Ein Rad für alle Zeiten
Leider ist Rennradfahren sehr wetterabhängig. Während es sich im Sommer wie von selbst fährt, muss, wer im kalten Grau des Winters auf die Strecke will, sich warm anziehen. Neoprengamaschen über den Schuhen, ein mitatmendes Trikot unter dem Windstopper, Ohrenwärmer und wasserdichte Fleecehandschuhe erlauben das unentwegte Fahren, solange der Frost die taufeuchten Straßen Richtung Wannsee und Potsdam noch nicht vereist. Und wenn doch? Wer es sich zeitlich und finanziell erlauben kann, fliegt für ein paar Wochen auf die Kanaren und tourt im betörenden Lichte ewigen Frühlings. Eine klägliche Simulation des Gleitens in salziger Luft bieten der Heimtrainer oder das Spinningrad im Studio. Für alle anderen gibt es hier im Kiez eine wärmende Adresse, zu stillen die Sehnsucht nach täglichen Etappen im kurzen Dress durch Lavendelwiesen und Thymianduft auf beschatteten Alleen der Provence. Im Fahrradladen „Campandi“ in der Knobelsdorffstraße 47 lässt es sich mit dem Inhaber Andreas Heinze trefflich fachsimpeln über Tour de France und Giro d’Italia, Tempotraining und Bergzeitfahren in den Dolomiten.
Als Heinze vor einem halben Jahr sein Geschäft eröffnete, war es purer Zufall, dass er sich in direkter Nachbarschaft zum „Giro d’Espresso“ wieder fand, betrieben von einem ehemaligen Rennradprofi. Kein Zufall hingegen, sondern schiere Absicht ist Heinzes Spezialisierung: im „Campandi“ fühlt sich die Kundin zeitversetzt in die 1960er und 70er Jahre. An den Wänden hängen Fotos und Plakate im graphischen Stil dieser Zeit. Schnittige Triathlonmaschinen aus Carbon sucht man hier vergebens, stattdessen stehen zeitlos schöne Räder mit echtem Gios-Stahlrahmen im Laden. Namen wie Bianchi, Colnago, Pinarello, Peugeot, Motobecane und Gitane beschwören eine Radsportepoche lange vor Epo, Helmpflicht und Klickpedale. In liebevoller Kleinarbeit montiert Heinze alte, aber funktionstüchtige Komponenten, bevorzugt von der italienischen Edelschmiede Campagnolo an die Rahmen, und es entsteht zum Beispiel ein Rad des Toursiegers von 1978. Zu erstehen zu erstaunlich günstigen Preisen. Mit seinem Retrosortiment liegt Heinze, überzeugter Kiezler seit Jahrzehnten, voll im Trend. Nicht jeder neue Werkstoff ist zwangsläufig besser als sein Vorgänger, zumal das puristische Design auch ästhetisch überzeugt.
Heinze, der in seinen jungen Jahren schon mal auf 30 000 Trainingskilometer im Jahr kam, glaubt fest an seine Nische auf dem umkämpften Fahrradmarkt. Der bisherige Kundenzuspruch gibt ihm Recht, auch wenn es im Verlauf des nächsten Jahres durchaus noch lebhafter werden darf. Gut gewählt ist der Standort in Charlottenburg mit der Nähe zum Grunewald allemal. Übrigens werden auch Arbeiten an von Heinze so genannten Lastenrädern prompt ausgeführt. Sein Herz aber schlägt unbeirrt für das sportliche Fahren, ob im Trainingslager auf Mallorca im Frühling oder bei der morgendlichen Ausfahrt über den Kronprinzessinnenweg und die Havelchaussee. Schließlich ist ein veritables Rennrad nur schwer in den Winterschlaf zu singen. Die Kundin hat jedenfalls das süße Gefühl, bereits mit der Abgabe ihres Pinarello zur winterlichen Inspektion den Grundstein für ihre Kondition zu legen, mit der sie in der nächsten Saison glänzen wird. Über der Eingangstür dreht sich ein Laufrad mit breiten Speichen im Wind. Es scheint ihr zuzurufen: Immer in Bewegung bleiben!
Campandi Fahrradladen
Knobelsdorffstraße 47
14059 Berlin
Telefon 88 76 21 56
Montag bis Freitag von 12:00 bis 18:30
Andrea Bronstering - Gastautoren, Gewerbe im Kiez - 11. Dezember 2008 - 00:14
Tags: campandi/klausenerplatz/knobelsdorffstrasse
zwei Kommentare
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Hallo Leute,war gestern mal in dem Laden.Schöne Campasachen und der Verkäufer hat auch Ahnung von der Materie.
grüße
Hansi