Austreibung des Paradieses – Belle Etage am Lietzensee geräumt
Mehrfach war sie angekündigt, stets gelang bislang ihre Verhinderung. Am Montag, den 25. Februar 2013 aber hatte der Gerichtsvollzieher keine Wahl: ein letzter Antrag auf einstweilige Aussetzung der Räumung der im II. Stock gelegenen Belle Etage am Lietzensee war vom Amtsgericht Charlottenburg abgelehnt worden. Zwei Möbelwagen fuhren am Lietzenseeufer 10 vor, als erstes wurde das Schloss der Wohnungstür ausgetauscht, die Mitarbeitenden sicherten hastig persönliche wie unschätzbare Dinge, die Herbergsgäste wurden überstürzt ausquartiert, bevor die Packer unsentimental ihr Schlepp- und Tragwerk aufnahmen. Damit endet – vorläufig? – ein besonders lebhaftes und herzliches Kapitel liebevoll gepflegter Salonkultur in Kieznähe.
Viele KiezlerInnen kennen das imposante dunkelbeige Haus am nordöstlichen Ufer des Lietzensees, das wie ein träger Fels am Wasser ruht und dessen seeseitiges Türmchen die Flanierenden zum Schwelgen bringt. Das Haus wurde 1910 von Werner Eichmann, einem erfolgreichen Charlottenburger Kaufmann, errichtet, der seinerzeit die Gegend rund um den Lietzensee als Wohnadresse des gehobenen Bürgertums erschloss und mit seiner Familie auf einer Zimmerflucht von sagenhaften 510 qm logierte. Die weitere Nutzung dieser selbst für Berliner Verhältnisse einzigartigen Fläche liest sich wie ein Abriss der Geschichte des 20. Jahrhunderts: nach Werner Eichmann lebte dort ein jüdischer Rechtsanwalt, der unter anderem Kurt Tucholsky vertrat; später hatte der SS-Offizier Otto Hermann Fegelein hier neben seiner Adjutantur seine Privaträume; in der Nachkriegszeit residierte dort der Apparat der Westberliner FDP; in den subventionsverwöhnten 1960er und 70er Jahren bezog eine Sozialstation die großbürgerlichen Räume; seit den 1980er Jahren unterhielt hier dann ein Architekt sein Büro.
Im September 2009 schließlich eröffnete Veit Jost, ein direkter Nachfahre des Erbauers, in der unter Denkmalschutz stehenden Wohnung eine Pension mit angeschlossenem Kultur- und Seminarbetrieb und schuf damit einen paradiesischen Ort inmitten der tosenden Metropole. Das 100 Jahre alte Interieur, das die Zeitläufte ungeteilt überlebt hatte und mit seinem musealen Charme vom Fleck weg die Gäste verzückte, wurde rasch zu einer leuchtenden Lokalität des kulturellen Lebens in Charlottenburg. Filmteams und Fotografen schätzten die Lichtflut unter den über vier Meter hohen Decken voller Stuck; Sängerinnen, Rezitatoren, Kammerensembles und experimentelle Theatergruppen machten den 60 qm großen Barocksaal zur festen Bühne zwischen Boheme und Bourgeoisie; so manche Hochzeits- und Geburtstagsgesellschaft hat sich vom stilvollen Ambiente der mit Parkett ausgelegten Suiten verführen lassen; überlang ist die Liste der verzauberten Übernachtungsgäste. Veit Jost machte seinen lebenslangen Traum wahr, die Belle Etage als Ort der Kunst und der Begegnung zu öffnen und seine Passion für die 1910er und 20er Jahre mit Gleichgesinnten zu teilen. Und die wurden immer zahlreicher.
Wer einmal während einer Lesung oder einem Konzert in der Belle Etage zu Gast war, wird das kostbare Gefühl, eine Zeitreise gemacht zu haben, nicht vergessen. In den zurückliegenden drei Jahren hat sich die Belle Etage nicht nur inhaltlich profiliert, sondern konnte auch ihren Umsatz kontinuierlich steigern. Nur leider nicht in dem Maße, das erforderlich gewesen wäre, die Bank mit ihren Forderungen an die Hypothek zufrieden zu stellen. Mitten in die weit gediehenen Verhandlungen zur Bedienung der Verbindlichkeiten, platzte im Sommer 2012 der Termin der Zwangsversteigerung. Der neue Eigentümer zeigte sich wenig kompromissbereit und drang auf die Austreibung des gut gehenden Hotel- und Veranstaltungsbetriebs, trotz des noch laufenden Verfahrens. Dem Vernehmen nach verfolgt er handfeste finanzielle Interessen und wird wohl die Parzellierung des Palastes in Premiumbleiben in bevorzugter Lage vorantreiben. Das Team der Belle Etage ist akut geknickt, wenn auch nicht resigniert. Das Unternehmen ruht zurzeit, das Feuer der Hoffnung aber züngelt weiter. Der Geist des Ortes gibt keine Ruhe.
* Belle Etage am Lietzensee
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 27. Februar 2013 - 00:24
Tags: hotel/konzert/kultur/lesung/lietzensee/pension/zwangsräumung
vier Kommentare
Nr. 2, maho, 28.02.2013 - 01:46 Was steht denn dazu bei Wikipedia? Oder soll das nun ein Ratespielchen werden? Klare Fragen, Anmerkungen oder Ergänzungen wären weitaus nützlicher. |
Nr. 3, neu, 28.02.2013 - 04:28 welche rolle spielte seine Berliner Wohnung (belle Etage?)in den letzten Tagen des “Unterganges” des Hitler Faschismus ? (s. letzter abschnitt des Wikipedia Artikels) |
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Fegelein in der Belle Etage ? sollte es stimmen was auf Wikipedia steht:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Feg..