Die Stachelschweine beißen
Kabarett feiert 65. Geburtstag
„Die Lage war noch nie so ernst, wie sie morgen sein wird, wenn wir uns nicht heute darum kümmern!“ Diesen Satz prägte Rolf Ulrich, der vor 65 Jahren, genau am 30. Oktober 1949, das Kabarett „Die Stachelschweine“ aus der Taufe hob.
Dieser Satz ihres Ahnherrn scheint dem Team der Stachelschweine bei der Arbeit an dem Geburtstagsprogramm nicht aus dem Kopf gegangen zu sein. In den 65 Jahren, die die Stachelschweine bestehen, waren die Demokratie und der Frieden wahrscheinlich noch nie so gefährdet wie heute. Die Kabarettisten haben die Wurzeln der Übel (Buch Linus Höke) freigelegt. Allein das ist nicht hoch genug zu schätzen, war doch in letzter Zeit das politische Kabarett weitgehend verschwunden und wurde von Spaßmachern ersetzt, die sich mit einem Witz über die Frisur der Kanzlerin auf dem Gipfel der Kühnheit wähnten. Im Untergeschoß des Europacenters auf dem Breitscheidplatz wird der Spaß zum Ernst: Das Lachen über den Terror unter der Fahne des Islam wird zum Schrecken. Die bierselige Gemütlichkeit und die Spaßgesellschaft sind nur dünnes Eis, das unter dem Höllenfeuer an allen Ecken schmilzt. Die Politiker sämtlicher Parteien erweisen in der Talkrunde, daß sie den anstehenden Problemen nicht gewachsen sind. Das Freihandelsabkommen wird letztlich zum Freibrief für Konzerne, die parlamentarischen Gremien zu unterlaufen. Die Alarmierung der Öffentlichkeit durch Edward Snowden wird heruntergespielt und verfälscht. Die Fortschritte der Biologie werden zum Marktinstrument wider Frau und Familie. All dies wird im Rahmen einer Fernsehredaktion abgehandelt, die es in gängige und vom Ensemble brillant karikierte Fernsehformate (Regie Tatjana Rese) zwischen Musikantenstadl, Quizshow, Nachrichteninterview und Talkrunde gießt. Dabei stoßen die Stachelschweine bisweilen an die Grenzen der Satire: Die soll das Geschehen überspitzen. Was jedoch aus dem Redaktionsalltag dargestellt wird, ist bisweilen die blanke Realität.
Auf der Bühne der Stachelschweine standen hervorragende Schauspieler.
Erinnert sei nur an die unvergessenen Wolfgang Gruner und Günther
Pfitzmann, an die hervorragenden Edith Hanke und Detlef Neuhaus, der zur
Premiere seinen Kollegen, mit denen er oft gemeinsam auf der Bühne
stand, vom Parkett aus zusah. Das Ensemble hat sich verjüngt. Als
Neuling im Ensemble ist erstmals Alexander Pluquett zu sehen. Vor vier
Jahren kam Kristin Wolf zu den Stachelschweinen, vor sechs Jahren Holger
Güttersberger, der wie Gruner und Neuhaus zum Fixpunkt des Ensembles
wird, und seit über 20 Jahren mit über 4000 Bühnenauftritten ist Birgit
Edenharter Erfolgsgarant. Die Frau war schon immer hervorragend, doch
zur Premiere des Geburtstagsprogramms „Deutschland sagt Jein“ hat sie
sich selbst übertroffen. Mit nur wenigen Gesten chargierte sie als
Hitler, überspielte dabei brillant die Dauerpanne mit dem schlecht
angeklebten Bart, dessen es letztendlich gar nicht mehr bedurft hätte,
und protestierte köstlich als Chlorhuhn (Ausstattung Pia Wessels) gegen
das Freihandelsabkommen.
Einziger Wermutstropfen des Programmes ist,
daß um des Gags willen zusammengeführt wird, was nicht zusammengehört:
Putin mit Hitler sowie die Neonazis mit Wowereit und Kanzlerin Merkel.
„Deutschland
sagt Jein“ wird Dienstag bis Freitag jeweils um 20 Uhr, sonnabends um
18 Uhr gegeben. Karten und weitere Informationen gibt es im Internet
unter: www.diestachelschweine.de.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 27. Oktober 2014 - 00:02
Tags: kabarett
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: