Leseempfehlung (9): Iran – der falsche Krieg
Wochenlang war es um das iranische Atomprogramm ganz still, aber es sieht so aus, als ob es von Politik und Medien jetzt wieder aufs Tapet gebracht werden soll (vgl. Tagesspiegel vom 2. August 2012. Da ist es gut, besser auf das vorbereitet zu sein, was wir demnächst wieder zu hören und lesen bekommen werden – z.B. mithilfe dieses Buches von Michael Lüders.
„Nur ein Wunder scheint den Irankrieg noch verhindern zu können. Umso erstaunlicher, dass dieser seit langem abzusehende Waffengang kaum auf Widerspruch stößt“ (S. 7) - mit dieser Bemerkung leitet Lüders seine Ausführungen ein. Sein zentrale These ist, daß es in diesem Konflikt nur vordergründig um Atomwaffen geht, tatsächlich jedoch darum, den Iran – den einzigen Staat (neben Syrien), der in der Region von Marokko bis Indonesien nicht pro-westlich ausgerichtet ist – in die Schranken zu weisen, woran neben Israel, den USA und der EU auch die sunnitischen Staaten der Region interessiert sind.
Um seine These zu untermauern, geht Lüders auf ihre verschiedenen Elemente ein: Da ist zunächst einmal der Vorwurf von Atommächten wie den USA und Israel, der Iran wolle auch Atommacht werden, wobei man sich auf den IAEA-Bericht zum Iran vom November 2011 stützt. Dort wird unter der Leitung von Obamas Wunschkandidaten Y. Amano gemutmaßt, daß das iranische Nuklearprogramm - trotz Aufgabe der militärischen Ziele im Jahr 2003 - weiterhin vielleicht irgendwie eine militärische Dimension hat [1]. Der National Intelligence Estimate, in dem die wichtigsten Erkenntnisse der sechzehn US-Geheimdienste jedes Jahr zusammengefaßt werden, stellte hingegen 2011 fest, daß die iranische Regierung (seit 2003) keine Atombewaffnung mehr anstrebe (anfangs dieses Jahres ging eine entsprechende Meldung kurz durch die Medien, wurde aber sofort wieder vergessen) [2].
Lüders beschäftigt sich dann mit den historischen Gründen für die feindseligen Beziehungen zwischen dem Iran und insbesondere Großbritannien und den USA, ausgehend von dem Sturz der Mossadegh-Regierung im Jahr 1953 durch diese beiden Staaten (zeitgleich gab es auch einen Umsturzversuch in Syrien), wodurch die Wiedereinsetzung des Schahs mit seiner blutigen Diktatur im Interesse ebendieser Staaten bis zum Jahr 1979 erreicht wurde. Hier sieht er die Ursache für die heutige Politik, die eben nicht auf Verhandlungen abziele, sondern auf Unterwerfung des Irans zunächst durch Sanktionen und später dann militärisch. Weitere Kapitel handeln von den unterschiedlichen politischen Lagern innerhalb des Iran und von seiner Rivalität als führender schiitischer Staat im Nahen und Mittleren Osten mit dem sunnitischen Saudi-Arabien.
Im Kapitel „Israel und Wir“ beleuchtet Lüders die Rolle Israels in der Region, von dem Umgang mit den Palästinensern ab der Staatsgründung 1948 – weswegen A. Einstein es ablehnte, erster Präsident des Landes zu werden – bis heute, wo es immer noch keinen Frieden in Palästina, geschweige denn einen eigenen Palästinenserstaat gibt. Er sieht den drohende Irankrieg als „Fortführung der Palästina-Thematik auf höherer Ebene“ (S. 163) durch eine ultrakonservative Regierung, deren Regierungschef erst kürzlich „eindeutiger denn je klargestellt [hat], dass er den Iran angreifen will“ (Tagesspiegel, 2.8.2012).
Lüders kritisiert die iranische Führung, beteiligt sich aber nicht an der beliebten Dämonisierung des Iran à la Bush jun. („rogue state“, Teil der „axis of evil“). Und er warnt – nachdem seit 2001 zwei Kriege des Westens gegen islamische Länder bereits desaströs waren - vor den Folgen des sich abzeichnenden dritten Krieges, der schon eingeleitet ist durch die Aufstellung von US-Militär in fast allen Nachbarländern des Iran, öffentliche Forderungen der USA nach dem Sturz der iranischen Regierung sowie Israel zugeordnete Sabotageakte (Ermordung von Physikern, Stuxnet-Virus).
Der Autor, der Nahostkorrespondent der Wochenzeitung Die Zeit war und durch seine Auftritte bei Radio- und Fernsehsendern bekannt ist, läßt für den Leser ein komplexes Bild des Konflikts, der dahinterstehenden Geschichte und Interessen entstehen anstelle der üblicherweise uns von den meisten Medien vermittelten eindimensionalen Darstellung von Gut vs. Böse.
[1] ”The information indicates that Iran has carried out activities relevant to the development of a nuclear explosive device. The information also indicates that prior to the end of 2003, these activities took place under a structured programme, and that some activities may still be ongoing.” ( Ziffer 53; Hervorhebung durch Verf.)
[2] Seymour M. Hersh, am 6.6.2011 in „The New Yorker“, faßt zusammen: “Despite years of covert operations inside Iran, extensive satellite imagery, and the recruitment of many Iranian intelligence assets, the United States and its allies, including Israel, have been unable to find irrefutable evidence of an ongoing hidden nuclear-weapons program in Iran, according to intelligence and diplomatic officials here and abroad.”
Michael Lüders, Iran: Der falsche Krieg. Wie der Westen seine Zukunft verspielt, München (C. H. Beck) 2012 - 14,95 € (Stadtbücherei: Gesch 832 Lued)
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Politik - 04. August 2012 - 18:46
Tags: atomprogramm/iran
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