Politiker, Pfandflaschen und die Würde des Menschen
Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf gab bekannt:
Am Mittwoch, 25.9.2013, wurde um 16:30 Uhr das Pilotprojekt „Flaschensammler“ im Volkspark Wilmersdorf am Fenn-See (Eingang von der Blissestraße an der Friedrich-Ebert-Schule) von den Bezirksstadträten für Gesundheit und Soziales, Carsten Engelmann, und für Stadtentwicklung und Ordnungsangelegenheiten, Marc Schulte, mit einem Spatenstich zur Einsetzung des ersten modifizierten Papierkorbs feierlich eröffnet.
Im Volkspark Wilmersdorf und im Lietzenseepark werden durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beschäftigungsträgers TRIAS neben den Papierkörben spezielle Sammelbehälter für Pfandflaschen aufgestellt. Die Parkbesucherinnen und Parkbesucher sollen ihre leeren Flaschen nicht mehr in die Papierkörbe werfen, sondern in diesen Behältern einstellen.
Diese Idee geht zurück auf eine Anregung der Bezirksverordnetenversammlung von Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Berliner Stadtreinigung hat bisher ähnliche Ideen immer abgelehnt und sieht große Risiken für solche Sammelbehälter. Das Projekt von TRIAS tritt jetzt mit dem Anspruch an, diese Vermutung durch ein konkretes Beispiel zu widerlegen. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projektes werden die Sammelbehälter nicht nur hergestellt und aufgebaut, sondern es wird eine regelmäßige Kontrolle, Beobachtung und Dokumentation erfolgen, ob die Idee funktioniert.
Marc Schulte:
"Für dieses Modellprojekt haben wir die Papierkörbe von zwei unserer Grünanlagen zur Verfügung gestellt, die Papierkörbe der BSR durften wir nicht verwenden."
Carsten Engelmann:
"Es wäre schön, wenn es durch unser Beispiel gelingt, die BSR von diesem System zu überzeugen. Wenn es funktioniert, profitieren davon beide: Flaschensammler und Parkbetreiber, weil es weniger Müll gibt!"
Das Umwelt- und Naturschutzamt ist an dem Projekt beteiligt und finanziert die Materialkosten für die neuen Sammelbehälter. Aus Sicht des Amtes ist das Projekt ein sinnvoller Beitrag zum Umweltschutz, der deutlich macht, dass es sich bei den Flaschen nicht um wertlosen Abfall handelt, sondern dass durch Wiederverwendung oder Recycling wertvolle Ressourcen geschützt werden.
- Die Grünen weisen stolz darauf hin, daß es allein ihre Idee war.
- Die CDU erklärt stolz, daß diese einfache aber geniale Idee von ihrem Sozialstadtrat vorangetrieben wurde.
- Die SPD ist sicher auch stolz und wird sich möglicherweise auf eine Idee berufen, die sie schon lange vor allen anderen hatte.
- Der Sozialträger freut sich auch über das durch das JobCenter geförderte AGH-Projekt "Flaschensammler".
Nur von der Berliner Woche (vom 30.09.2013) kommen leicht kritische Töne: "Da die Politik der zunehmenden Verarmung nicht Herr wird, soll doch wenigstens das Wühlen im Wohlstandsmüll würdevoller werden."
Aus der Ecke der Betroffenen ist ebenfalls keine besonders große feierliche Freude zu vernehmen:
„Wir wollen die unmenschliche Situation der Pfandsammler verbessern.“ … jetzt müsste eigentlich kommen: Deswegen braucht es eine sanktionsfreie und existenzsichernde Mindestsicherung. Stattdessen: „Darum hängen wir Pfandkisten mit dem Aufdruck Jobcenter auf.“ — hergestellt von Ein-Euro-Jobbern. Man kann gar nicht so viel essen, wie man …"
Die Presse hat sich dann auch noch umfangreich damit beschäftigt:
* Der Tagesspiegel vom 24.09.2013
* Märkische Oderzeitung vom 25.09.2013
* BZ vom 24.09.2013
* Berliner Morgenpost vom 26.09.2013
- Gesellschaft, Politik - 07. Oktober 2013 - 00:12
Tags: bezirksamt/pfandflasche/pilotprojekt
vier Kommentare
Nr. 2, [marcel], 09.10.2013 - 11:55 Und wie sie in die Kamera grinsen und so tun als hätten sie die Welt gerettet. Zynisch! Aber man kann nun sagen: “Das wird von 1-Euro-Jobbern gebaut. Toll, weniger Arbeitslose!” und “ALLE kommen nun einfacher an die Flaschen.” Bedeutet natürlich auch die, die es vielleicht gar nicht benötigen. Warten wir dann mal auf die ersten Kleinkriege an den Kästen. Und in der Zwischenzeit empfehle ich: http://pfandgeben.de/ Auch schon mal genutzt und dort jemanden angerufen. Keine Probleme gehabt. Kann man auch toll im Büro organisieren. [marcel] |
Nr. 3, ulli, 09.10.2013 - 15:54 Ich finde das absolut unglaublich. So bar jedes politischen Anstands können die doch gar nicht sein. Anstatt sich für eine vernünftige Grundsicherung einzusetzen, stellen sie Kästen für Pfandflaschen auf, um den Armen das Flaschensammeln zu vereinfachen. Ich habe zuerst gedacht, maho hätte sich mal wieder in Satire versucht… |
Nr. 4, JessyRamon, 23.10.2013 - 22:57 http://www.der-postillon.com/2013/10/uni.. Manchmal liegen Satire und Wahrheit so dicht beieinander … wer kann da noch unterscheiden? |
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Eine Geschichte zum Kopfschütteln. Wird die Würde der Flaschen sammelnden Menschen besser geschützt, wenn diese in eigens dafür bereit gestellten Behältern ihre Flaschen vorfinden? Wäre es nicht besser daran zu arbeiten, dass überhaupt niemand zum Pfandflaschensammeln gezwungen wäre? Aber eine solche Politik erheischt natürlich mehr Aufwand und Ideenreichtum als forsch inszenierte PR-Termine. Ich finde das ganze Vorgehen ziemlich zynisch; von den Parteien sowieso und von der Beschäftigungsgesellschaft erst recht. Da wird Aktivität zur Bekämpfung von Armut simuliert.