Jobcenter bizarr
„Irgendwann muss es ja mal auf den Tisch.
Auch wenn ich am liebsten nichts mehr davon hören würde, denn ich habe nicht gerade durch kämpferische Gegenwehr geglänzt, als ich die Erfahrung gemacht habe, von der ich gleich erzählen werde.
Um es gleich vorweg zu sagen: Alles fing ganz harmlos an. Mit einem Termin bei der Leistungsabteilung des JobCenters an einem schönen Sommertag morgens um acht...
Das schaffe ich zeitlich gerade noch vor der Arbeit, denke ich und stopfe die von meinem Sachbearbeiter angeforderten Kontoauszüge der letzten drei Monate in meine Tasche. Zugegeben, ein wenig wundert es mich schon, dass ich ausgerechnet während der Laufzeit meines Ein-Euro-Jobs einer Kontrolle unterzogen werde. Da hat der Computer mal wieder meinen Namen ausgespuckt, denke ich, dieses Mal eben für eine Routinekontrolle.
Mein zuständiger Sachbearbeiter bei der Leistungsabteilung ist nicht an seinem Platz. Ich werde ins Wartezimmer gebeten, eine junge Frau kündigt an, dass sie meine Akte heraussuchen wird. Ich wundere mich, dass sie noch nicht auf dem Schreibtisch meines Sachbearbeiters liegt. Schließlich habe ich einen Termin.Ein paar Minuten später werde ich ins Büro geholt. Drei oder vier Mitarbeiter des JobCenters haben sich mit ernsten Gesichtern locker im Raum verteilt. Einer von ihnen wendet sich mir zu. In seiner Hand bemerke ich einen dünnen Hefter. Meine Akte, denke ich. So sieht sie also aus.
„Ich bin von der Überprüfungsstelle“, erklärt er. Seinen Namen nennt er wohl auch, aber den vergesse ich in derselben Sekunde. Irgend etwas liegt in der Luft.
„Was überprüfen Sie denn?“, frage ich etwas ungeduldig und denke an die Kontoauszüge in meiner Tasche.
„Gegen Sie liegt eine Anzeige vor“, behauptet er kurz und bündig.
„Was für eine Anzeige denn?“, erkundige ich mich verblüfft.
„Eine anonyme Anzeige ist bei uns eingegangen. Sie sollen mit einem Mann zusammen leben und von ihm finanziell unterstützt werden. Bei uns sind Sie aber als alleinstehend geführt und erhalten den entsprechenden Regelsatz. Wir fahren jetzt in Ihre Wohnung, weil ich den Hinweisen nachgehen muss.“
Mir fällt die Kinnlade runter. Selten habe ich solchen Blödsinn über meine Lebenssituation vernommen. Und noch nie ein dermaßen rüdes Ansinnen. Ausgerechnet mir passiert so etwas, mir, die ich zehn Jahre lang nur die engsten Freunde in die Wohnung gelassen habe...
„Dürfen Sie das überhaupt?“, würge ich hervor. Schwindel überfällt mich.
Die Kollegen im Hintergrund scheinen zu nicken, obwohl ihre Köpfe sich nicht wirklich bewegen. Mein Gesprächspartner erwidert lakonisch: „Jeder, der hier steht, fragt das. Im Normalfall dürften wir das auch nicht. Aber weil eine Anschuldigung gegen Sie vorliegt, müssen und dürfen wir ihr nachgehen. Ich schlage vor, wir fahren jetzt zu Ihnen. Ich kann Sie mit dem Auto mitnehmen, wenn Sie mit der U-Bahn gekommen sind.“
„Aber das ist doch totaler Blödsinn–“, stammle ich.
