Eine Lanze für Sarrazin
Thilo Sarrazin hat erklärt, Berlin befände sich finanzpolitisch sozusagen auf dem Stand von 1947. Jetzt sei das Gröbste weggeräumt und man könne mit den Aufbauarbeiten beginnen. Natürlich brach ein gewaltiger Entrüstungssturm los. Doch diese Entrüstung scheint mir das Ergebniss der saudummen Idee, man müsse Politik nur richtig "kommunizieren". Das heißt, die Wirklichkeit so lange kreuz und quer lügen, bis alles wieder gut aussieht und man wieder ein paar Trottel gefunden hat, die einem glauben.Ich halte es für augenscheinlich, dass Berlin bettelarm und hochverschuldet ist, eine gigantische Arbeitslosigkeit und nur geringes wirtschaftliches Wachstum hat. Eine bürgerliche Mittelschicht gibt es nur in Ansätzen. Regierte früher die Subventionsmentalität, so hat nun eine Ein-Euro-Mentalität Platz gegriffen: 25 % aller Bezirksamtsmitarbeiter sind 1-Euro-Jobber (DIE ZEIT), immer mehr öffentliche Arbeit wird von 1-Euro-Jobbern erledigt, die dann in 1-Euro-Läden einkaufen und auf 1-Euro-Niveau leben. Auch im Kiezbüro liegt es schon Jahre zurück, dass dort jemand fest und vernünftig angestellt war. Kaum soll ein großer Flughafen (wie ihn jede europäische Hauptstadt hat) gebaut werden, meldet sich sofort eine Billigflugliene und verlangt, dass alles schön billig bleiben soll.
Irgendwie hat die Armut ja etwas anheimelndes. Gemeinsam sitzt man um das wärmende Öfchen der Armut und löffelt sein karges Süppchen vom Discounter. Das geht so lange gut, wie es nicht ganz so schlimm ist. Solange etwa das Amt jedem seine Wohnung zahlt. Aber auch bei uns im Kiez erhalten immer mehr Menschen die Nachricht von der Arbeitsagentur, dass sie sich gefälligst eine billigere Bleibe suchen sollen.
Übrigens haben 1/3 aller Hartz-IV-Menschen in Charlottenburg-Wilmersdorf Abitur oder Hochschulabschluss (Tagesspiegel). Wenn selbst diese Leute keine sozialen Perspektiven haben, muss die Lage in Berlin ja wirklich "toll" sein. Aber bekanntlich sind Geduld und Leidensbereitschaft der Armen ja grenzenlos.
ulli - Charlottenburger Kiez-Kanonen, Politik - 04. September 2006 - 11:42
zwei Kommentare
Nr. 2, Marcel, 09.09.2006 - 20:47 Und hier ein nachdenklich stimmender Artikel: http://www.tagesspiegel.de/sonderthemen/.. |
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hallo,
guter artikel, ich sehe das auch so.
ich hatte auch schon gelegentlich unter den Kiezer News über diese themen geschrieben (#61 #44 u.a.).
ich würde da noch einen drauf setzen:
hartz IV und Co macht man ja nicht aus fairness und menschenfreundlichkeit, sondern um die menschen ruhig zu halten.
da man sich dessen aber nie sicher ist und man vorsorge zum schutz des angescheffelten eigenen reichtums treffen muss – baut man den überwachungsstaat massiv aus – und möchte die bundeswehr dann auch im eigenen land gegen die bevölkerung einsetzen können.
das alles hat nur diesen grund, alles andere ist nur (willkommener?, auf jeden fall vorgeschobener) vorwand.
den rückschluss mit Sarrazin kann ich allerdings nicht nachvollziehen und ich denke auch nicht, dass er das so gemeint hat.
Ich habe ihn einmal erlebt, als es darum ging, menschen in den pflegeheimen, die bisher übliche weihnachts-zugabe von ca. 20 euro im letzten jahr zu geben.
endgültig war jetzt mein treffen mit ihm auf dem spd lietzensee-fest vom letzten samstag. die mieter-ini vom klausenerplatz hatte sich ihn “gegriffen” und gute 20 minuten mit ihm in ruhe sprechen können.
Eine antwort von ihm: dann ziehen sie doch woanders hin, nach dem motto, gefällt ihnen die villa am starnberger see nicht, dann nehmen sie doch neuschwanstein. von werten wie, kiez, kiezer perspektiven, nachbarschaft, lebensumfeld, zuHause scheint er nichts zu kennen.
eine solche ignoranz habe ich so direkt selten erlebt.
http://www.klausenerplatz-kiez.de/images..