Goldader Berlin
Die Grundversorgung der Charlottenburg-Wilmersdorfer mit bezahlbarem Wohnraum am Ende?
Die Goldader Berlins sind seine Wohnhäuser, sein Altbaubestand; in ihnen wird geschürft; sie sollen ausgeschlachtet werden. Sprach die Senatorin Frau Junge-Reyer 2007 noch von moderaten Mieterhöhungen bis zu 5,8 %, so wissen wir jetzt, dass die Berliner Mieten in den Jahren 2007 bis 20011 um 16,7 % stiegen. Diese Steigerungen haben sich drastisch im Mietspiegel 2011 niedergeschlagen. Schon rechnet der Berliner Mieterverein 100.000 Mieterhöhungsverlangen hoch, in denen Vermieter im Schnitt die Mieten um 10, 5 Prozent erhöhen wollen. Neuverträge liegen 5 % über dem Mietspiegel 2011. Da Berlin die deutsche Single-Stadt ist, für die nicht genügend Wohnungen zur Verfügung stehen, treibt der Bedarf die Mietpreise an. In der City wird es eng.
So pfeifen es Presse und andere Medien von ihren Titelseiten: In Berlin herrscht Goldgräberstimmung. Die „Neuen Eigentümer“ sind es zufrieden: sie kamen, sahen und nahmen. Zwecks Vermarktung von Wohnraum wird Charlottenburg-Wilmersdorf verklärt: das „weltberühmte“ Schloss, der „Weltstadtboulevard“ Kurfürstendamm, jeder von Bürgerinitiativen und Steuerzahlern geschaffene und bezahlte Park, seine „Seenlandschaft“ (der Eiszeit sei Dank) ... Charlottenburg-Wilmersdorf läuft mit seiner Miethöhe Mitte den Rang ab.
Das provinzielle Westberlin mit seiner Mietpreisbindung, für deren Erhalt wir im Jahr 1982 noch erfolgreich gekämpft hatten, das Ostberlin, Hauptstadt der ehemaligen DDR, mit seinen Friedensmieten – der Kampf gegen diese Anachronismen wurde mit dem Fall von Mauer und Mietpreisbindung von Politik und Grundbesitzerverbänden aufgenommen. Mit den Mietsteigerungen der vergangenen 20 Jahre aber sind die, für die der § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzbuches abgeschafft wurde, immer noch nicht zufrieden: Berlin soll nicht nur an das Mietniveau der Städte Hamburg, Frankfurt, München erreichen, vielmehr noch das von London, Paris, Moskau, New York, Tokio. Wir sind schließlich Hauptstadt! Und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Die Späne in diesem Fall sind die zahlreichen Geringverdiener Berlins, Hartz-IV-Empfänger, Studenten, mittellosen Migranten, armen Rentner, Grundsicherungsempfänger ... Berlin war einmal eine Mieterstadt mit bezahlbaren Mieten.
Jetzt ist die Wohnung, in diesen Breitengraden quasi „Grundlebensmittel“ eines jeden Menschen, eine Ware geworden. Und so leidet Berlin, speziell in Bezirken wie Charlottenburg-Wilmersdorf, an akuter Verstopfung, pardon Verdrängung der eingesessenen, finanziell schwachen Mieter, der mitunter mit absichtsvoller Vertreibung oder „Prämien“ nachgeholfen wird. Mit der Gentrification schafft Berlin Ghettos. Sozial schwache Familien ziehen aus teuren Innenstadtbezirken an die Peripherie. In den Großsiedlungen verschärfen sich Probleme. Noch mehr Obdachlose müssen sich in Gemeindesälen wärmen und verpflegen lassen. Das Prinzip heißt: „erst schafft die Gesellschaft ein „Prekariat“, dann schafft sie es ab.“
Nachdem sich Klaus Wowereit am 27. Dezember 2011 endlich vor uns stellte, indem er den „Mietwahnsinn“ beenden wolle, meldete sich sogar die katholische Kirche zu Wort und mahnte eine soziale Mietenpolitik an. In der Industrie bekamen die armen Mieter den stärksten Verbündeten. Da die Mieten in Berlin explodieren, fordert sie vom neuen Senat ein Wohnungsbauprogramm an. In der Stadt fehlen 40.000 bis 80.000 Wohnungen.
