Leseempfehlung (5) - David Macaulay
Wie viele andere Jungen, so war auch David Macaulay (geboren 1946) als Kind von technischen Dingen fasziniert, und das heißt auch: er war neugierig, wie sie innen aussehen und wie(so) sie funktionieren. Er hat sich diese frühe Faszination über seine Kindheit hinaus bewahrt und sie zu seinem Beruf gemacht, indem er Architektur studierte und u.a. als Zeichenlehrer und Designer tätig war, um schließlich durch die Verbindung dieser beiden Interessen zum Autor und Illustrator von Büchern zu werden, in denen es meist ums Bauen geht.
Die Baukunst umfaßt einen künstlerischen und einen technischen Aspekt. Während der künstlerische Aspekt je nach Art des Bauwerks eine unterschiedlich große Rolle spielt - bei repräsentativen Gebäuden sehr, bei Ingenieursbauten wie einem Tunnel kaum -, ist der technische Aspekt für jegliche Art von Bauwerk gleichermaßen wichtig: hierbei geht es um die dem Bauzweck und den Baustoffen angemessene Bauweise auf der Grundlage der Naturgesetze. Das ist das Thema von David Macaulays Büchern, nicht jedoch kunstgeschichtliche oder stilkundliche Gesichtspunkte. Allerdings stellt er die Entstehung von Bauwerken nie isoliert dar, sondern bettet sie immer in einen sozialen und historischen Zusammenhang ein (tatsächlich oder fiktiv), aus dem heraus deutlich wird, warum das betreffende Bauwerk entstand und wie es genutzt wurde.
Typisch für David Macaulays Bücher ist die enge Verzahnung von präzisen Texten und detailgenauen Zeichnungen; hinzu kommt am Ende jedes Buchs ein Glossar, in dem die wesentlichen bautechnischen, z.T. auch kulturellen Begriffe erläutert werden. Durchweg haben die Zeichnungen das Übergewicht. Mithilfe von Längs- und Querschnitten, ungewöhnlichen Perspektiven, 'unmöglichen' Durchblicken und immer wieder Schritt-für-Schritt-Darstellungen (in einem einzigen Bild oder auf mehrere verteilt) gewinnt der Leser einen anschaulichen Eindruck.
Zwar sind alle Bücher, die ich im folgenden etwas näher vorstellen werde, für Jugendliche ab etwa 10 Jahren bestimmt (weswegen sich alle Signaturen auf die Jugendabteilung der Stadtbücherei beziehen), aber jedes einzelne ist auch für interessierte Erwachsene absolut lesenswert.
(a) Eine größere Gruppe von David Macaulays Büchern beschäftigt sich mit der Entstehung herausragender Bauten aus verschiedenen Epochen: Wo die Pyramiden standen (G 227 Maca), Sie bauten eine Kathedrale (nur in der Medienbox), Es stand einst eine Burg, Sie bauten eine Moschee (K 207 Maca). Mit Ausnahme des letzten Bandes sind alle als Taschenbuch bei dtv junior erschienen (Preis 7 bis 8 Eu). Keines der Gebäude, deren Entstehung David Macaulay beschreibt, gab oder gibt es wirklich, vielmehr handelt es sich sozusagen um eine 'typische' Pyramide, Kathedrale u.s.w. Diese Herangehensweise macht es ihm möglich, die grundsätzlichen Merkmale der verschiedenen Typen von Bauten gebündelt darzustellen. Darüber hinaus erfährt der Leser immer auch einiges über den kulturgeschichtlichen Zusammenhang, z.B. über das Leben in einer römischen Stadt oder über die verschiedenen Zwecke einer Moschee.
(b) Technische Bauten, also Bauwerke, die in erster Linie durch ihre praktische Funktion definiert sind, sind das Thema weiterer Bücher: In seinem Großen Buch der Bautechnik (T 600 Maca; leider ist die deutsche Übersetzung an einzelnen Stellen nicht optimal) beschreibt David Macaulay die Errichtung existierender Bauten aus den Bereichen Brücke, Tunnel, Staudamm, Kuppel und Wolkenkratzer, darunter den Petersdom in Rom, die Golden Gate Bridge (besonders ausführlich) und den Kanaltunnel. Nahezu gänzlich unsichtbar sind die Baumaßnahmen, um die es in Unter einer Stadt geht (auch bei dtv junior): Fundamente, U-Bahnen, Kanäle, Röhren und Leitungen jeglicher Art. David Macaulay macht dabei nicht nur den Boden unter unseren Füßen durchsichtig und verschafft dem Leser ungeahnte Einblicke in das unterirdische Versorgungsnetz einer Stadt, sondern erklärt auch die jeweiligen Funktionen der Tiefbauten.
(c) Für alle, die wissen wollen, wie die vielen technischen Geräte unseres Alltags funktionieren, hat David Macaulay Das große Mammutbuch der Technik verfaßt (T 100 Maca; die überarbeitete Fassung von 2005 ist farblich besser gelungen), in dem er viele hundert "Maschinen" erklärt, sei es das Sicherheitsschloß (schiefe Ebene), den Laser (Wellen) oder den Fotokopierer (Elektrizität). Dabei werden die verschiedenen Gebiete der Physik berührt und erläutert, so daß man hier gleichzeitig ein sehr wirklichkeitsnahes Physiknachschlagewerk vor sich hat: Jemand, der sich z.B. auf die Führerscheinprüfung vorbereitet, findet allein drei Dutzend Einträge zum Auto. Wer mehr über die Elektronik um uns herum verstehen will, hat dazu Gelegenheit in einem eigenen großen Kapitel.
Das letzte Buch fällt etwas aus dem Rahmen, aber es gab immerhin den Anstoß zu dieser Leseempfehlung; es handelt sich um das Bilderbuch Die Abkürzung (60 S., antiquarisch ab ca. 9,90 Eu, ab 4 Jahren; Stadtbücherei: 1 Abkü).
Auf den ersten Blick ist das eines der Bücher für kleinere Kinder mit vielen großformatigen Bildern und kurzen Texten. Die Bilder sind mit lockerem Stift gezeichnet und kräftig koloriert, und zusammen mit den Texten zeugen sie vom trockenen Humor des Autors. Erzählt wird, wie Albert und seine Stute June am Marktag die übliche Ladung Melonen in die Stadt karren und abends zufrieden zuhause vor dem Fernseher sitzen; soweit das erste Kapitel. In den folgenden neun sieht man, welche Folgen dieser Melonentransport für Paulas Schwein Perle, Professor Kuckuck, Bob und Sybille hat. Allerdings erschließt sich das einem nur wirklich, wenn man ganz in die Bilder eintaucht. Am Ende erweist sich die scheinbar einfache Geschichte als ein dichtes Geflecht von Ursachen und teilweise weitreichenden Wirkungen: ein Vergnügen für die Augen und einen wachen Verstand.
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Kinder und Jugendliche, Kunst und Kultur, Technik - 17. März 2009 - 00:02
Tags: architektur/baukunst/david_macaulay
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