Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf: Prof. Benz und Prof. Rürup nehmen Stellung
Die Liste des Gesundheitsamts Wilmersdorf vom 30.11.1942 gibt als Ort des Zwangsarbeitslagers des Wilmersdorfer Bezirksamts an: Wilhelmsaue „40“. Dies war für die vergangene Gedenktafelkommission sowie ist für verschiedene Bezirkspolitiker Anlaß, seit über 1 ½ Jahren Zweifel an der Lage des Lagers zu haben, denn die amtlichen Karten bezeichneten das betreffende Grundstück mit „39-41“; folglich habe es „40“ gar nicht gegeben.
Quelle: Landesarchiv Berlin
Daß eine amtliche Akte aus den Jahren 1937 bis 1940* mit „Kindergarten Wilhelmsaue 40“ beschriftet ist, eine ebenfalls amtliche Akte aus den Jahren 1952 bis 1964** die Aufschrift „Wilhelmsaue 39/40“ trägt und am heutigen Gebäude – dem ITDZ Berlin, einer Anstalt des öffentlichen Rechts – die Hausnummer „40“ steht – all dies hat die Zweifler bisher nicht überzeugt. Vielmehr gab eine Bezirkspolitikerin kürzlich in einem Gespräch zu bedenken, es könne ja auch ein Tippfehler vorliegen, und eigentlich sollte es Wilhelmsaue „4C“ heißen.
Ich habe daher zwei renommierten Historikern die drei hierzu bekannten Dokumente*** vorgelegt, sie über alle geäußerten Zweifel**** informiert und um ihre Stellungnahme gebeten. Die beiden Historiker sind Prof. Wolfgang Benz° und Prof. Reinhard Rürup°°. Mit ihrer Gestattung folgt hier der Abdruck ihrer Stellungnahmen:
Stellungnahme von Prof. Rürup:
Sehr geehrter Herr Roeder,
da ich vorübergehend nicht in Berlin war, kommt meine Antwort leider etwas verzögert. Ich habe die von Ihnen geschickten Unterlagen gelesen und bin von den von Ihnen erzielten Recherche-Ergebnissen durchaus beeindruckt. Die Tatsache, dass es an diesem Ort ein Zwangsarbeiterlager des Bezirks Wilmersdorf gab, ist damit eindeutig gesichert.
Mit freundlichen Grüssen,
Reinhard Rürup
(Email vom 4.3.2017 an Verf.)
Es folgt die Stellungnahme von Prof. Benz in Auszügen:
Zwangsarbeit in Wilmersdorf
Bemerkungen zu einem notwendigen Zeichen der ErinnerungDass ein Dokument vorliegt, in dem das Gesundheitsamt Berlin-Wilmersdorf einschlägige Lager unter dem Datum 30.11.1942 aufführt, darunter eines mit der Adresse Wilhelmsaue 40 und mit dem Vermerk „Bez. Verw. Wilmsdf.“ (in der Rubrik der Träger), stellt nicht nur die Existenz klar sondern auch das Faktum, dass der Bezirk aktiv involviert war. Es war nicht üblich, die Unterkünfte der Zwangsarbeiter für das allgemeine Publikum zu kennzeichnen. Die Argumentation, es habe das fragliche Zwangsarbeiterlager an der Wilhelmsaue nicht existiert, weil die Hausnummer 40 nicht amtlich geführt worden sei oder weil es die Bezeichnung „städtisches Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse“ nicht gegeben habe, zeugt nicht von Sachkompetenz, sie erscheint einfach formalistisch und ist absurd.
Die deutsche Wirtschaft, die ohne Fremdarbeiter nicht funktioniert hätte, hat jahrzehntelang der Welt das klägliche Schauspiel geboten, zu beteuern, sie habe keine Schuld, müsse daher keine Entschädigungsgesten zeigen, man möge sich an die Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches wenden. Dass diese Haltung schließlich überwunden wurde, ehrt alle Beteiligten.
Im Falle Wilhelmsaue Wilmersdorf geht es nicht um Entschädigung, sondern nur um ein Zeichen der Erinnerung. Weiterhin über Formalia zu rechten, um eine überfällige und für unser bürgerliches Selbstbewusstsein notwendige Geste zu verhindern, wäre unwürdig.
Berlin, den 13.03.2017
Prof. Dr. Wolfgang Benz
Bleibt zu hoffen, daß im Sinne von Prof. Benz‘ abschließenden Worten nunmehr der Kulturausschuß am 14. März und daraufhin die BVV diesem Antrag (Drucksache 0121/5) zustimmen werden und das Bezirksamt dementsprechend handeln wird:
Das Bezirksamt wird beauftragt, unverzüglich selbst eine Gedenktafel an der Wilhelmsaue 40 in Wilmersdorf anzubringen, die an das Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf während des Zweiten Weltkrieges erinnert.
MichaelR
* Landesarchiv Berlin A Rep. 039-08 Nr. 222
** Landesarchiv Berlin B Rep. 209 Nr. 2715
*** Neben der Liste des Gesundheitsamtes sind das: das Schreiben des Bezirksbürgermeisters vom 30.4.1944 sowie ein Blatt des Polizeireviers 151 vom 11.1.1946 aus der Akte „Ausländer, die in Berlin polizeilich gemeldet waren“ (dort wird als Hausnummer „39/40“ angegeben).
**** wie sie in dem Papier, das dem Kulturausschuß am 14.2.2017 überreicht wurde, festgehalten sind (liegt nicht in elektronischer Form vor)
° Er lehrte von 1990 bis 2011 an der TU Berlin und leitete in dieser Zeit das universitäre Zentrum für Antisemitismusforschung.
°° Er lehrte von 1975 bis 1999 ebenfalls an der TU Berlin und war von 1989 bis 2004 Wissenschaftlicher Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors".
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 14. März 2017 - 00:24
Tags: gedenken/nationalsozialismus/stadtgeschichte/wilhelmsaue/zwangsarbeit
fünf Kommentare
Nr. 5, STK, 20.03.2017 - 12:19 Naja, was soll man sagen – Grüne Politik = Bürgernah, offen und transparent. Das die Linken den antrag zurückgezogen haben ist völlig okay! |
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Lieber Michael,
es ist bewundernswert, mit welchem langen Atem Du am Thema Wilhelmsaue 40 recherchierst. Herzlichen Glückwunsch zu den neuen Stellungnahmen, die den Ignoranten die Absurdität ihres Nicht-Wissen-Wollens aufzeigen!