Ein Aufklärer im Wortsinn
Klaus Wowereit, seines Zeichens Regierender Bürgermeister von Berlin, hat unbestritten das Zeug zum Produzenten geflügelter Worte. Sein Befund, Berlin sei arm, aber sexy, ist noch in aller Munde und ziert sogar Einkaufstüten. Unvergessen auch sein flapsiger Kommentar zur Selbstveröffentlichung seiner Homosexualität im Sommer 2001: „Und das ist auch gut so.“ Mit seinem reklamierten Stolz befindet sich der Regierende in guter Gesellschaft: So leben in der deutschen Hauptstadt geschätzte 200 000 Schwule und Lesben, und der CSD, der jedes Jahr Ende Juni karnevalsähnlich gefeiert wird, ist längst als Touristenmagnet der Stadt etabliert. Doch kann Partygänger Wowereit nur deshalb so heiter dreinschauen, weil er auf den Schultern von Riesen steht. Besonders auf denen von Magnus Hirschfeld, dem Ahnherrn der deutschen Schwulenbewegung, an den eine bronzene Säule vis-à-vis des Rathauses Charlottenburg erinnert.
In dem kriegszerstörten Haus auf dem Grundstück in der Otto-Suhr-Allee 93 lebte und arbeitete der 1868 geborene Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. 1897 gründete er mit drei Gleichgesinnten in seiner Wohnung das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee WhK. Es verfolgte das Ziel, über gleichgeschlechtliche Sexualität aufzuklären und diese als eine natürliche Triebrichtung darzustellen, für die der Einzelne nicht bestraft werden dürfe. Ende 1897 verfasste das WhK seine erste Petition an den Reichstag mit dem Ziel, den § 175 RStGB, der männliche Homosexualität kriminalisierte, abzuschaffen. Im Jahre 1919 gründete Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft, die Quelle seiner empirischen Forschung und seines wachsenden Ruhms. 1933, als er sich im Ausland befand, zerstörten die Nazis sein Institut und verbrannten seine Bücher. Als Jude, Schwuler und Sozialist war er ihnen gleich dreifach verhasst. Magnus Hirschfeld starb 1935 im Exil in Nizza.
In seinem Buch „Berlins drittes Geschlecht“ von 1904, einer sympathisierenden Ethnographie der homosexuellen Subkultur, widmete er sich den Schwulen und Lesben der Großstadt. Unter dem Begriff des „Dritten Geschlechts“ subsumierte Hirschfeld neben Homosexuellen auch Invertierte, Urninge und Transvestiten. Diesen Kategorien war gemein, dass sie Menschen bezeichneten, die den gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Geschlechtsrolle, die aus dem biologischen Geschlecht entsprang, nicht entsprachen. Mit seinem außeruniversitär geführten Institut für Sexualwissenschaft gab Hirschfeld seinem Engagement für eine Liberalisierung der Sexualität einen weit gespannten Rahmen. Hier fanden kostengünstige Beratungen zu Familienplanung, Eheproblemen, Schwangerschaft und Abtreibung statt, die vielfach von Menschen aus der Arbeiterschicht in Anspruch genommen wurden.
Die gut zwei Meter hohe anthrazitfarbene Säule mit einem Relief von Hirschfelds Kopf und einem kurzen Text, ein Werk des Künstlers Emanuel Scharfenberg, erinnert an einen mutigen Aufklärer im Wortsinn. In der alten Bundesrepublik, wo der § 175 noch unverändert bis 1969 galt und erst 1992 ersatzlos gestrichen wurde, beriefen sich frühe schwule Aktivisten wie der Filmemacher Rosa von Praunheim ausdrücklich auf Hirschfeld und seinen Kampf für Toleranz und Akzeptanz. Die von den Nazis verwüstete homosexuelle Subkultur ist längst wieder neu erblüht. Wie in den 1920er Jahren, siedeln die einschlägigen Lokale überwiegend in Schöneberg, neuerdings auch in Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Auch wenn das heutige Charlottenburg nicht gerade ein queerer Stadtbezirk ist, kann es sich doch rühmen, dass in seinen Mauern die Entwicklung geschlechtlicher Vielfalt ihren Anfang nahm. Beschämend allerdings, dass keine offizielle, sondern eine private Initiative dieses Wissen lebendig hält.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Geschichte, Gesellschaft - 10. April 2008 - 00:12
Tags: berlin/charlottenburg/magnus_hirschfeld
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