Wohlfeile Lebenshilfe für minderjährige Scheidungsopfer
In den fünf Besprechungen, die Mitte März 2009 im Internet zu diesem Buch zu finden sind, äußern sich vier sehr positiv: daß es eine "einfühlsame, leise Geschichte " (Amazon) sei, "verspielt und tiefsinnig zugleich" (FAZ.net), "leise und ganz auf Augenhöhe (der) Leserschaft" (Kinderbuch-Couch), begleitet von "klaren, zarten Illustrationen, sehr einfühlsam" (Kinderbuch-Couch) respektive "kleinen, poetischen Aquarellen" (titel-magazin).
Wie paßt dieser ästhetisierende Umgang mit dem Thema Scheidung zu dem Leiden von über einer Million Kindern, deren Zahl Jahr für Jahr um weitere 90.000 wächst (noch nicht mitgezählt die Kinder, deren Eltern unverheiratet zusammengelebt hatten) und die in der Mehrzahl schwer an der Trennung ihrer Eltern und den dann folgenden Auseinandersetzungen zu tragen haben? - Das paßt nur deshalb, weil der Autor sich eine Geschichte ausgedacht hat von einem Vater, der aus beruflichen Gründen (er ist Naturfotograf, Spezialgebiet Vögel) still und am Ende praktisch inexistent geworden ist. Da fällt es Lena (11) natürlich schwer, traurig zu sein, daß "er morgen weg ist". Und als der Vater an seinem letzten (!) Tag plötzlich doch noch mit ihr und ihrem siebenjährigen Bruder (zum ersten Mal?) spielt - wie schön für Lena und Leser, daß seinem Auszug auch noch ein positiver Aspekt abgewonnen werden kann, nämlich "Raum für Hoffnung" (Kinderbuch-Couch).
Wie kommt es, daß die vier Rezensenten (kritisch hingegen: Eltern Blog)
von einer so wenig realistischen Geschichte derart begeistert sind? -
Man kann geradezu ihre Erleichterung spüren, daß die Geschichte
"keine(m) schuld gibt" (titel-magazin), denn man weiß ja: der Verlust
eines Elternteil ist "kein Schicksalsschlag, es ist nichts anderes als
traurige Normalität" (FAZ.net). Diese Einstellung hilft natürlich sehr,
Fragen nach der gemeinsamen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder
zu vermeiden. Sie läßt sogar übersehen, wie brutal diese Geschichte mit
dem 'Kindeswohl', das bekanntlich 'im Mittelpunkt steht', tatsächlich
umgeht: Die Eltern holen sich keine Hilfe von außen; sie entscheiden
über die Köpfe ihrer Kinder hinweg über das Ende ihrer gemeinsamen
Familie und verkünden ihre Entscheideung beim Frühstück; Lenas
Widerspruch (Seite 52: "Dann bleib doch einfach hier.") ist
selbstverständlich zwecklos.
Fazit: Dieses Buch ist auf keinen Fall
für Kinder empfehlenswert, da die hier erzählte Geschichte ihren
Schmerz nicht ernst nimmt. Ob es "ein tolles Trennungsbuch - für Erwachsene" (Amazon) ist, mögen diese selbst entscheiden.
Do van Ranst, Morgen ist er weg, Coppenrath-Verlag, 63 Seiten, 9,90 Eu
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Gesellschaft, Kinder und Jugendliche - 25. März 2009 - 00:04
Tags: kindeswohl/scheidung/trennung
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