Wie soll es nach dem Willen von Bezirksamt und BVV mit den Bezirksbibliotheken weitergehen?
Hier soll für diejenigen, die sich zu Recht Sorgen um den Fortbestand der Bezirksbibliotheken machen, ein Überblick über die augenblickliche Beschlußlage gegeben werden, soweit sie für mich auffindbar war. (Die Webseite des Bezirks ist so angelegt, daß es z.B. über das Suchwort „Stadtbibliothek“ o.ä. unmöglich ist, diese Informationen zu finden. Vielmehr muß man wie ein Trüffelschwein entlang den Pfaden behördlichen Denkens den ganzen Kruscht der Verlautbarungen durchwühlen.
Wäre das nicht einmal eine schöne Aufgabe für an mehr Bürgerbeteiligung interessierte Parteien in der BVV, die bezirkliche Webseite für Außenstehende durchsichtiger zu gestalten?)
Im Begleitschreiben des Bezirksbürgermeisters an die BVV-Vorsteherin vom 14. Februar 2012 anläßlich der Vorlage des Haushaltsentwurfs 2012/2013 (Ergebnisse der Klausurtagung (KT) vom 26. und 27. Januar und der weiteren Sitzungen am 7. und 14. Februar 2012) heißt es:
- KT-Beschluss Nr. 8
„Das Bezirksamt beschließt die Verlagerung der Musikbibliothek von der Bundesallee in die Heinrich-Schulz-Bibliothek (Rathaus Charlottenburg) zum nächstmöglichen Zeitpunkt.“
- KT-Beschluss Nr. 17
„Das Bezirksamt beschließt für das Jahr 2013 eine Erhöhung bei den Grundstücksverkaufserlösen durch Abgabe der Immobilie Sigmaringer Straße 1 an den Liegenschaftsfonds Berlin unter der Bedingung der Fortführung des bestehenden Nutzungskonzeptes (UCW, Bibliothek u. a.) durch den Erwerber bis 2018.“ (1)
Die BVV beschloß dazu auf ihrer Sitzung vom 8. März (6. a.o. Sitzung):
- Drucksache 0165/4: UCW auf Dauer im Bezirk erhalten!
„Das Bezirksamt wird aufgefordert, das erfolgreiche Unternehmerinnen- und Gründerinnenzentrum (UCW) auf Dauer im Bezirk zu erhalten; die mögliche Finanzierung am Standort Sigmaringer Straße 1 unverzüglich zu klären, insbesondere im Hinblick auf die bisher mit der GSE geführten Verhandlungen und den Sanierungsbedarf bezüglich der Immobilie unter Berücksichtigung der Mitnutzung durch die Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek und das Atelierhaus.
Der BVV ist bis zum 30. Juni 2012 zu berichten.“ (2)
- Drucksache 0160/4: Bibliotheksentwicklungsplan jetzt!
„Das Bezirksamt wird aufgefordert, der BVV bis zum 31.08.2012 einen Bibliotheksentwicklungsplan zur Diskussion vorzulegen, der neben aktuellen Ausleihzahlen, standortbezogenen Angebotsstrukturen und Kosten (KLR) einen Ausblick auf die künftige bezirkliche Ausstattung (bis 2020) aufweist. Vor dem Hintergrund des Bezirkshaushalts 2012/13 und daraus resultierenden geplanten Umstrukturierungen sind der BVV Einsparpotentiale sowie geplante Raumveränderungen von Bibliotheken an alten und neuen Standorten und die Auswirkungen auf die jeweiligen Medienbestände in Wort und Zahl (Euro, qm, Anzahl) verständlich darzulegen.“
Das UCW hat sich frühzeitig gegen diesen Ausverkauf zu wehren begonnen. Das kommt auch der Bibliothek zugute, da beide gemeinsam in einem Gebäude liegen. Im übrigen ist dies nicht der erste Versuch, die Bibliothek am U-Bahnhof Blissestraße zu beseitigen. Auch die Tatsache, daß diese Wilmersdorfer Hauptbibliothek jetzt offiziell nur noch als „Mittelpunktbibliothek“ bezeichnet wird, die Charlottenburger Hauptbibliothek jedoch als „Bezirkszentralbibliothek“, macht deutlich, wohin die Entwicklung geht: immer mehr „Einschnitte in die Infrastruktur des Bezirks“ bei gleichzeitiger Konzentration der Reste auf den Bezirksteil Charlottenburg (siehe den geplanten Verkauf des Rathauses Wilmersdorf sowie die Beseitigung des Wilmersdorfer Heimatmuseums – und seine „Wiederauferstehung" unter dem Namen ‚Museum Charlottenburg-Wilmersdorf‘ in der Villa Oppenheim). Kleinere Bibliotheken wie die in Schmargendorf, am Halemweg oder in der Nehringstraße sind sogar aktuell in ihrer Existenz gefährdet.
(1) Auf der Einwohnerversammlung vom 27. März zum Haushalt 2012/13 verteilte die Grüne Partei ein Flugblatt mit dem Titel „Wir haben gehandelt“. Darin rühmt sie sich, zusammen mit der SPD dem Haushalt zugestimmt zu haben („im Unterschied zu CDU, Piraten und Linke, die den Haushalt rundweg abgelehnt haben“) - was ja bedeutet, daß diese Partei damit auch diesem KT-Beschluß 17 zum Verkauf und absehbaren Aus der Bücherei (und des UCW) zugestimmt hat. Und kaum waren ein paar Minuten vergangen, stimmte dieselbe Partei den folgenden beiden Drucksachen zu und behauptet, sich auf diese Weise für diese und andere kulturelle und soziale Einrichtungen „eingesetzt“ zu haben. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein leicht absurdes Schauspiel, in dem diese Partei (zusammen mit ihrer Zählschwester SPD) dem Bürger gleichzeitig etwas nimmt und zurückgibt, ist jedoch tatsächlich ein Taschenspielertrick:
Das Zurückgeben findet nämlich gar nicht wirklich statt, die beiden Aufträge an das Bezirksamt sind keineswegs Vetos, die den vorhergehenden Haushaltsbeschluß insoweit aufheben, es sind – rechtlich gesehen - lediglich Bitten, die mithilfe der Redewendung „wird aufgefordert“ aufs Publikum einen Eindruck von Kampfeswillen und Entschlossenheit machen sollen. Wenn es die Grüne Partei wirklich ernst gemeint hätte, hätte sie natürlich bei der Hauptsache, dem Haushalt, auch mit Nein gestimmt. Aber so ist man mit dieser ausgefuchsten Doppelstrategie einerseits bezirksamttragend (es sitzen ja in Mehrheit die eigenen Leute dort) und versucht andererseits vor den Bürgern gut dastehen als Vorkämpfer ihrer Interessen – in den Worten der Grünen Partei: man zeigt „Gestaltungswillen auch noch in schwierigster Situation“. Chapeau für diese begnadete Beschreibung der eigenen Politik!
(2) Das Haus Sigmaringer Straße 1 gehört dem Bezirk. Dort sind die Bücherei, das UCW und Ateliers untergebracht. UCW und Ateliers zahlen eine marktübliche Miete an den Bezirk. Aus diesen Einnahmen wird wiederum die Fa. GSE (Gesellschaft für StadtEntwicklung gemeinnützige GmbH Treuhänder Berlins/GSE gGmbH) für die Verwaltung des Hauses bezahlt (es wird von 89.000 € pro Jahr geredet). Diese Firma verwaltet seit sieben Jahren das Gebäude im Auftrag des Bezirks (der Vertrag läuft noch weitere drei Jahre, so daß die Bibliothek und die anderen Einrichtungen zur Zeit bis 2015 gesichert sind).
Die Bibliothek, die ein Viertel des Gebäudes belegt, zahlt als bezirkliche Einsichtung natürlich keine Miete; für sie entstehen (nur) die üblichen Betriebskosten (Heizung, Strom, Wasser usw.) in Höhe von etwa 50.000 € im Jahr.
Die Fa. GSE hat in den bisherigen Jahren aus den ihr vom Bezirk zufließenden Geldern Sanierungen am Haus vorgenommen. Jetzt stehen weitere Renovierungen an (Fassade, Dach, Fenster); die Fa. GSE behauptet einem „Sanierungsstau“ und sieht sich nur dann in der Lage, diesen aufzulösen, wenn ihr das Gebäude treuhänderisch übergeben würde, weil die Mieteinnahmen von UCW und Ateliers zu gering seien. Darüber laufen z.Zt. die hier erwähnten Verhandlungen. Für die Bibliothek würde das bedeuten, daß der Bezirk für sie an die Fa. GSE Miete zu zahlen hätte, und zwar in Höhe von jährlich etwa 60.000 € (zusammen mit den Betriebskosten wären das dann 110.000 €).
Wenn der Bezirk das Haus in den Liegenschaftsfonds des Landes gäbe und es dann verkauft würde, würde der Bezirk 10% vom Verkaufserlös erhalten und zusätzlich einen Teil von weiteren 10%, die unter alle Bezirke verteilt werden, also insgesamt vielleicht 13%, also bei 2 Mio € 260.000 €, bei 3 Mio 390.000. Es ist offensichtlich, daß das ein Tropfen auf den heißen Stein wäre (wie so üblich, wenn die Politiker das Eigentum der Bürger „privatisieren“). Gleichzeitig wären das Schicksal von Bibliothek, UCW und Ateliers besiegelt und damit Bürgern und Mietern ein immenser Schaden zugefügt.
