Frau Sz.
Die Vorstellung von Frau Sz.s Eltern, wofür ein Mädchen gut ist, waren immer schon klar - und begrenzt: Heirat, Kinder. Geheiratet hat Frau Sz. tatsächlich, vor wenigen Jahren, allerdings um den Preis des Verzichts auf Kinder. Aus der Sicht ihrer Eltern hätte sie also letztlich ihren Lebenszweck verfehlt. Und wie sieht Frau Sz. das selbst?
Seit sie Ende der 70er Jahre als sechsjähriges Kind zusammen mit ihren Eltern und zwei Brüdern als Spätaussiedlerin nach Westdeutschland kam, hatte sie immer nur ein Ziel: "Ich komme einmal ganz groß raus!" Es war ein langer und schwerer Weg von dem kleinen polnischen Mädchen in der ländlich-einfachen Kleidung, katholisch, kaum deutsch sprechend, gehänselt, bis zur heutigen Frau Sz.: äußerst attraktive Figur, wohlklingende Stimme, silberfarbene Locken zu wasserblauen Augen, geschmackvolle (und teure) Kleidung, modelhaftes Gebaren.
Vieles von dem, was Frau Sz. heute darstellt, konnte sie nur dadurch werden, daß sie eines Tages ihrem Märchenprinzen begegnete, einem erfolgsverwöhnten Architekten, der ihr alles bieten kann, wonach sie so lange gestrebt hatte: ein sorgenfreies Leben, Reisen durch die ganze Welt, die große Gesellschaft, Bewunderung.
Hat Frau Sz. also jetzt glücklich ihr Ziel erreicht? Auf den ersten Blick wirkt es so, sie füllt ihre Rolle perfekt aus. Aber es kommt vor, daß sie sich gelegentlich wie eine "kostbar eingefaßte Perle" fühlt - gesellschaftlich relevant als Repräsentant ihres Ehegatten. So mag es sich auch erklären, daß sie vor kurzem zu aller Verwunderung plötzlich aus ihrem bisherigen Alltag ausbrach, oder wie sie es selbst ausdrückt: "auf der Koppel blieb, statt in den Stall zurückzukehren". Es könnte sein, daß ihr Leben eine ganz neue Richtung erhält.
MichaelR und Andrea Bronstering
Michael R./Andrea Bronstering - Gastautoren, Menschen im Kiez - 05. April 2010 - 15:49
Tags: einwanderung/klausenerplatz/polen/spätaussiedlung
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