Der Literaturidealist
Den Büchnerpreis hat er 2011 bekommen, im laufenden Jahr ist er 70 Jahre alt geworden, da darf einer der wirkmächtigsten Autoren der Gegenwart ruhig Rückschau auf sein literarisches Leben halten. Friedrich Christian Delius, der kieznah am Lietzensee wohnt, hat seine biografischen Skizzen, unterlegt mit nostalgischen Fotos, unter dem trügerischen Titel „Als die Bücher noch geholfen haben“ vorgelegt – trügerisch deshalb, weil (nicht nur) seine Bücher auch heute helfen, Kindle Fire und Konsorten zum Trotz. Sie helfen gegen die Floskeln, Phrasen und Textbausteine aller Zeiten, in Delius’ Fall gegen jene der ausklingenden Adenauerära wie gegen jene der totalitären Wortführer von 68; heute helfen gute belletristische Bücher gegen den Imperativ der permanenten Selbstvermarktung und die Gefällt-mir-Einfalt von Facebook. In der vorliegenden Chronik präsentiert sich der selbst ernannte Literaturidealist F. C. Delius von allen Seiten, als junger Debütant, sorgfältiger Lektor, mutiger Verleger, Stipendiat mit der Chuzpe zum Hausfriedensbruch und en passant als virtuoser Autor.
Es passt ganz schön viel hinein in ein modernes Dichterleben. Als er 1964, noch als Student, im Kreis der „Gruppe 47“ die Bühne betritt, akquiriert er mit seiner Lesung gleich den umtriebigen Impressario des Literaturbetriebes Walter Höllerer als Doktorvater. Im selben Jahr gründet Klaus Wagenbach in Berlin seinen Verlag, publiziert erste Gedichte des Unbekannten und nimmt ihn 1970 nach seiner Promotion mit dem hinreißenden Titel „Der Held und sein Wetter“ als Lektor ins Kollektiv. Die aufkommende Diskussion um die Strategie der Roten Armee Fraktion setzt die linke Szene unter Dauerspannung. Entnervt von den endlosen Debatten um Solidarität mit der inhaftierten Ulrike Meinhof verlässt F. C. Delius 1973 den Wagenbach-Verlag und wird Gründungsmitglied bei Rotbuch. Zu allem Überfluss hat er in diesen turbulenten Jahren einen Prozess gegen den Weltkonzern Siemens am Hals, nachdem er als Stipendiat der römischen Villa Massimo eine satirische „Festschrift“ zum 125jährigen Firmenjubiläum verfasst und das Wirken Siemens’ während des III. Reiches pointiert und kritisch belegt hat – mit Zitaten aus Firmenbroschüren. F. C. Delius kommt finanziell glimpflich davon, der Autor und sein neuer Verlag können sich keine bessere Glaubwürdigkeit im antiautoritären Milieu wünschen. Literarisch leistet Rotbuch Pionierdienste Richtung Osten: in Westberlin erscheinen ab Mitte der 1970er Jahre die Texte von Günter Kunert, Thomas Brasch und Heiner Müller, alle Berlin(Ost) sowie dann in den 1980ern von Herta Müller, seinerzeit noch in Rumänien lebend. Diese Brotarbeit an den Büchern anderer hat F. C. Delius nicht davon abgehalten, das eigene Schreiben fortzusetzen; 1978 verlässt er Rotbuch und wird freier Autor in reger Produktion, präzise und federleicht schreibend und zu Recht hoch dekoriert.
Wer nun meint, eine solche Vita offenbare notwendig ein politisches Selbstverständnis, erfährt postwendend Widerspruch: „Theorie war meine Sache nie, Aktionismus noch weniger“, ein „guter Linker“ sei er nicht gewesen, Jean Paul und Theodor Fontane habe er um Längen lieber gelesen als Karl Marx. Schon der Junge kannte „die Wohltat, mich am Schopf der eigenen Texte aus dem Sumpf der Sprachlosigkeit ziehen zu können“, der Mann wird diese Empfindung und diese Fähigkeit kultivieren. F. C. Delius geht ein Dogmatismus des Schreibens völlig ab, ästhetische wie literarische Argumente zielen für ihn nicht aufs Rechthaben, sondern auf das Fortlaufenlassen der Kommunikation. Ein solch romantischer Respekt vor der Sprache ist kostbar, er ist Voraussetzung für Genuss ohne Ideologie, dabei durchaus politische, soziale und wirtschaftliche Missstände beim Namen nennend. Aber eben nicht vereinnahmend zu Lasten der Kunst. Allerdings kommt Delius’ Beharren, ein Einzelgänger der schönen Literatur und kein Parteigänger von 68ff. zu sein, ein wenig zu vehement daher; er ist nolens volens auch Repräsentant seiner Generation, ihrer Kämpfe und ihrer Widersprüche, randständig und glänzend. Was bleibt Friedrich Christian Delius noch zu wünschen? Dass dereinst eine Straße nach ihm benannt werde, in Berlin, in Charlottenburg, dem Pflaster, auf dem so viele seiner Bücher Gestalt annahmen. Im Poetenwinkel rund um die mittlere Kantstraße zwischen Goethe und Schiller, Wieland und Herder sollte sich ein passender Ort doch finden lassen.
Friedrich Christian Delius: Als die Bücher noch geholfen haben. Biografische Skizzen, Berlin 2012, Rowohlt
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 16. Mai 2013 - 00:02
Tags: delius/lietzensee/literatur
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