Der Denkmalbeirat bleibt nichtöffentlich
Die Lokalpolitiker sehen die Öffentlichkeit weiterhin lieber vor der Tür
Im Anhang: Auszüge aus der BVV-Diskussion und Analyse des Verständnisses von „Öffentlichkeit“
Auf den ersten Blick sollte man meinen, es bedürfe nicht der Abschottung des Denkmalbeirats gegen die Öffentlichkeit, wenn es um die Umsetzung des Denkmalschutzes auf Bezirksebene geht. Denn laut § 2 Denkmalschutzgesetz Berlin ist „ein Baudenkmal (1) eine bauliche Anlage oder ein Teil einer baulichen Anlage, deren oder dessen Erhaltung wegen der geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt“ – alles sachlich diskutierbare Kriterien.
Und die Folgen – sobald das Landesdenkmalamt das Gebäude in die Denkmalliste eingetragen hat – scheinen auch klar, wie es ein Kommentar in der Berliner Morgenpost auf den Punkt bringt: „Wer eine denkmalgeschützte Immobilie besitzt, weiß, wie schwierig oder gar unmöglich es ist, bauliche Veränderungen vorzunehmen. Sei es ein Dachausbau, die Streifen der Markise oder die Art der Fenster: die Berliner Denkmalämter achten akribisch darauf, dass sich private Bauherrn keine gestalterischen Freiheiten herausnehmen. Wer etwas tut, was der Historie des Bauwerks abträglich ist, muss mit Strafe rechnen.“
Der Denkmalbeirat
Soviel dazu, wie ein Baudenkmal im Besitz einer Privatperson vor Veränderungen geschützt wird. Aber wie ist es, wenn eine Immobilien AG es gleich ganz abreißen will? Hier kommt nun der Denkmalbeirat zum Zuge, wenn er „zur Unterstützung der Bezirksverordnetenversammlung und dem (!) Bezirksamt bei Angelegenheiten, die Bau- oder Gartendenkmäler des Bezirks betreffen, tätig“ wird – mit dem Endzweck:„Der Denkmalbeirat soll eine Abwägung von Denkmalschutz und ökonomischen Interessen vornehmen … und Empfehlungen aussprechen.“
Es ist halt mit einem Baudenkmal so ähnlich, wie Karl Valentin schon über Kunst feststellte: Ein Denkmal ist schön, kostet aber viel Geld. (2) Daher gibt es im Denkmalschutzgesetz auch Regelungen darüber, was dem Eigentümer finanziell zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeitsgrenze ist jedenfalls deutlich überschritten (§ 16 Abs. 1 Satz 2), „soweit die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung dauerhaft nicht durch die Erträge oder den Gebrauchswert des Denkmals aufgewogen werden können.“
Auf deutsch: Wenn ein Eigentümer mit einem Neubau mehr Gewinn zu machen hofft, als ihm das Baudenkmal je bringen wird, dann heißt es eben gegebenenfalls „Ade, Baudenkmal!“. Dann zählt die „geschichtliche, künstlerische, wissenschaftliche oder städtebauliche Bedeutung“ nichts mehr – und das „Interesse der Allgemeinheit“ unterliegt dem privaten Verwertungsinteresse. Kein Wunder, daß da die Öffentlichkeit nicht zuschauen soll.
Wer wägt da eigentlich Denkmalschutz und ökonomische Interessen gegeneinander ab? Schauen wir dazu auf die Zusammensetzung dieses Beirats (3): Abstimmungsberechtigte Mitglieder sind fünf Fachleute, darunter Dr. Dietrich Worbs, ehemaliger Mitarbeiter im Landesdenkmalamt, den Gaslaternenfreunden durch sein Gutachten (4) wohlbekannt. Die weiteren Mitglieder sind zwar nicht stimmberechtigt, reden aber mit. Dabei sind natürlich Vertreter der BVV-Parteien. Interessanterweise ist die Untere Denkmalschutzbehörde nicht vertreten, dafür aber ihr Vorgesetzter, der BzStR M. Schulte (SPD), der sich zwar selbst wenig Verständnis für neuzeitliche Baudenkmäler attestiert (siehe folgenden Abschnitt), dem wir dafür aber ein großes Herz für Investoren bescheinigen können. Ein Beispiel sei genannt:
Seit dem 25.9.2014 lag seiner Abteilung der Antrag einer Immobilien AG auf einen Bauvorbescheid vor, der dann am 23.2.2015 erging und einen Abriß des Hauses Fasanenstraße 62 einschloß. Das heißt, seit Herbst 2014 wußte BzStR Schulte von der Sache, hielt sie aber vor BVV, Stadtentwicklungsausschuß, Denkmalbeirat und erst recht den Mietern und der sonstigen Öffentlichkeit geheim: „Bauberatungsgespräche unterliegen der Vertraulichkeit.“ (5) Faßte er wenigstens eine Überprüfung der Denkmalseigenschaft ins Auge oder leitete sie gar ein? „Überrascht klang der Stadtrat, Marc Schulte (SPD), im zuständigen [Stadtentwicklungs]Ausschuss am 8. Juli, dass Öffentlichkeit und nun mit Dringlichkeit die Bezirksverordneten den Denkmalschutz auf den Plan riefen. Eher ungläubig nahm er zur Kenntnis, dass das Landesdenkmalamt bereits wohlwollend prüfe. Es wäre ja das erste Mal, so Schulte, dass ein 80er Jahre Bau unter Denkmalschutz gestellt würde.“ (6) Also: nein, er faßte sie nicht ins Auge. Im Gegenteil, im Juni 2015 hatte die Immobilien AG bei ihm einen Abriß- und Neubauantrag eingereicht, und die Genehmigung im Sinne des Bauvorbescheids vom Februar war nur noch eine Frage der Zeit. Ohne die Mieter (7), die sich im Mai an das Landesdenkmalamt (8) gewandt hatten, also ohne diesen Eingriff der Öffentlichkeit wäre der Abriß des Hauses besiegelt gewesen. Dieser BzStR ist nicht nur kein Garant für den Erhalt von Bauwerken „im Interesse der Allgemeinheit“, sondern – instruiert über die geheimen Wünsche von Investoren aus Vier-Augen-Gesprächen – nachgerade eine Gefahr.
