Sechs Fragen an Prof. Dr. Helmut Riehmenschneider
Ein mögliches Interview geführt von Egbert Paulsen
1947 in Rosenheim als jüngstes von drei Kindern geboren, studierte Helmut Riehmenschneider Geschichte, Politologie und Staatsrecht an der Uni München. 1975 ging er als Referent nach Bonn und war von 1982 bis 2000 an der FU Berlin tätig.
Einige seiner Bücher
- Friendly Fire - Der Staat als Beute der Parteien,
- Anfang oder Ende - der Nutzen von Netzwerken für die demokratische Entwicklung
- und Roter Riese - Implosionen von Staatsapparaten des 19. und 20. Jahrhunderts
haben in der Fachwelt für einigen Unmut gesorgt.
E.P.
Welche thematischen Schwerpunkte sehen Sie in diesem Jahr 2011?
H.R.
Nun, weitere deutliche Fortschritte auf die drängenden Fragen der vergangenen Jahre.
Klimapolitik, Friedensinitiativen, besonders im Nahen Osten und Einsichten der nationalen Staatsinteressen zur sozialen Weiterentwicklung der Wirtschaftspolitik.
E.P.
Und was erwartet uns innenpolitisch?
H.R.
Ein heisses Jahr - sehr heiss!
Mit sieben Landtagswahlen werden die so genannten Volksparteien weiter an Substanz verlieren.
Besonders die Bundesregierung wird mit ihrem Slalomkurs durch die immer enger gesteckten Tore der mächtigen Interessenvertreter kaum Chancen haben, die wesentlichen Probleme der Zukunft ernsthaft zu gestalten.
E.P.
Welche Probleme sind das?
H.R
Zuerst einmal ist der Wirtschaftsaufschwung Wind in den Segeln des Regierungsschiffs, dennoch ist das Regieren der Kanzlerin eine Fahrt ohne Ziel.
Lediglich die Interessen von Lobbyisten und Großindustrie zu befriedigen, ersetzt nicht das Ziel staatlicher Lenkung.
Die Landtagswahlen sind jede für sich eine Klippe über die das Regierungsschiff mit voller Fahrt hinweg fahren wird, mal mit mehr oder weniger Schaden.
Der Vorteil ist, dass jeder Schaden zum Nachdenken, also der Reparatur führen muss.
Konkret muss die Kanzlerin langfristige Ziele entwickeln, deren Wirkungen erst viele Jahre später Erfolg zeigen wird.
Dazu gehören das Entgegentreten der sozialen Spaltung, das weitere Abschmelzen der bürgerlichen Mitte, indem sie z. B. den Mindestlohn einführt, steuerliche Entlastung, besonders Abschaffung der kalten Progression, die Beendigung der Hartz-4-Industrie und die direkte Schaffung von Arbeitsplätzen zur Partizipation von Arbeitslosen am gesellschaftlichen Leben.
Dieser neoliberale Blödsinn, Milliarden für nachweislich nutzlose Beschäftigungskonzepte wie 1-Euro-Jobs etc. auszugeben, Weiterbildungsinstitute mit fragwürdiger Qualität zu mästen, und keinen Arbeitsmarkt zu schaffen der Staat und Beschäftigen nutzt, zeigt den Abgrund und die Willkür dieser angeblichen politischen Richtung.
E.P.
Was erwartet das Land Berlin?
H.R.
Berlin ist ein erstarrtes Bundesland mit der Flexibiltät eines Stahlträgers. Politik ist auch in dem nächsten Jahrzehnt aufgrund des Schuldenbergs nicht möglich.
Der Berliner Senat mit seiner tradierten Arroganz den Bürgern gegenüber ist das völlig egal, Hauptsache einer dieser selbst ernannten Provinzhelden darf regieren. In den letzten 20 Jahren hat es keinen Regierenden Bürgermeister mehr gegeben, der bundespolitisch ernst genommen wurde.
Den Berliner Parteien, besonders bei CDU und SPD, fehlen das Wissen und die Praxis demokratischer Verantwortung, besonders das gemeinsame Handeln zum Wohle des Landes und Kontrolle bei Missbrauch der Macht. Nehmen Sie den Verkauf der Berliner Wasserwerke oder die Zeiten als ein Vorstandsvorsitzender Klaus Rüdiger Landowsky als Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei "seine" landeseigene Bank kontrollierte.
Die schmackhaften Brocken der Macht werden unter den Raubtieren aufgeteilt. Anhänger des Staatsprinzips als Grundlage der gemeinsamen Entwicklung hatten in Berlin nie eine Chance.
E:P.
Wie werden die Wahlen ausgehen?
H.R.
Ich hoffe, dass die kleinen Parteien eine Chance bekommen.
Die CDU hat mit Herrn Henkel einen Kandidaten, der die Kompetenz und Glaubwürdigkeit eines Bankberaters hat, und an Klaus Wowereit haftet der Glanz einer ausgedienten mattierten 60-Watt-Glühlampe. Mit seinen Einlassungen zu den Flugrouten hat er zugegeben, dass das Projekt BBI langfristig gescheitert ist. Menschen, die dort Grundstücke gekauft haben, fühlen sich zurecht vom Senat hintergangen. Nur Peter Danckert von der SPD, ein erklärter Gegener von BBI und Befürworter eines weiter entfernten neuen Standortes, hat die Dimension eines langfristigen Ausbaus erkannt.
CDU und SPD haben mit diesem hoffentlich letzten Großprojekt bewiesen, dass sie außer Schaden zu Lasten des Landes Berlins nichts leisten können.
Daher heißt meine Prognose: 31 % Grüne, 21 % Linke, 21% CDU, 21% SPD und 6% FDP
E.P.
Welche Rücktritte erwarten Sie für 2011?
Naja, nachdem die CDU schon fünf Landeschefs verloren haben, sollte die SPD mit Klaus Wowereit nachziehen.
Die Kanzlerin gehört aber auch zu den Wackelkandidaten. Ihre direkten Gegner mögen alle zurück getreten sein, es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, dass es keinen Nachfolger für sie geben könnte. Denn, wenn die CDU wechseln will, dann kann sie das nur dieses Jahr. Es gibt dieses Angstsyndrom, im Polititikbetrieb über den Nachfolger nachzudenken. Daher soll der Abstand zum Nachfolger möglichst groß sein, eine Art Todeszone, die kein Kandidat überleben kann.
Mit dem Verlust des Bundeslandes Baden-Württemberg steigen die Chancen eines Nachfolgers enorm, diese Zone unbeschadet zu passieren.
Ahnliches dürfte Guido Westerwelle bevorstehen, dank präventiver Bissigkeit gepaart mit völliger Überschätzung der eigenen Leistungen - kurz: wegen seines narzistischen Sebstbildnisses - könnte er alle Ämter verlieren.
E.P. Danke für das Gespräch
Egbert Paulsen - Gastautoren, Politik - 07. Januar 2011 - 00:02
Tags: abgeordnetenhaus/berlin/landtagswahlen/wahlen
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Die erste Entminungsaktion im Thomas-Dehler-Haus war erfolgreich.
Herr Rösler konnte die Todeszone unbeschadet passieren.
Gerüchte besagen, dass auch in der CDU ein kompetentes Entminungsteam gebildet wurde.
Die Arbeit ist aber weitaus schwieriger, daher dauern die Vorbereitungen noch an.