„Ich habe schon ein paar Mal bei Ihnen geklingelt“, erwähnt der junge Mann. „Sie waren nie da, deshalb werden wir die Überprüfung heute vornehmen.“
Plötzlich dämmert mir, dass er es gewesen sein muss, den mein Nachbar vor etlichen Tagen morgens an der Haustür bei mir hat klingeln sehen, und der nicht sagen wollte, warum er bei mir klingelte, als mein Nachbar ihn ansprach. Der Mann ist fit wie ein Turnschuh, bemerke ich neiderfüllt. Er ist heute bestimmt schon seine fünf Kilometer gejoggt, als ich mich erst mühsam aus den Federn quälte. Ich fühle mich deutlich im Nachteil, und zu allem Überfluss muss ich mich auch noch mit einer völlig abstrusen Angelegenheit befassen.
Ich denke angestrengt über einen sinnvollen Fluchtweg nach, schließe für einen Moment die Augen, aber als ich sie wieder öffne, bin ich immer noch in diesem seltsamen Büro mit den drei offenen Türen, und die lose Gruppe mir unbekannter Menschen steht noch immer um mich herum. Sie sind sogar ein Stück näher gerückt.
Der Prüfer hält meinen aufrichtigen Versuch, mich zu dematerialisieren, für Unschlüssigkeit und versucht, mir die Sache schmackhaft zu machen. Er erläutert frei heraus: „Wir fahren jetzt einfach zu Ihnen und dann haben Sie’s hinter sich. Das ist das einfachste. Wenn jemand sich weigert, wirft das doch erst recht ein schlechtes Licht auf ihn. Man glaubt ja sofort, dass derjenige etwas zu verbergen hat. In diesem Fall müssen wir dann natürlich besonders gründlich prüfen.“
Ich bin dankbar für die maskulinen Personalpronomina, fast könnte ich ihm ins Gesicht lachen und mich in Luft auflösen, stattdessen stehe ich in meinem flotten Sommerröckchen mitten im Raum und merke, wie es vor meinen Augen zu flimmern beginnt. Die anderen Mitarbeiter sehen mich zwar taktvoller Weise nicht an, aber ich weiß, dass sie auf meine Reaktion warten.
Meine Wut verhindert, dass mir vollends schwindlig wird.
„Wer macht denn so was?“, bringe ich hilflos heraus. Angesichts der offensichtlichen Übermacht der Anwesenden wendet sich meine Empörung kapitulierend dem potentiellen Verursacher meiner Situation zu.
Mein Gesprächspartner versteht sofort. „Das dürfte ich Ihnen an diesem Punkt der Untersuchung nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste. Aber der Brief trägt keinen Absender. Überlegen Sie doch mal – hatten Sie mit jemandem Streit? Vielleicht gibt es einen Expartner oder Exmann, der Sie anschwärzen will?“
Ich starre ihn fassungslos an. Ein Abgrund heimtückischer, banalster Hinterhältigkeit tut sich vor meinem inneren Auge auf. Was, denke ich erschüttert, kommt dann wohl als nächstes? Ich hatte eigentlich gedacht, mit der nicht mehr zu unterbietenden Talsohle perfidesten Vertrauensmissbrauchs von Seiten von Exgefährten bereits konfrontiert worden zu sein, doch möglicherweise war ich da nicht phantasievoll genug gewesen. Ich schüttele nur stumm mit dem Kopf, kann und will mir das einfach nicht vorstellen.
Mein Gegenüber klimpert leise mit dem Autoschlüssel.
Ich überschlage rasch meine Möglichkeiten. Bring es hinter dich, sage ich mir, ohne glauben zu können, dass ich es bin, die das denkt. Soll er doch ruhig sehen, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Kein Papierkrieg, keine Grundsatzdebatten, keine Kürzungen am Regelsatz, und wer so einen widerlichen, gehässigen Quatsch über mich geschrieben hat, das werde ich auch noch rausfinden...
In diesem Moment wünsche ich mir zwar, eine Zulassung als Anwältin zu haben, deren Fachgebiet ausgerechnet der noch rechtsfreie Raum der neuen Hartz IV-Regelungen ist, aber ich bin so durcheinander, dass ich noch nicht mal daran denke, dass ich für diese Wohnungsüberprüfung einen Zeugen verlangen kann. Innerlich habe ich mich bereits weggebeamt, mein Astralleib befindet sich zusammen mit meinem Verstand und meiner Stinkwut auf einer sirianischen Umlaufbahn.
Als mein Überprüfer einige Minuten später für mich den Beifahrersitz von Wasserflaschen, Taschentüchern und Tankquittungen befreit hat und er das Auto vom Mitarbeiter-Parkplatz des JobCenters lenkt, habe ich bereits bei meiner Arbeitsstelle angerufen, um anzukündigen, dass ich mich verspäten werde. („Ach, Sie haben eine MAE-Stelle? Das war mir nicht bekannt. Sie können mein Handy benutzen.“ Später erst wird mir klar, dass er vermutlich sicherstellen will, dass ich nicht meinen vermeintlichen Mitbewohner anrufe. Der hätte ja sonst mitsamt Rasierwassersammlung, Herrenwäsche und dem jüngst erworbenen Paul Klee-Original aus der Wohnung türmen können, und dann wäre der ganze hübsche Überraschungseffekt verschenkt gewesen.)
„Keine Sorge, ich werde nicht in Ihre Intimsphäre eindringen“, beruhigt er mich auf der Treppe zu meiner Wohnung.
Ich zücke meinen Schlüssel und zeige auf meine schweren Arbeitsstiefel, die ich vor der Wohnungstür deponiert habe. „Denken Sie bloß nicht, die gehörten meinem Freund“, scherze ich tapfer. „Ich habe so große Füße.“
Ich bitte ihn hinein und lasse mir an der Tür zum Wohnzimmer die „Anzeige“ zeigen, die er in Kopie bei sich hat. Es ist einfach nur ein Brief! Ich kann es kaum fassen, dass die Vulgarität, die mir aus den Zeilen entgegenspringt, als „Anzeige“ bezeichnet wird, der das JobCenter dann auch noch nachzugehen berechtigt ist. Handschriftlich werden darin allgemeine und spezielle Behauptungen über mein Einkommen und meine persönliche Lage aufgestellt, mit denen mir Sozialbetrug unterstellt wird. Ich überfliege die ungelenken Zeilen angewidert. Mir fallen zwei allgemeine Floskeln ins Auge, die vor plumper, anmaßender Biederkeit triefen: "Ich sehe mich auch nicht als Denunziant... Meiner Meinung nach, wird sich über unseren Staat schon zu oft lustig gemacht!"
„Wer schreibt denn bloß so was...?“, kann ich nur wiederholen. „Vielleicht war es ja die Nachbarin unter mir, die sich aufregt, wenn ich abends in der Wohnung rumlaufe. Aber das wäre ja praktisch Overkill, deshalb ans JobCenter zu schreiben... So eine hinterhältige Tour, jemand will mir einfach massiv Ärger machen!“
Mein Prüfer wiegt verständnisvoll den Kopf. Anscheinend hat ihn meine Willfährigkeit milde gestimmt. Ich ahne wohlwollend, dass er sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. „Vor allem der Satz über den Job und das Einkommen Ihres Freundes“, räumt er auch tatsächlich ein. „Woher sollte der Schreiber denn überhaupt wissen, dass er Sie finanziell unterstützt...“
Nachdem ich mit gespieltem Gleichmut meine Kleidersammlung präsentiert habe – auf die fragende Geste meines Beobachters hin auch die einzelne Jeanshose am Bettende und meine Kollektion von maskulin wirkenden Hemdblusen und Jacken –, mustert er aufmerksam den Flachbildschirm in meinem Wohnzimmer.
Gerade frage ich mich, ob der junge Mann auch meine Zahnbürsten beachtet hat (ich habe wie immer fünf Stück in meinem Zahnputzglas), da will er schon gehen.
„Von meiner Seite aus ist die Sache abgeschlossen“, gibt er auf meine Nachfrage Auskunft. „Ich habe keinen Hinweis auf eine eheähnliche Gemeinschaft gefunden.“ Er schreibt etwas in die Akte.
„Soll ich Sie ein Stück mitnehmen?“, erkundigt er sich beim Abschied.
„Danke, aber ich muss in die andere Richtung“, entgegne ich und schließe betäubt die Tür.
Und tatsächlich – nachdem einige Zeit später schließlich auch meine Kontoauszüge kontrolliert sind – sind die Vorwürfe entkräftet, ganz wie es zu erwarten war.
Aber ich ärgere mich, dass ich nicht kämpferischer gewesen bin, dass ich mich nicht gegen das Vorgehen des JobCenters gewehrt habe. Ich wollte nur eins: dass sie ihre Akte wieder einpacken und mich in Ruhe lassen.
Natürlich habe ich inzwischen Strafantrag gestellt gegen den anonymen Schreiber. Ich konnte der Polizei außerdem Indizien vorlegen, die eine bestimmte Urheberschaft der Verleumdungen stark vermuten lassen. Die Staatsanwaltschaft wird sich der Sache annehmen, wenn auch die Mühlen sehr langsam mahlen.
Allerdings gab es einen sehr unangenehmen Nebeneffekt: Da das JobCenter nun schon mal meine Akte in der Hand hatte, konnte auch gleich festgestellt werden, dass meine Miete für einen Single-Haushalt zu hoch sei.
Die Aufforderung, meine Miete zu senken bzw. mir binnen knapp vier Monaten eine neue Bleibe zu suchen, hat mich in den letzten Wochen noch ein paar Nerven zusätzlich gekostet, doch nach einiger Zeit der Verhandlungen und der Wohnungssuche habe ich nun die Zusage meines Vermieters, dass meine Miete gesenkt wird. Somit kann ich also doch noch in meiner Wohnung bleiben. Mit der nächsten Betriebskostenabrechnung werde ich eventuell zwar wieder das Limit überschreiten und eine erneute Aufforderung zur Umsiedlung erhalten, aber ich kann die Wohnungssuche jetzt langsamer angehen und muss nicht mehr die nächstbeste noch so heruntergekommene Bude akzeptieren...
Aber das ist eine andere Geschichte.“
(Der Name der Autorin ist Ullrich Wegerich, sowie dem Kiez-Webteam bekannt)
ulli - Charlottenburger Kiez-Kanonen, Kiezreportagen, Menschen im Kiez, Politik - 11. September 2006 - 18:43
elf Kommentare
Nr. 2, Marcel, 27.09.2006 - 15:27 Dazu fand ich einen lesenswerten Artikel.. http://tinyurl.com/zrqsc |
Nr. 8, maho, 22.10.2006 - 23:36 mir kommen ja die Tränen, ist ja lächerlich. eben waren es noch 50% Abgaben. Aber rechnen will ja gelernt sein, auch das hatten wir schonmal, nichtwahr! |
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so sind wir wieder in den Zeiten der Denunziationen angekommen.
es darf sich wieder jedweder menschlicher schmutz bemerkbar machen und jubilieren.
dass es das gibt, nun das wird es immer geben.
dass es von der Politik gefördert wird, ist eine Schande.
Es wäre Aufgabe und Pflicht des Job-Centers eine Vorprüfung auf Ernsthaftigkeit durchzuführen und eine Darstellung des Beschuldigten einzuholen.
Vielleicht auch anonyme Anzeigen grundsätzlich sofort in den Papierkorb zu schmeissen.
Dazu gehört dann aber in jedem Fall noch eine klare und faire Rechtsbelehrung.
So kann und darf es nicht sein – Schämt euch Politiker.
Ich würde auch Anzeige gegen das JobCenter stellen.