Die Forderung nach Öffentlichkeit in Angelegenheiten der Stadtentwicklung – angefangen bei den von BzStR Schulte gepflegten Geheimverhandlungen mit Investoren bis hin zum Beratungsgremium Denkmalbeirat – versteht sich eigentlich von selbst, denn das ist unsere Stadt, unser Lebensumfeld, um das es da geht. Und gerade der Denkmalschutz, der doch von seiner Bestimmung her das Interesse der Allgemeinheit in den Mittelpunkt stellt, ist der Öffentlichkeit verpflichtet. Die Vorgänge um das Böhm-Haus oder den WOGA-Komplex hinter der Schaubühne haben gezeigt, wie wichtig die Rolle der Öffentlichkeit ist: In beiden Fällen wurde erst durch sie der Denkmalbeirat auf die Spur gebracht Dies wird durch Geheimhaltung erschwert oder verunmöglicht.
ANHANG: Auszüge aus der Diskussion in der BVV und Analyse des Verständnisses von „Öffentlichkeit“
Abschließend Auszüge aus dem Mitschnitt von TOP 9.20 der BVV vom 19.5.2016. Es ging um den Antrag 1609/4 mit dem einen Satz:
„Die Sitzungen des Denkmalbeirates sind grundsätzlich öffentlich und nur in begründeten Einzelfällen nicht öffentlich.“
Die BVV beschloß bei fünf Gegenstimmen, dies abzulehnen. Hier einige der Argumente (wörtlich wiedergegeben, die Verantwortung liegt bei den Rednern):
- BV Dr. Heise (Grüne Partei): „Die im Denkmalbeirat sitzen, möchten sich die Meinung bilden, ohne durch Zwischenrufe gestört zu werden.“
- BV Häntsch (CDU): „[...], daß es sich da [d.h. im Denkmalbeirat] um eine Art geschützten Raum handelt, wo man auch mal wirklich Gedanken ventilieren kann, ohne daß es gleich am nächsten Tag in der Presse steht […]. Dies soll gerade im Denkmalbeirat, wenn Gedanken einfach mal gedreht werden, nicht der Fall sein.“
- BV Dr. Timper (SPD): „Der Denkmalbeirat ist ein Beratungsgremium. Wir haben vertrauliche Gespräche, eine vertrauliche Gesprächssituation. Zu einzelnen Tagesordnungspunkten laden wir betroffene EinwohnerInnen ein. Wir nehmen jede Anregung von BürgerInnen auf […]. Das heißt, Öffentlichkeit ist da, aber gezielt zu bestimmten Tagesordnungspunkten.“
- BV Herz (CDU): „Wir sollten nicht ganz vergessen und deswegen immer vorsichtig sein, wenn wir dieses oder jenes sagen, daß wir [d.h.: die BVV] die Öffentlichkeit sind. […] der Denkmalbeirat, der uns in sehr engagierter Weise eigentlich nicht nur berät, sondern beinah uns in dieser Frage führt, weil wir, glaube ich, alle den Sachverstand so gar nicht haben. Deswegen fände ich es immer schwierig, wenn wir sagen, wir selber sind eigentlich nicht fähig, wir wollen, daß keiner reinredet, und deswegen wollen wir eine Nichtöffentlichkeit. Nein. Mehr als zu sehen, dß das gerade nicht der Fall ist, konnten wir eigentlich anhand der Schilderung von Frau Dr. Timper gar nicht erwarten. Genau das haben wir gesehen.“
Analyse: Wie Politiker sich den Begriff „Öffentlichkeit“ zurechtdrehen
Die Redebeiträge illustrieren in faszinierender Weise die schrittweise Umdefinierung des Begriffes „Öffentlichkeit“, um die Nichtöffentlichkeit des Denkmalbeirats zu rechtfertigen – vielleicht betreten sie damit Neuland?
