Teil 3 - Pömpelmania und Polleritis
Erschütternd! Bezirk unter Pollerzwang!
Das ergab sich doch wohl glasklar aus der Antwort auf Einwohnerfrage 13, oder? Aber um ganz sicher zu gehen, las sie sich beides noch einmal halblaut vor:
Frage: „Wie erklären Sie, dass Ihr Bezirksamt einerseits soviel Spielraum bei Geld und Personal hat, dass es 50.000 € für klimaschützende Poller und Schwellen im ½ km² großen Klausenerplatzkiez ausgeben kann, andererseits aber so überlastet und knapp an Personal ist, dass die Bearbeitung von 7.500 BaföGanträgen aus sieben Bezirken seit Juli 2012 nicht abgeschlossen worden ist und die Antragsteller folglich seit Monaten ohne Geld dastehen (Morgenpost 27.12.2012)?“
Antwort: „Die Ausgaben für Poller- und Schwelleneinbau im Klausenerplatzkiez werden aus den Mitteln für die Tiefbauunterhaltung finanziert. Hier ist dem Bezirk durch die Senatsverwaltung für Finanzen über die sogenannten Leitlinien vorgegeben worden, Ausgaben in bestimmter Höhe leisten zu müssen.“
Auch wenn sie unwillkürlich grinsen mußte bei der Vorstellung, wie der Senat mit vorgehaltener Leitlinie das Bezirksamt zu dieser Handlung nötigte, schien ihr doch rein verstandesmäßig jede Häme völlig fehl am Platz. Völlig logisch, daß der Poller dank seiner hervorragenden Stellung über jeden Spott des Bürgers weit erhaben ist, so ähnlich wie der Mond über den Mops. Kann man sich denn heutzutage noch ein pollerfreies Leben vorstellen?
Schwierig, schwierig
Aber dann meldete sich doch wieder – wie schon so oft zu ihrem Leidwesen – das Wderspruchsteufelchen in ihr: Der Existenzsinn des Pollers ist doch, im Kampf gegen Falschparker/innen sich an vorderster Front deren Blech entgegenzustemmen!? Aber wie ist das im zukünftigen Ökokiez? Läßt dieser sein Lebenszweck den Poller hier nicht ins klimafeindliche Abseits laufen – denn was schadet der Umwelt mehr: ein parkendes oder ein fahrendes Auto? Natürlich eine hinterfotzige Frage. Aber voller Brisanz: Lieber ruhende, also klimafreundliche Autos, auch wenn sie es an der falschen Stelle sind, oder fahrende, also klimaschädliche, auch wenn sie sich an die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit bei der Suche nach einem gesetzlichen Parkplatz halten? Poller schaffen durch ihr Poller-Sein also Ordnung, tragen aber doch zur Umweltverschmutzung bei. Was wiegt schwerer in einer Welt, die sich im Kampf gegen CO2-Emissionen befindet, an dessen vorderster Front bald auch der kommende Ökokiez zu stehen hofft?
Wat dem een sin Poller …
Als sie so vor sich hingrübelte, fiel ihr plötzlich rein assoziativ ein:
Hatte das Bezirksamt eigentlich gegen die Belastung der Umwelt durch
eine stärkere Nutzung von Tegel protestiert? Nein. Und die ½ Bebauung
einer Kleingartenkolonie betrieb das Bezirksamt doch gerade auch? Ohne
auf deren wiederholt amtlich festgestellte Bedeutung für das Klima zu
achten? Wie hing das bloß alles miteinander zusammen?
Plötzlich begann ihr Gesicht wie von innen zu leuchten, so wie es
bisweilen geschieht, wenn einem eine Erleuchtung kommt. Ja, ich hab‘s,
dachte oder vielmehr schrie sie beinahe, da ist ein System dahinter, ein
teuflisches. Dient nicht die Ausweitung des Flugbetriebs in Tegel bis
zum Gehtnichtmehr Flugunternehmen wie Air Berlin? Und die Bebauung einer
halben Gartenkolonie Projektentwicklern wie der Groth-Gruppe? Und
Poller? Der Straßenmöbelindustrie! Die rot-grüne Zählgemeinschaft also
ein Kapitalistenknecht? Oder nur ein Arbeitsplatzbeschaffer mit
Bauchschmerzen? Aber natürlich mit einem umweltfreundlichen Deckmantel.
Umweltschutz! Rettung einer ½ Gartenkolonie! Bloß war da dieser Mantel
derweilen schon arg zerschlissen. Ganz anders im dereinstigen Ökokiez.
Dort gibt es doch eine nach oben gut vernetzte Klientel, die sich für
solche Zwecke gern einsetzt und dafür auch noch eigene Ideen entwickelt
(Seite
6), dabei aber leider von ihren Freunden manchmal enttäuscht wird
(Seite 9).
Voll kraß!
Und dann dachte sie voller Bewunderung weiter: Dünnbrettbohrer sind das
im Bezirksamt, allesamt ausgefuchste Dünnbrettbohrer! Nutzen sie doch
wahrhaftig einige Ökobewegte, um der Straßenmöbelindustrie mal wieder
was zukommen zu lassen. Und nicht schlecht, wenn man die Relationen in
diesem klammen Bezirk betrachtet: 50.000 Euro, das sind 0,78 % des
Verkehrshaushaltes von 6,386 Mio., hatte
sie kürzlich gelesen. Und das für ½ km², also 0,77 % der Fläche
des Bezirks, wie ihr ihr Taschenrechner verriet. Das klang ja erst mal
nach fast nichts, aber bei konsequenter Umsetzung der Idee im ganzen
Bezirk wäre praktisch der gesamte Verkehrshaushalt (inklusive
Senatszuschlag für Schlaglöcher) für Poller und Schwellen und mobile
Dialog-Displays und Fahrradbügel verbraten. Möglich ist ja alles,
besonders wenn man bedenkt, daß das Bezirksamt doch immer wieder betont,
der ½ km² des Ökokiezes in spe sei ein Pilotprojekt für den ganzen
Bezirk.
