Frau K.
Frau K. singt bei ihrer Arbeit gern einmal und lacht viel. Sie strahlt Lebensfreude und Optimismus aus. Das ist schon erstaunlich, wenn man aus ihren Berichten weiß, wie es ihr noch vor dreieinhalb Jahren ging. Damals war sie nahe daran, in den Rollstuhl zu müssen, und es fehlte ihr der Lebenswille nach Jahrzehnten der Krankheit: Schon von frühauf hatte sie an Migräne gelitten; hinzugekommen waren infolge des exzessiven Gebrauchs von Schmerzmiteln Probleme mit Nieren und Schilddrüse, Magenbluten, Unterzuckerung und Hautkrankheiten. Dann hatte ein Arzt eine Operation zur Linderung der Schmerzen vorgeschlagen, die aber zu dauerndem Kopfschiefstand geführt hätte. Schließlich wurde Frau K. in eine Entziehungsklinik eingeliefert, um sie dort von den Tabletten zu entwöhnen; man ließ sie mehrere Tage ohne Medikamente mit ihren Schmerzen allein und erklärte ihr ihre Verzweiflung als eine Entzugserscheinung.
Im Januar 2006 testete Frau K. zum ersten Mal die medizinische Massageliege, für die sie jetzt arbeitet, und als nach vier Monaten ihre Migräne weg war, kaufte sie sich eine eigene Liege für zu Hause. Am Ende jenes Jahres begann sie dann als ehemalige Kundin für diese Firma zu arbeiten, also die Kunden während der Massage zu betreuen bzw. den wartenden Kunden Vorträge zu halten.
Frau K.ist dankbar dafür, daß ihr Leben solch eine Wende genommen und sie sogar mit 66 Jahren noch eine Arbeit gefunden hat und Geld dazuverdienen kann, auch wenn es nicht viel ist. Wichtig ist ihr dabei vielmehr, daß sie anderen, denen es körperlich so schlecht geht wie ihr vormals, Mut machen und Hoffnung auf ein besseres Leben geben kann.
Zwar fällt es ihr nicht leicht, vor bis zu 29 Menschen zu sprechen. Aber sie hat mit Erstaunen festgestellt, daß die Befreiung von den Schmerzen und all den weiteren Krankheiten auch ihren Geist und ihre Seele befreit hat. War sie früher eher ängstlich, schüchtern und traute sich nichts zu und kamen ihr die anderen viel hübscher, schlanker und klüger vor, so wurde ihr jetzt bewußt, daß auch sie Fähigkeiten hat, von denen sie gar nichts geahnt hat und die es zu entwickeln gilt.
Eine ihrer neuentdeckten Fähigkeiten besteht eben darin, vor anderen in ihrer humorvollen Art über ihre eigenen früheren gesundheitlichen und familiären Probleme zu sprechen, um so den Zuhörern die Möglichkeit zu geben, sich in ihr wiederzuerkennen und zu sehen, daß es einen Ausweg gibt.
Überhaupt spürt Frau K., daß jetzt "die Zeit reif ist, Dinge zu tun, von denen ich früher nur geträumt habe oder zu denen ich gesagt habe: ‘Kann ich nicht.’ ". Zu diesen neuen Dingen gehört ihre Absicht, ein Buch über ihr Leben zu schreiben und eine Fremdsprache zu erlernen. Mit Gitarrespielen hat sie schon angefangen. Auch hat sie keine Angst vor dem Alter mehr. Vielmehr fühlt sie, daß sie eine Aufgabe hat, die sie zusammenfaßt in den Worten: "Alle haben die Chance, genauso glücklich zu sein wie ich." Von dieser Idee läßt sie sich bei ihrer jetzigen Arbeit leiten, und da mit ihrer körperlichen Gesundung auch ihr Selbstbewußtsein gestiegen ist, trägt sie eben manchmal vor ihren Kunden Lieder vor, darunter auch eigene Texte.
MichaelR
* Siehe auch: "In der Welt der kostenlosen Massage"
Michael R. - Gastautoren, Menschen im Kiez - 11. Juni 2009 - 00:02
Tags: berlin/massage/migräne
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