- Bei BV Dr. Heise schließt die (namentlich nicht genannte) Öffentlichkeit noch alle Bürger (die Allgemeinheit) ein, die allerdings die Experten und Politiker durch Geräusche beim „Gedankendrehen“ stören (BV Häntsch erweitert die Störer noch um die Presse). Damit wendet er den Begriff zwar in seiner bisherigen Bedeutung völlig korrekt an, aber das wirkt zu plump, weil er offen sagt, was man in Politikerkreisen von der Öffentlichkeit denkt. Damit kann man im Jahr 2016 zwar immer noch den Ausschluß der Öffentlichkeit begründen, aber nur, weil man die Staatsgewalt hinter sich weiß.
- Da ist BV Dr. Timper doch deutlich cleverer, indem sie einerseits positiv von den Bürgern spricht (sie geben Anregungen!) und gleichzeitig eine Neudefinition von „Öffentlichkeit“ einleitet: Für sie sind ausgewählte Bürger – „betroffene EinwohnerInnen“ – bereits genug, um „Öffentlichkeit“ zu simulieren. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Diese Handvoll Teilnahmeberechtigte sind zwar nur ein winziger Bruchteil der Allgemeinheit, aber immerhin doch Bürger. Und zweitens kann sie nach ihrem eigenen Dafürhalten über deren Zulassung bestimmen; denn anstelle des bedingungslosen Rechts auf Zugang zu den Sitzungen muß der Bürger sich als „berechtigt“ ausweisen.
- BV Herzens Neudefinition von „Öffentlichkeit“ ist die kühnste: „Die BVV ist die Öffentlichkeit.“ Damit entfernt er sich am weitesten von der üblichen Definition und gleichzeitig von den Bürgern, er eliminiert sie geradezu aus dem politischen Leben. Daß er so dreist die Bedeutung des Wortes Öffentlichkeit auf den Kopf stellen kann, weist auf eine völlige Selbstüberschätzung hin, wie es in der politischen Klasse (auch schon auf der untersten Ebene) nicht unüblich ist. Gerade daher taugt seine Neudefinition auch nichts, denn sie schießt weit übers Ziel hinaus, weil sie – wie schon die seines Koll. Dr. Heise – zu offen und arrogant aussagt, was BV Herz von den Bürgern hält: Es gibt euch zwischen zwei Wahlen gar nicht!
MichaelR
(1) Daneben gibt es noch Denkmalbereiche (Ensemble), Gartendenkmale sowie Bodendenkmale.
(2) „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
(3) zu finden im einzigen seit 2008 auf der Website des Bezirksamtes veröffentlichten Protokoll des Beirat vom 27.4.2012 (siehe Download am Fuße der Seite)
(4) Dietrich Worbs, Zum Denkmalwert der Berliner Gasleuchten (Zusammenfassung)
(5) Kleine Anfrage, DS 0511/4, vom 13.7.2015 Frage 1
(6) Wiedergegeben nach „Fasanenstraße 62, Ikone der Architektur und das Char-Wilmer Stadtentwicklungsamt“.
(7) Außerdem formulierten die fünf Experten des Denkmalbeirats einen Monat später, im Juni, eine entsprechende Empfehlung, die in der BVV vom 9. 7.2015 von der BVV beschlossen wurde (DS 1346/4).
(8) Das Gutachten des Landesdenkamtes vom 10.9.2015 kann hier nachgelesen werden.
MichaelR - Gastautoren, Politik - 27. Juni 2016 - 00:24
Tags: baudenkmal/bürgerbeteiligung/denkmal/denkmalschutz/gedenken/stadtgeschichte
drei Kommentare
Nr. 2, M.R., 12.07.2016 - 18:11 Warum aber in Treptow-Köpenick? Die verkrustete Heimlichtuerei, die in diesem Bezirk von allen tonangebenden Parteien besonders in Bauangelegenheiten jeglicher Art so gepflegt wird, gibt es in Treptow-Köpenick nicht: Dort kann man alle Protokolle des entsprechenden Beirates (genannt Bezirksdenkmalrat T.-K.) nachlesen, findet seine Beschlüsse übersichtlich aufgelistet – und kann an den Sitzungen teilnehmen: "Die Sitzungen sind öffentlich." (GO § 9 Abs. 3), und das schon seit Jahren: http://www.berlin.de/ba-treptow-koepenic.. |
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doch die Einwohnerversammlung bleibt (noch) öffentlich
die nächste gelegenheit nachzufragen:
http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
http://nadia-rouhani.de/woga-komplex-bvv..