Poller lügen nicht!
Als ihr mit spöttischem Kummer bewußt wurde, daß es auf diesem
hochstrebenden Fleckchen also Ökofreunde/innen gibt, die nichts dabei
finden, daß ihr Winkel dazu benutzt wird, den bekanntlich global
wirkenden Ausstoß von CO2 (Einwohnerfrage 12) durch die Produktion von weiteren Straßenmöbeln zu
fördern, wurde sie doch ein wenig melancholisch, und dann ergriff sie
auch noch eine kulturkritische Stimmung:
Poller und Schwellen sind doch eigentlich ein Gewaltmittel, um
rücksichtsvolles Verhalten zu erzwingen. Dann wäre das ja ein
Eingeständnis, daß die Menschen vor Ort im angehenden Ökokiez so
unsozial miteinander umgehen, daß die eh schon erkleckliche Anzahl von
Pollern dort für ganze 20.000 € (1) vergrößert werden muß, plus 6
Schwellen (für 4.000 €)! (Einige Zahlen kannte sie aus einer
ungewöhnlich gut unterrichteten Quelle (2), die ihr auf der Straße
zugespielt worden war.)
Und dann „mobile Dialog-Displays“ (für 12.500 €). Was für ein
Armutszeugnis für die dortige Gesprächskultur! Daß man eine
elektronische Geschwindigkeitsanzeige mit Standard-Smileys für einen
Dialog (gar einen „interaktiven“?) zwischen Behörde und Bürger hält! Das
kann doch eigentlich nicht wahr sein!
Und schließlich 130 weitere Fahrradbügel (13.500 €). Sie hatte davon
gehört, daß es früher mal „Speichenschlösser“ gegeben haben soll, um
Fahrräder vor Fremdbenutzung zu sichern, aber das lag lange vor ihrer
Zeit. Jetzt also wurden die Fußwege vollgepflastert mit
„Fahrradabstellanlagen“, in touristisch stark frequentierten Gegenden
gern auch stolz mit dem Bezirkswappen dekoriert. Allmählich standen ihr
die Haare zu Berge, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: Diese
Fahrradbügel, die von gewissen Gruppierungen als Symbol und Gradmesser
der lokalen Ökofreundlichkeit bejubelt werden, sind doch in Wirklichkeit
ein Beweis dafür, daß keiner dem anderen traut. Ist es vor Ort so
schlimm damit bestellt?
Zu all den Pollern, Schwellen, Fahrradbügeln und mobilen Dialog-Displays, ganz zu schweigen von „Gehwegvorstreckungen“ und „Fahrbahnverschwenkungen“, fiel ihr im Abgang dann nur noch der Ausspruch eines Landschaftsarchitekten ein:
„Poller sind fast immer
ein Zeichen für planerisches Versagen.“
MichaelR
(1) „Herr Bezirksstadtrat Schulte hat mich gebeten die von Ihnen
zusätzlich, zur o. g. Bürgeranfrage, aufgeworfene Frage zu beantworten.
Dieser Bitte komme ich gerne nach. Die Mittel werden in etwa nachfolgend
verteilt.
Dialog-Displays ca. 12.500 EUR
Fahrbahnschwellen ca. 4.000 EUR
Fahrradbügel ca. 13.500 EUR
Poller ca. 20.000 EUR“ (Email vom 13.3.2013)
(2) „In Sichtweite“, hg. von der SPD City-Westend Berlin, Ausgabe Nr. 9 (2013), S. 3, re. Sp., verfaßt vom Leiter der Verkehrs-AG eines ortsansässigen Bürgervereins und (für diesen) Mitglied in der Steuerungsgruppe des „Ökokiezes 2020“. Lieber Poller-Freund, anderswo ist man schon in der Gegenbewegung!
MichaelR - Gastautoren, Politik - 25. März 2013 - 00:02
Tags: parkplatz/poller/pümpel/ökokiez
sechs Kommentare
Nr. 2, ulli, 25.03.2013 - 11:19 Wir leben in einer Zeit, in der die Frauen zusehens die Macht übernehmen – wir haben ja sogar eine Frau als Bundeskanzlerin. Da tun die vielen Poller Not: So wie man andernort für Goethe und Schiller Denkmäler setzt, so in unserem Kiez halt für den Phallus – der wahre kulturelle Wert dieser Dinger wird sich noch erschließen. Vielleicht sind in den "Mitteln zur Tiefbauunterhaltung" (man achte auf die grandiose Mehrdeutigkeit dieses Wort) ja auch noch Gelder vorhanden, um an die Haushalte Gratisexemplare con "Shades of Grey" zu verteilen. |
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Dazu fällt mir noch ein das Gewerbetreibende für Ihre Fahrradständer bezahlen müssen, ansonsten ist ja "alles" gesagt worden. Eine Idee wäre doch die Fahrradständer von Händlern zu "sponsern" und damit könnte man dann mit den 13.500 die Begrünung unterstützen.