Damenflügel
Kaum ein Brettspiel, das die Menschen über (fast) alle Grenzen so fasziniert und in seinen Bann schlägt wie Schach, das königliche Spiel. Seine genaue Herkunft ist ebenso wenig geklärt wie seine Geburtsstunde, wahrscheinlich entstand es im Verlauf des ersten Jahrtausends n. Ch. in China oder Indien. Im Titel des Schah von Persien ist noch eine verbale Spur seiner Reise über den Orient nach Europa enthalten, wo es seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar ist, auch im russischen Zar klingt es wider. Die schönen deutschen Worte „Zugzwang“ und „Zeitnot“ haben Zugang in das internationale Schachvokabular gefunden und werden, wie das französische „J’adoube“, bei jedem Turnier der Welt verstanden. Schach gilt als Inbegriff der Strategie, als Hallraum exakter Logik, als spielerische Anwendung strenger mathematischer Reflexionen, als Abbild militärischen Denkens. Immerhin wird es so erst genommen, dass seit weit über 100 Jahren professionelle Spieler nach penibel festgelegten Verfahren (und für echtes Geld) ihren Weltmeister untereinander ausmachen. So weit hat es die profane Klötzchenschieberei à la Halma nicht gebracht. Im Kiez existiert seit rund einem halben Jahr ein Ort, der Lust am Spiel mit Dame, König, Turm und Bauer zu frönen. Der Schachladen Laskers befindet sich in der Sophie-Charlotten-Straße 28.
Das kleine Ladenlokal steht ganz im Zeichen der 64 Felder und der 32 Figuren. Die linke Wand wird dominiert von einem Bücherregal voller Schachliteratur. Hier stehen Klassiker des Genres wie Bobby Fischers „Meine 60 denkwürdigen Partien“ oder Aron Nimzowitschs „Mein System“ Seit’ an Seit’ mit eher feuilletonistisch inspirierten Texten wie Stefan Zweigs „Schachnovelle“ oder Garry Kasparows „Politische Partie“. Für ambitionierte Vereinsspieler gibt es Studien zum Arbeiten, etwa eine tief schürfende Analyse der Najdorf-Variante der Sizilianischen Eröffnung oder eine kritische Diskussion der Bauernstruktur in der Blockadepartie. Eine reich illustrierte Biographie des Namenspatrons Emanuel Lasker (1868-1941), einem jüdischen deutschen Mathematiker, Philosophen und Schachweltmeister (1894-1921), verschwägert mit der Lyrikerin Else Lasker-Schüler, ist ebenso im Programm wie der legendäre Schachkalender, herausgegeben von Arno Nickel, dem Inhaber von Laskers. Seit 1983 verlegt Nickel Schachbücher, mit der Entwicklung seines noch jungen Ladens ist er ganz zufrieden, seine Kunden finden den Weg auch aus weit entfernt liegenden Stadtteilen. Über die Webseite des Ladens resp. des Verlags ist zudem eine Online-Bestellung möglich. Besonderer Blickfang im Schaufenster ist ein großes Magnetschachbrett mit einer Partiestellung, für die der Gewinnzug gefunden werden soll.
Neben Büchern hält Laskers das notwendige Zubehör nebst Accessoires rund um das Spiel mit seinen komplexen Regeln vorrätig: Edle Bretter aus feinem Holz mit Intarsien, Figuren von schlicht und anmutig bis verspielt und gegenständlich, Uhren, Computer und Notationsblöcke. Selbstredend verfügt die Szene auch über identitätsgenerierende Periodika: zahlreiche Schachzeitschriften stehen im Regal des sauberen und aufgeräumten Ladens. Unter dem Strich ist Laskers die Verdichtung einer Welt der kleinen und großen Jungen, in der Damen auf dem Brett zwar ungemein stark und begehrenswert und zugleich einschüchternd wirken, am Brett aber nur selten anzutreffen sind. Immerhin finden sich en passant im Regal auch ein Buch, das sich der (Neben)Rolle der Frauen im Schach widmet, und eines mit Partien der Weltklassespielerin Judit Polgár. Abseits gendertheoretischer Interpretationen jenes Missverhältnisses, ist Schach ein höchst anspruchsvolles Spiel, eine saubere Schulung des Gedächtnisses und ein würdiger Rahmen für den entfesselten Geist an sich. In der sachlichen Atmosphäre bei Laskers bekommt die Novizin eine Ahnung vom Sog, den dieses Spiel auslösen kann, die Fortgeschrittene ist gern gesehen zum Fachsimpeln, zum Austausch von Anekdoten und natürlich zu einer Partie. 1: e4 – e6, 2: d4 – d5, 3. Sc3 – Lb4, 4. e5 – c5, 5. a3 – ? Schwarz ist am Zug.
Schachladen Laskers
Sophie-Charlotten-Straße 28
14059 Berlin
Telefon 030 / 390 37 607
Geöffnet Montag bis Freitag von 11:00 bis 18:30
www.edition-marco.de
Andrea Bronstering - Gastautoren, Gewerbe im Kiez - 15. Dezember 2009 - 22:04
Tags: berlin/charlottenburg/klausenerplatz/lasker/schach
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Hier ein Foto, welches Lasker bei einer Go-Partie mit Felix Dueball in dessen Wohnung am Friedrich-Karl-Platz 14 (heute Klausenerplatz 5) in Charlottenburg am 07. März 1930 zeigt.
oder auch hier:
Und hier noch einige weitere Links zu Dueball und Lasker: