Ein reiner Solitär
Die Gegend um den Lietzensee, am Südrand des Kiezes gelegen, ist seit der Gründerzeit eine feine Adresse. Das großbürgerliche Flair hat sich über die Jahrzehnte erhalten, mangels industriell wichtiger Gebäude hat es kaum Kriegsschäden gegeben. An repräsentativem Raum herrscht hier kein Mangel: im vergangenen Winter wurde eine ganze Etage über 510 qm zum Bezug angeboten, und unlängst sind im ehemalige Kammergericht Premiumwohnungen fertig gestellt worden. Rund um den See residiert eine arrivierte Boheme, hier haben Anwälte und Steuerberater ihre Kanzleien und Ärzte ihre Praxen. Und stets ist die Gegend ein Magnet auch für Künstler und Intellektuelle gewesen. Mit etwas Glück begegnet die luft- und sonnensuchende Spaziergängerin am Ufer einem prominenten Neuzuzug: seit einigen Monaten wohnt Romy Haag vor Ort in einer ruhigen Seitenstraße.
Die Entertainerin, 1951 in Den Haag geboren, ist ein wahres Gesamtkunstwerk, bestehend aus Phantasiekostüm und High-End-Make-Up, Rampenlicht und großer Geste, Glamour und Verruchtheit, Chansons und Melancholie. Sie steht für eine Zeit, in der Transfrauen keine andere Wahl gelassen wurde, als sich im Rotlichtmilieu zwischen Strich und Cabaret zu verdingen. Aus dieser Not macht sie aber eine Tugend: „Ich habe mich immer darüber geärgert, dass ich nichts Vernünftiges gelernt habe, aber da eine bürgerliche Karriere für mich nicht in Frage kam, war Romy Haag zu sein immer auch ein Geschäft.“ Mit 13 Jahren verlässt das verträumte Kind das Elternhaus in Richtung Hamburg, um auf der Reeperbahn zu kellnern. Mit Beginn der Pubertät setzt ein spärliches Brustwachstum ein, das durch die Einnahme von Östrogenen verstärkt wird. Bereits als Frau lebend, kommt Edouard nach Paris, nennt sich fortan Romy Haag und feiert als Revuetänzerin erste Erfolge.
Im Jahre 1974 eröffnet sie in Berlin ihren eigenen Nachtclub „Chez Romy Haag“. Der märchenhafte Ruhm des Etablissements, das das Nachtleben des alten Westberlin gehörig aufmischt, lässt sie zum Dauerthema der Boulevardpresse werden. Zu ihren Gästen zählen Rolf Eden und Mick Jagger, Grace Jones und Freddy Mercury, Nina Hagen und Rainer Werner Fassbinder. Hier lernt sie auch David Bowie kennen, mit dem sie eine schlagzeilenträchtige Affaire eingeht. Nach der Schließung des Clubs Anfang der 1980er Jahre beginnt sie eine Karriere als Sängerin, Klaus Hoffmann und Udo Lindenberg schreiben Texte für sie. Sie spielt in diversen Filmen mit und moderiert eine Show im Fernsehen. Mit den Jahren ist es ruhiger geworden um Romy Haag. Sie ist zwar eine feste Größe im Showbusiness, wirkt mit ihrem bombastischen Make-up und ihrer knalligen Garderobe aber ein wenig démodée.
Romy Haag ist ein reiner Solitär, kostbar und blendend. Sie ist eine ironiefreie Inszenierung ihrer selbst, eine Frau in Anführungszeichen, wie geschaffen für den Laufsteg. Ihr Antlitz ist noch immer glatt und weich wie ein reifer Pfirsich, Botox und Silikon sei Dank. Gelegentlich tritt sie in den „Wühlmäusen“ am Theodor-Heuss-Platz auf, ihre letzten Programme hießen „Balladen für Huren und Engel“ und „Frauen, die ich nicht vergessen kann“. Sie sagt von sich: „Ich glaube, man kann den Dingen ohnehin nicht aus dem Weg gehen. Die Wahrheit ist vielmehr: Sie tragen sich zu. Und ich hatte das Talent, das Beste aus einer Situation zu machen.“ Nach den wilden Jahren in Schöneberg und nach der Wende in Mitte nun also Charlottenburg, inmitten der zahlreichen Flaneure in Erwin Barths verwunschener Parklandschaft. Romy Haag verweilt bei einem Glas Champagner im Hotel Seehof oder einer Zigarette zum Mokka im Stattcafé. Als gläubige Buddhistin trägt sie zusätzlich den Namen Karma Sonam Lhamo - Göttin der geistigen Verdienste. Der Titel passt.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur, Menschen im Kiez - 02. Mai 2008 - 01:22
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