Leidenschaft auf der Bühne
Die Lady Macbeth von Mzensk in der Deutschen Oper
Donald Runnicles und Regisseur Ole Anders Tandberg ist zu danken, daß eine der der Vergessenheit anheimgestellten Opern im ursprünglichen Temperament wieder in Berlin zu sehen ist: Dimitri Schostakowitsch‘ „Lady Macbeth von Mzensk“.
Es geht um eine Frau, die in ihrem Anspruch auf Glück, der sich vornehmlich als Anspruch auf sexuelle Erfüllung äußert, zur Mörderin an ihrem zeugungsunfähigen Mann, ihrem geilen Schwiegervater und ihrer Nebenbuhlerin, mit der sie sich letztlich auf dem Weg in die Verbannung in einen reißenden Fluß stürzt, wird. „Ungeachtet dessen“, sagte der Komponist kurz vor der Uraufführung 1934, „sympathisiere ich doch mit ihr. Ich versuche, dem ganzen Milieu, das sie umgibt, einen makabren, satirischen Charakter zu geben“. Künstlerische Leidenschaft bricht sich hier Bahn, ohne auf irgendeine „political correctness“ Rücksicht zu nehmen, ohne daß irgendeine Genderbeauftragte, eine religiöse Gemeinde hereinredet oder sich ein Staatschef düpiert fühlt. Knapp 150 Jahre hat es gebraucht, daß solch eine günstige Stunde im politischen Klima herrscht, in der das in einer russischen Seele hausende mörderische Wesen mit aller sexuellen Triebkraft auf der Bühne herausbrechen kann. Doch darum ging es sicherlich keinem der beteiligten Künstler.
Foto: Wecker
Fotos: Wecker
Am Anfang der Reihe steht Nikolai S. Leskow, der die gleichnamige Novelle 1865 in der Zeitung „Epocha“ veröffentlichte, wo der in gleicher seelischer Düsternis gründelnde Fjodor M. Dostojewski als Redakteur arbeitete. Leskow hatte den Stoff in den Gerichtsakten von Orjol, wo er als Kanzleibeamter beim Kriminalgericht gearbeitet hatte, gefunden. Unglückliche Polemiken führten dazu, daß er von den liberalen Autoren als Reaktionär mißverstanden wurde, was der Rezeption dieser Novelle abträglich war. Schließlich mußte Dostojewski auch die Zeitschrift aus Geldmangel einstellen, womit Leskow die Publikationsmöglichkeit verloren ging. So wäre die Novelle im Orkus der genialen, aber nicht gelesenen Literatur verschwunden, wenn nicht 1934 der frisch verliebte Dimitri Schostakowitsch im Alter von 28 Jahren darauf gestoßen wäre, und all seine ungestüme Leidenschaft in seine aus diesem Stoff entwickelte Oper gelegt hätte. Der Zeitpunkt war wiederum unglücklich. Im gleichen Jahr wurde auf dem 1. Allunionskongreß der sowjetischen Schriftseller der „sozialistische Realismus“ als verbindliche Methode des künstlerischen Schaffens bestimmt. Da ging es nicht um menschliche Wesenskräfte, Seele und Leidenschaft, sondern um eine „wahre Darstellung der sozialistischen Wirklichkeit“. Das hielt das Publikum nicht davon ab, noch zwei Jahre weiter Begeisterung für die sinnenfrohe Katerina Ismailowa aufzubringen, die sich einen Teufel um die Konventionen ihrer Zeit schert, und sich mit Gewalt nimmt, was ihr verwehrt wird. Aber dann verbannte die strenge „Prawda“ in einer den Ton vorgebenden Rezension „Chaos statt Musik“ das Werk für Jahrzehnte von der Bühne. Bis an sein Lebensende hat der Komponist nicht verwunden, daß seine Musik der Heimat geschadet haben sollte. Schließlich ist es ihm wie keinem anderen Komponisten zuvor gelungen, die Glut der Leidenschaft so in Töne zu fassen, daß sie jeden mitreißt und die Regie noch heute auf jedwedes obszöne Spektakel verzichten kann. Die spätere abgemilderte Fassung „Katerina Ismailowa“, wo aus der „brünstigen Stute“ Katarina eine „turtelnde Taube“ wurde, vermag dieses nicht zu leisten. Ole Anders Tandberg griff deshalb in seiner für die norwegische Oper in Oslo entworfenen Inszenierung auf die originalsprachige russische Urfassung zurück. So ist dieses Werk auch erstmals in Berlin zu erleben. Das Haus der Familie Ismailow steht wie eine Hütte in einem der skandinavischen Schärengärten auf einem felsigen Hügel. Wichtigstes Lebensmittel ist dort der Fisch, der auf der Bühne zum eindringlichsten Symbol wird. Das gilt für das Arbeitsvolk. Bei dem Einsatzkommando der Polizei, das die Mörderin verhaften soll, wird er allerdings nicht durch Sturmgewehre, sondern durch Bügelbretter ersetzt. Bis zur Lichtkomposition ist dies alles aus Oslo mit nach Berlin gekommen. Das Ensemble wurde hingegen komplett neu besetzt. Die musikalische Leitung hat in Berlin Donald Runnicles, der dieses Werk von Mitte der 80er an immer wieder dirigiert hat. Die Titelpartie bringt eine Wiederbegegnung mit Kammersängerin Evelyn Herlitzius. Für die Rolle von Katerinas Schwiegervater kehrte der britische Bass Sir John Tomlinson nach Berlin zurück.
Frank Wecker
Foto: Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 02. Februar 2015 - 00:24
Tags: oper
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