Was hat Deutschland eigentlich mit Afghanistan zu schaffen?
Warum hatte die deutsche (Schröder-Fischer-)Regierung im Dezember 2001 zur weichenstellenden Afghanistankonferenz eingeladen?
Warum hat die deutsche Bundeswehr im Rahmen der Natounternehmung Isaf eine führende Rolle in Afghanistan eingenommen, und zwar die Oberaufsicht über das Regionalkommando Nord, außerdem noch die Polizeiausbildung für ganz Afghanistan?
Warum sind der Merkel-Steinmeier-Regierung 30 tote deutsche Soldaten und Militärausgaben von fast 3 Mrd. Euro nicht zuviel?
Also: Wieso engagieren sich deutsche Regierungen mit SPD-, CDU- und Grüne-Partei-Beteiligung so stark in Afghanistan?
Struck (SPD), als er vorübergehend Bundesverteidigungsminister war, gab als Antwort: "Die Freiheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt." Einige Jahre später sind immer weniger Menschen von dieser Antwort überzeugt - und doch hat sich die Bundesregierung vor wenigen Tagen (Oktober 2008) durch den willigen Bundestag ihre Aktivitäten dort um 14 Monate verlängern und gleichzeitig die Obergrenze an verfügbaren Soldaten um über 25% auf 4500 erhöhen lassen.
Denn es gibt noch eine zweite Antwort auf obige Fragen, und die läßt sich zusammenfassen in dem Begriff "besondere Beziehungen". Dieser Begriff wird gerne immer dann verwendet, wenn eine ehemalige Kolonialmacht erklärt, warum sie sich für ihre ehemaligen Kolonien besonders "verantwortlich" fühlt. Zwar war Afghanistan nie eine deutsche Kolonie, aber es gibt zwischen den beiden Staaten seit dem deutschen Kaiserreich - über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus bis hin zur BRD - "historsch gute Beziehungen" (Deutsche Welle, 13.8.2007). Und das ging so:
Seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war man bemüht, für Deutschland einen "Platz an der Sonne" zu erlangen. Dafür wurden die kaiserlichen Regierungen auch Richtung Asien tätig: Man beteiligte sich mit an der Aufteilung Chinas (bekam allerdings nur einen winzigen Brocken), stellte enge Beziehungen zum Osmanischen Reich her (u.a. zum Bau der Bagdadbahn Richtung irakischem Öl) und baute mit Hilfe von Krupp eine Munitionsfabrik in Kabul. Die Aktivitäten in Afghanistan wurden während des Ersten Weltkrieges ausgeweitet, mit dem Ziel, die afghanische und die indische Freiheitsbewegung gegen England zu unterstützen (Indien war damals eine britische Kolonie, das formal selbständige Afghanistan britisches Einflußgebiet), um so eine weitere Front gegen England im Krieg aufzubauen. Diese Politik endete durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg.
1924 wurde dann eine deutsche Schule in Kabul gegründet (die es heute noch gibt), was in Verbindung mit dem Studium von zahlreichen ihrer Absolventen in Deutschland dazu führte, daß sich ein starker deutscher Einfluß in Afghanistan etablierte. (So erklärt sich, daß verschiedene afghanische Minister heutzutage Deutsch sprechen.)
Während der Zeit des Nationalsozialismus gab es erneut militärische Zusammenarbeit (wieder mit Britisch-Indien als Ziel): Eine Sondereinheit der Reichswehr ("die Brandenburger") wurde nach Afghanistan geschickt. Aber damit war 1945 auch Schluß.
In den 50er bis 70er Jahren engagierten sich nunmehr die Regierungen der neuentstandenen BRD mit billigen Entwicklungshilfekrediten und auch auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet (Errichtung einer Technischen Oberschule und des Goethe-Instituts in Kabul) in Afghanistan. Mit dem sowjetischen Einmarsch 1979 ging auch diese Phase zuende.
Und dann erneut 2001 ...
Es läßt sich folgendes Fazit ziehen: Deutschlands jeweilige Regierungen und deutsche Unternehmen sind (unter insgesamt vier verschiedenen Staatsformen) hartnäckig seit über hundert Jahren militärisch und zivil in Afghanistan tätig. Es wird also dort heutzutage vielleicht nicht gerade "die Freiheit Deutschlands" verteidigt, aber auf alle Fälle ein "traditionelles" deutsches Einflußgebiet in Asien.
Quellen: Deutsche Welle, 13.8.2007; Indymedia, 7.9.2007.
Siehe auch: Conrad Schetter, Kleine Geschichte Afghanistans, München (Beck) 2004 - in der Stadtbücherei: G 610 Sche.
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Geschichte, Politik - 25. Oktober 2008 - 00:29
Tags: afghanistan/hindukusch
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