MichaelR
MichaelR - Gastautoren, Politik - 28. März 2012 - 00:02
Tags: bezirksamt/bezirksbibliothek/bezirkshaushalt/bibliothek/bvv/bürgerbeteiligung/charlottenburg/ucw
sieben Kommentare
Nr. 4, maho, 30.03.2012 - 20:22 Wir hatten gestern beim Mieterbeirat Besuch von einem sog. Squad der Charlottenburger Piraten. Man wollte sich zum Ökokiez und zum Thema Mieten informieren. Es war definitiv eines der besseren Treffen mit Politikern – auch auf der rein menschlichen Ebene. Personen, die zugehört haben und verstehen wollten. Die auch mit allen Seiten/Gruppen gesprochen haben, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können – auch das ist bei vielen keine Selbstverständlichkeit. Ganz besonders nicht bei den größeren sog. etablierten Parteien. Siehe (darin sind allerdings noch einige Wiedergabefehler enthalten): http://wiki.piratenpartei.de/BE:Squads/B.. PS 1. Warum sollte man richtige Mietaussagen nicht übernehmen können? Die nötigen Forderungen sind im Kern eh völlig klar.Wenn sich beide mit den richtigen Ansätzen für die Mieter einsetzen, wäre es doch umso besser. 2. Das letzte, zuletzt restlos verkommene und unrühmliche Erbe der FDP, wurde bereits abgeramscht . das haben schon größere Teile der Grünen übernommen. Siehe auch entsprechende Kommentare im Artikel des Tagesspiegels: “...Grüne Politik verdrängt Menschen ….. Da treffen sich Interessen von Hausbesitzern die ihre Renditen vervielfachen können wenn sie ihre Luxussanierung ökologisch wertvoll nennen können mit denen von Politikern die eine Stadtviertel CO2-Bilanz als politischen Erfolg verkaufen möchten. .... .... “Mieter – ökologisch korrekt verdrängen!” ... ... Ja,ja, die Grünen… die neue FDP, nur eben mit Fahrrad… .... Der Kommentar des Herrn Reich ist dennoch erschreckend und abstoßend. Kein Wort von ihm zur Verdängung ärmerer Mieter aus dem Kiez, (immerhin 30 % der Anwohner sind Migranten, bekanntlich oft finanziell nicht auf Rosen gebettet). Stattdessen ein auffallender Mangel an Empathie, arrogante und zynische Überheblichkeit gegenüber Ängsten der Mieter. So haben wir uns den typischen Grünen wohl vorzustellen, nicht wahr, Herr Reich? Was sagen Sie eigentlich zu den Mietern, die solche Modernisierungsankündigungen erhalten haben?” http://www.tagesspiegel.de/berlin/faustk.. Wer sitzt beim Ökokiez zusammen? Wer will sich (Förder-) Gelder einsacken (in die eigene Tasche wohlgemerkt!)? Wer will die Mieter zur Kasse bitten? Die SPD, die Grünen und die GEWOBAG! Ha ha ha – die Dinge müssen nicht immer allzu kompliziert betrachtet werden. |
Nr. 5, Volker Schmidt, 30.03.2012 - 21:00 Also erst mal vielen lieben Dank für soviel Lob(wir waren das mit der “Squad”. Wie schon gesagt,wir haben eigentlich erst vor 2 Tagen die Squad gegründt und müssen uns erst einarbeiten. Und der “ökokiez” war das Erste “Problem” im Bezirk,an das wir uns mal rangewagt hatten. Schätze mal,wir sind jetzt erst mal nachhaltig motiviert und machen natürlich weiter,bzW legen jetzt erst richtig los. http://wiki.piratenpartei.de/BE:Squads/B.. |
Nr. 7, neu, 30.03.2012 - 23:01 Das Versprechen der Koalitionsfraktionen SPD und CDU, den Bezirken 50 Millionen zusätzlich zu überweisen, erleichterte das Geschäft.Obwohl die milde Gabe noch nicht beschlossen worden ist, wurden die Mehreinnahmen in den bezirklichen Etats bereits eingepreist ...der blick in die bezirke Mitte und Spandau http://www.tagesspiegel.de/berlin/finanz.. http://www.tagesspiegel.de/berlin/hausha.. |
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Zitat: “Wäre das nicht einmal eine schöne Aufgabe für an mehr Bürgerbeteiligung interessierte Parteien in der BVV, die bezirkliche Webseite für Außenstehende durchsichtiger zu gestalten?)”
ja sicher. Klar wäre das eine Aufgabe für die Piraten. Ich habe mich im Vorfeld der Wahlen 2011 auch sehr über die Webseite des Bezirkes geärgert. Die Suchfunktion ist unterirdisch… Nur ein Beispiel: das Hotelbauprojekt am Adenauerplatz dindet man da mit den Stichworten “Hotel Adenauerplatz”, Hotel Wilmersdorfer Str.”, “Hotel Lewishamstr.” – aber dann immer mit anderen Fundstellen.
Seufz.
Entsprechende Ideen dazu haben wir, und wir werden das auch in Anträge fassen. Ob und wie die Verwaltung das umsetzen kann -....
Zum Thema: die Piraten haben den Haushalt 2012/2013 in gänze und damit auch die Streichliste des Bezirksamtes zusammen mit CDU und den LINKEN abgelehnt. Leider haben unsere 4 Stimmchen da nicht so wirklich den Einfluß, den wir gerne hätten…