Durch Gesetze und Politik
- Angriffe auf den Mieterschutz, wie zum Beispiel die Verkürzung des Kündigungsschutzes durch die FDP/CDU, aus der der Verlust alter, schützender Mietverträge, wie auch ein vermehrter Mieterwechsel sowie drastische Mieterhöhungen bei jeder Neuvermietung resultieren werden;
- Energetische Gebäudesanierung, ohne dass für einen finanziellen Ausgleich für Geringverdiener gesorgt wurde; Absichtserklärungen von FDP/CDU am 29. September 2010, dass Hauseigentümer wärmedämmende Maßnahmen mit einem höheren Anteil als 11 % auf Mieter umlegen dürfen; eine Modernisierungsumlage von 15 % steht in Rede; darüber hinaus soll den Mietern das Recht auf Mietminderung während der Sanierungsmaßnahmen genommen werden;
- Mietwucher durch Wegfall des § 5 im Wirtschaftsstrafgesetzbuch (Zweckentfremdung/Wucher etc.);
- Wohnraumverknappung durch Leerstand von Wohnungen nach dem Wegfall von Gesetzen gegen Wohnungsleerstand;
- Nutzungen (Zweckentfremdung) des Wohnungsbestandes; Veränderungen der Tätigkeits- und Wohnformen (wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art);
- Zweckentfremdung von Wohnungen für Stadttourismus;
- Der Verkauf des Gemeinnützigen Wohnungsbestandes des Landes Berlin (GSW und andere) an so genannte „Neuen Eigentümer“, für die Wohnungen Ware sind, deren Wert auszuschöpfen ist;
- Wegfall der Anschlussförderung von Sozialwohnungen; stattdessen die Privatisierung derselben, sogar ihr Gang an die Börse, wie von Gagfah und GSW durch neue Eigentümer und deren Aufwertungen
- Bauliche Aufwertung innenstadtnaher Wohn- oder Gewerbegebiete durch Luxussanierung, Modernisierung und Neubau (Erneuerung des Wohnungsbestandes); Erneuerung von Gebäuden und Wohnungen durch private Investoren und öffentliche Förderung;
- Teure Renovierung architektonisch attraktiver Bausubstanz;
- Ungerechtfertigte Mieterhöhungen bei Neuvermietungen anhand fadenscheiniger Wertsteigerungen;
- Ungerechtfertigte Mieterhöhungsverlangen über den Mietspiegel hinaus bei Bestandsmietern;
- Aufwertung des Wohnumfeldes durch Grünanlagen, Parkgestaltung, Fahrradstellplätze. Der Aufstieg des Kiezes durch diese Maßnahmen von „mittlerer“ Wohnlage in „gute“ Wohnlage im Mietspiegel;
- Mietervertreibung durch Schikanen, Dauer-Bauarbeiten, Terror durch die Vermieter;
- Verdrängung von nicht zahlungskräftigen Mietern nach der Umwandlung ihrer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen und der Anmeldung von Eigenbedarf nach 3 Jahren; in 6 Berliner Bezirken wurde der Kündigungsschutz für Mieter ab September 2011 auf 7 Jahre verlängert.
- Aufwertung der Wohnumfeldes durch Infrastrukturmaßnahmen;
- Aufwertung des Wohnumfeldes durch Grünanlagen, Parkgestaltung, Fahrradstellplätze.
- Aufwertung des Wohnumfeldes durch Ansiedlung kultureller Einrichtungen;
- Der Aufstieg des Kiezes von „mittlerer Wohnlage“ zu „guter Wohnlage“.
- Ansiedlung hochwertiger Dienstleistungen (z.B. Medienbranche, Hotels ...)
- Ansiedlung hochwertigen Einzelhandels, hochwertiger Gastronomie ...;
Durch Zuzug
- Zuzug von Mietern aus Hochmieten-Städten in (West)Deutschland und Ausland
- Zuzug von quartiersfremden, bildungs- und einkommenshöheren „Lebensstilgruppen mit Wunsch, in der Stadt zu leben (meist jüngere und kinderlose Haushalte hoch qualifizierter Arbeitskräfte);
- Sukzessiver Austausch von Bewohnern eines Mehrfamilienhauses bei der sich bietenden Gelegenheit; Belegung mit jüngeren Mietern, die aus ihren Herkunftsstädten und -ländern kein anderes Mietniveau als ein hohes kennen
- Der steigenden Anzahl von Studierenden fehlt es an Wohnraum;
„Prekariat“
- Ausschöpfung der vollen Hartz IV-Grenze von ca. 380,-- € auch für kleine Wohnungen bei Gemeinnützigen Wohnungsbau-Gesellschaften und Privaten in unattraktiven Wohnumfeld;
- Veränderung der Sozialstruktur durch Einkommenseinbußen, Arbeitslosigkeit, Hartz IV
- Überbelegung eines Mehrfamilienhauses mit Migranten aus sozial schwachen Familien
- Verteuerung der Lebenshaltungskosten in Berlin
- Vertreibung durch Mobben, Vandalismus, vermeidbares Lärmen von Mietern gegen Mieter
- Mietervertreibung durch Schikanen, Dauer-Bauarbeiten, Terror durch Vermieter
Weitere Hebel zur Verdrängung
- Verdrängung durch Lärm: Baulärm, Fluglärm, Straßenlärm, Freizeitlärm, Nachbarschaftslärm
© Copyrights by Ute Becker – Berlin-Charlottenburg – Version 23. Januar 2012
Ute Becker (BI Stutti) - Gastautoren, Gesellschaft - 24. Januar 2012 - 00:02
Tags: charlottenburg/gentrifizierung/mieten/sanierungsvorhaben/verdrängung
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Ein sehr informativer Artikel, der einmal im Überblick überdeutlich macht, wie diese ganzen Parteien ihre Wähler verhöhnen und ihnen zutiefst schaden können, weil man sie letztlich nicht wieder los wird, wenn sie gegen den Willen der Wähler handeln.