die Spitze stellte, indem er es leicht
eindrückte; als alle protestierte, das hätten sie auch gekonnt,
erwiderte er ihnen: „Der Unterschied ist, daß Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“
So ist es auch bei uns in der Bastelstunde: Wir tun
es, und keiner kommt zu unseren Treffen zu spät. Der Höhepunkt ist
jedesmal, wenn wir am Schluß unsere Ergebnisse herumzeigen. Ich bin mir
sicher, daß es noch lange so weitergehen wird, denn es macht Spaß – und
das gibt uns Kraft!
B.-H. L.
MichaelR - Gastautoren, Menschen im Kiez - 09. Mai 2014 - 00:02
Tags: bastelstunde/senioren
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: