Eine spröde Renaissance
Im europäischen Vergleich ist Berlin eine junge Stadt. Urkundlich nachweisbar zwar seit 1237, hat sich die Stadt auf märkischem Sand aber erst mit der Reichgründung zu einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Metropole entwickelt. Bis 1871 war Berlin eine deutsche Residenzstadt neben anderen, vor allem bekannt als Zentrum der Verwaltung und des Militärs Preußens. Doch reicht die kulturelle Tradition des Hauses Hohenzollern bis an den Beginn der Neuzeit zurück. Im Zuge der Reformation trat Kurfürst Joachim I. zum protestantischen Glauben über, sein Sohn Joachim II. ließ von 1538 an das Stadtschloss auf der Spreeinsel ausbauen. Diese politische Aufwertung Berlins fand ihre repräsentative Begleitung in vermehrten Aufträgen an bildende Künstler. Der kursächsische Hofmaler Lucas Cranach d. Ä. schuf in seiner Werkstatt zahlreiche Altäre, Tafeln und Portraits, die zum Sockel der preußischen Kunstsammlungen wurden. Vermittelt über Cranach, kam die Renaissance gut 200 Jahre nach ihrem Einsetzen in den norditalienischen Stadtstaaten in künstlerischen Ausläufern in Brandenburg an. In einer üppigen Schau im Schloss Charlottenburg präsentiert die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) nach umfangreicher Restaurierung die malerischen Werke Cranachs, die dieser für die Brandenburger Regenten in Berlin schuf.
Lucas Maler wurde 1472 im fränkischen Kronach geboren. Nachdem sein Vater ihm erste Grundlagen der Malerei vermittelte, ging er auf Wanderschaft und kam 1501 nach Wien. Bereits zu dieser Zeit signierte er seine Bilder mit Lucas Cranach (i. e. Lucas aus Kronach). 1505 erhielt er eine Anstellung als Hofmaler bei Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen. Cranach richtete nach dem Vorbild italienischer Renaissancemaler in Wittenberg eine Werkstatt mit zahlreichen Gesellen ein und akquirierte Aufträge zur Ausstattung von Kirchen und Schlössern mit Gemälden. Zudem arbeitete er für den entstehenden freien Kunstmarkt, für den er vor allem Druckgrafiken anfertigte. Sein wachsender Wohlstand erlaubte es ihm, neben der Malerei eine Apotheke zu betreiben und als Verleger aufzutreten. 1519 wurde er als Kämmerer in den Rat der Stadt Wittenberg gewählt, seit 1537 stand er mehrfach als Bürgermeister dem Gemeinwesen vor. Er lernte seine berühmten Kollegen Albrecht Dürer und Tizian kennen und schloss Freundschaft mit den späteren Reformatoren Philipp Melanchthon und Martin Luther, dessen Bibelübersetzung von 1522 er illustrierte. Gemeinsam mit Dürer und Hans Holbein d. J. zählt er zu den bedeutendsten Malern des frühen 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen. Er starb 1553 in Weimar, wohin sein Dienstherr im Zuge der Kriegswirren hatte emigrieren müssen.
Die Ausstellung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg zeigt die Bandbreite des Cranachschen Schaffens. Zu sehen sind Passionsaltäre in spätmittelalterlicher Tradition neben Darstellungen der griechischen Mythologie sowie Portraits der Kurfürsten und ihres Hofstaats. Cranach bedient zum einen geschickt das Bedürfnis seiner Kundschaft nach religiöser Frömmigkeit und kommt zum anderen ihrem wachsenden Anspruch auf politische Repräsentation entgegen. Doch in der jungen Gattung des Portraits zeigt sich sein begrenzter Stil; die Gesichter der Dargestellten wirken stereotyp und maskenhaft, bei den Frauen zeigt sich ein ums andere Mal der charakteristische Silberblick. Der berechtigte Eindruck des Fließbandhaften ist Cranachs Arbeitsweise geschuldet: In seiner Werkstatt schufen seine Gehilfen nach seinen Vorgaben modellierte Vorlagen für Gesichts- und Körperpartien, die er fallweise kombinierte und nur in Maßen individuell anpasste. Beim Gemälde der „Quellnymphe“ zeigt sich überdies, dass Cranach die elementaren Errungenschaften der Renaissance (Zentralperspektive, Goldener Schnitt, Körperproportionen, Farbgebung, Lichtführung), die von Raffael, Leonardo und Michelangelo zur Vollendung gebracht wurden, nicht vollumfänglich rezipiert hat. Geradezu plump und schief liegt der Körper am Brunnen, erkennbar wurde nicht nach einem weiblichen Modell gemalt.
Die Ausstellung reicht historisch vom Regierungsantritt der Hohenzollern 1417 bis zu deren Übertritt zum Calvinismus kurz vor dem Ausbruch des 30jährigen Krieges; die Exponate umfassen neben Gemälden und Tafeln auch Tischbesteck, Bücher, Karten, Waffen und Siegel. Die Schau gibt der SPSG auch Gelegenheit, die Ergebnisse der sorgfältigen Restaurierungsarbeiten einer interessierten Öffentlichkeit vorzulegen. So wird mittels Röntgenaufnahmen nachvollziehbar, wie die Gemälde vor dem jahrhundertelangen Prozess des Nachdunkelns der Farben ausgesehen haben mögen. Makroaufnahmen dokumentieren, wie Temperatur- und Klimawechsel zum Brechen des hölzernen Bildgrundes und damit zu feinen Rissen der Farbe geführt haben. Die solide gehängte und beleuchtete Schau lässt eine kaum bekannte Epoche der Berliner Geschichte lebendig werden und ergänzt das gängige Bild der prachtvollen (katholischen) Renaissance um eine spröde cisalpine (protestantische) Variante. Wer nun im Schloss Charlottenburg auf den Geschmack gekommen ist und Appetit auf weitere Bilder Cranachs hat, sei auf die Sammlung Alter Meister in der Gemäldegalerie am Kulturforum verwiesen. In dieser Kathedrale der Malerei hängen seine Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ (1504), „Venus und Amor“ (1530) und der legendäre „Jungbrunnen“ (1546). Beim Studium dieser Bilder als auch der Werke seiner Zeitgenossen vor allem aus Italien bekommt die Besucherin einen bleibenden Eindruck von der Epochenschwelle, die die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts bis heute darstellt.
Cranach und die Kunst der Renaissance unter den Hohenzollern
Ausstellung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg
Spandauer Damm 20-24
14059 Berlin
Zu sehen noch bis zum 24. Januar 2010
Geöffnet täglich außer Dienstag von 10:00 bis 17:00 Uhr, Donnerstag bis 20:00 Uhr
Eintritt 8,- €, ermäßigt 6,-€. Der Katalog kostet in der Ausstellung 34,90 €
www.spsg.de
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 07. November 2009 - 00:02
Tags: berlin/lucas_cranach/preußen/schloss_charlottenburg/spsg
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: