Olav Münzberg bleibt in Erinnerung
Charlottenburg trauert um einen verdienstvollen BürgerAm 21. April, um 19.15 hörte das Herz von Olav Münzberg auf zu schlagen. Es ist ein Verlust für seine Frau Prof. Janina Szarek, mit der zusammen er das deutsch-polnische Theater am Salzufer wie auch die Schauspielschule Transform gründete, wo er bis ins hohe Alter Theater- und Kunstgeschichte, Ästhetik und Literatur lehrte. Es ist ein Verlust für die Berliner Kultur- und Theaterlandschaft und für die deutsche Literatur. Allein das Verzeichnis seiner Publikationen umfaßt über 400 Einträge. Er schrieb Lyrik, Prosa, Sachbücher, Essays, wissenschaftliche Abhandlungen und Aufsätze. Neben diesem gewaltigen Schrifttum und der praktischen Theaterarbeit an der Schauspielschule und der Studiobühne hat er Einrichtungen geschaffen, die bis heute das kulturelle Leben in Charlottenburg prägen und weit über Berlin hinaus Ausstrahlungskraft besitzen. Dazu gehört beispielsweise das Literaturhaus in der Fasanenstraße. Die Gründung des Literaturhauses geht auf jene Zeit zurück, als Olav Münzberg Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Literatur Berlin und von 1989 bis 1991 Vorsitzender des Berliner Schriftstellerverbandes war. Mit Stefan Heym gründete er damals den ersten Gesamtberliner Schriftstellerverband. Die damit verbundenen politischen Auseinandersetzungen begleitete er als Mitglied der Geschichtskommission des Bundesverbandes.
Foto: Wecker
Die Hinwendung zur deutsch-polnischen Theaterkunst geht nicht nur auf seine Liebe zu der großartigen polnischstämmigen Künstlerin Janina Szarek zurück. Die Annäherung der ost- und westdeutschen Poeten fand nicht auf neutralem Boden, sondern auf dem Wasser statt. Der gesamtdeutsche Verband der Schriftsteller unternahm Kreuzfahrten auf der Ostsee und im Schwarzen Meer. Für den Berliner Landesverband initiierte Olav Münzberg einen „deutsch-polnischen Poetendampfer“, mit dem die Literaten auf dem Grenzfluß Oder schipperten. Die poetische deutsch-deutsche Annäherung schlug gleich nach Polen über, Olav Münzberg wurde Redakteur der deutsch-polnischen Zeitschrift „Wir“ und Vorsitzender des gleichnamigen Vereins.
Dieser deutsch-polnische Ausgleich im Zuge der Wiedervereinigung war ihm auch deshalb wichtig, weil er vor 80 Jahren im heute polnischen Gleiwitz, wo der II. Weltkrieg seinen Ausgang nahm, geboren wurde. Als Flüchtlingskind wuchs er in Unterfranken auf, und als Student kam er 1962 nach Charlottenburg. Hier erregte er erstmals mit einem Straßentheater am Wittenbergplatz Aufsehen. Das entstand mitten in den Studentenunruhen und war von solch durchschlagender Wirkung, daß den Künstlern Prügel angedroht wurden. Die Wege der Mitwirkenden führten dann entweder zum Gripstheater oder zur Schaubühne. Olav Münzberg sollte sich aber erst in seinem siebten Lebensjahrzehnt wieder mit dem Theater beschäftigen. In der Zwischenzeit widmete er sich der bildenden Kunst. Er organisierte in Berlin aufsehenerregende Ausstellungen wie die der mexikanischen Wandmaler Orozco, Rivera und Tamayo im Schloß Charlottenburg.
Wir trauern um Olav Münzberg. Sein Schaffen wird aber in Institutionen, seinen Werken und in den Leistungen seiner Studenten fortleben.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Menschen im Kiez - 25. April 2020 - 00:04
Tags: nachruf/schauspieler/theater
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