Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen? - Teil 6
Von der Sondersitzung des Ausschusses für Weiterbildung und Kultur am 29.11.2013
Jetzt ist es also raus: die bezirkliche Zentralbibliothek wird kommen, und zwar in die Bismarckstraße 105/Ecke Leibnizstraße. In ihren mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen gingen der Nachfolgerin von Herrn Gröhler (CDU), seiner früheren Stabschefin und jetzigen Stadträtin König (CDU), ebenso wie der kommissarischen Leiterin des Bibliotheksamtes, Frau Steinwerth, der Mund über, so voll war ihr Herz ob des von der BNP Parisbas (1) gemakelten Hauses und seiner „Ausstrahlung nach außen“, „Strahlkraft“, „starken Außenwirkung“ und seinem „ungeheuren Potential“. Wer will, kann es vor Ort oder hier überprüfen.
Wenn ein leerstehendes Bürogebäude in einer eher unwirtlichen Gegend in solch hohen Tönen gepriesen und dabei zusätzlich auch noch auf „Erkenntnisse der modernen Bibliothekswissenschaft“ betreffs großräumiger Bibliotheken mit kleinen Cafés verwiesen wird, dann gibt es bestimmt einige Haken zu verbergen.
Die Haken
Haken 1: Aus schierer Not geboren Die wie üblich mit Geld- und Personalmangel begründeten Schließungen von Musikbibliothek (Bundesallee) und Rathaus (Fehrbelliner Platz) – beides im übrigen weitere Beiträge des Bezirksamt zur Austrocknung von Wilmersdorf – haben besonders die Bibliothek im Rathaus Charlottenburg in den Würgegriff genommen: Einerseits ist in den jetzigen Räumen zu wenig Platz für die dorthin ausgelagerte Musikbibliothek, weswegen seit über einem Jahr die Noten nicht zugänglich sind; andererseits ist eine Ausdehnung im Haus nicht möglich, denn die vollständige Abgabe des Rathauses Wilmersdorf durch Herrn Gröhler – entgegen dem dringenden Rat einer Beratungsfirma, wenigstens ein Stockwerk zu behalten – hat zu dem prognostizierten „ziemlich erhöhten Raumbedarf“ geführt. Also muß die Bücherei raus aus dem Rathaus Charlottenburg. Und nach Jahren der Planspiele – Wilmersdorfer Arcaden, Halensee, Bismarckstraße – hat man sich nun eben auf letztere verlegt. Aber wird das die finanzielle Situation dieses notorisch klammen Bezirkes verbessern?
Haken 2: Kosten-Leistungs-Rechnung (KLR) Im Bibliotheksentwicklungsplan hatte Herr Gröhler, assistiert von seiner Nachfolgerin sowie der kommissarischen Leiterin des Bibliotheksamtes, auf S. 15 geschrieben: „Jedoch kann nicht prognostiziert werden, welche Auswirkungen auf die Kosten-Leistungs-Rechnung durch Standortveränderungen zu erwarten sind." Das wurde von den beiden Damen im Ausschuß heruntergespielt. Jedoch wies ein bezirklicher Fachreferent auf folgendes hin: Vorgesehen ist eine Staffelmiete, die schon zu Beginn bei über 350.000 € liegen wird – das ist mehr als man im Rathaus Charlottenburg einspart (2); für die KLR (3) bedeutet das, daß sich der Umzug nur lohnt, wenn die Ausleihen um 40.000 im Jahr zunehmen. (Die finanziellen Details wurden jedoch erst im Anschluß und unter Ausschluß der ungewählten Steuerzahler besprochen.) Der Umzug der Bibliothek aus dem Rathaus Charlottenburg in die Bismarckstraße 105 ist also ein finanzielles Vabanquespiel, in der Hoffnung, daß „ein verbessertes [Medien]Angebot die Akzeptanz für ev. entstehende weitere Wege erhöht“ (Schriftstück des Bibliotheksamtes). Wird diese Hoffnung aufgehen?
Haken 3: Soziale Folgen Der Bibliotheksentwicklungsplan selbst ist sich da gar nicht sicher: „Insbesondere kann nicht vorhergesagt werden, ob sich z.B. bei Schließung/Verlagerung eines Standorts der gesamte Besucherstamm auf die anderen Bibliotheken bzw. den neuen Standort verlagert", heißt es dort auf S. 15. Man kann vorhersagen, daß sich Eltern mit kleinen Kindern, Grundschüler und Senioren die 850 m bis an den neuen Ort, dessen „Lage nicht zentral für den Bezirk“ ist (Schriftstück des Bibliotheksamtes), wohl kaum verlagern werden. Denn abgesehen von der Entfernung ist die Verkehrsanbindung eher dürftig, es sei denn, man möchte den Individualverkehr steigern und fährt mit dem eigenen Pkw in die Tiefgarage. Aber es gibt einen Hoffnungsträger: das Bibliothekscafé, „wodurch wir den einen oder anderen hereinziehen können“ (Frau König) - in einer Gegend, von der das Bibliotheksamt schreibt: „Der Fußgängerverkehr ist nicht stark ausgeprägt“? Dieser Umzug wird also erhebliche unsoziale Folgen haben. Aber damit ist es noch lange nicht getan:
Haken 4: Folgen für den Gesamtbestand der Bezirksbibliotheken Die ganze Kunst der Herumschieberei, in Bezirksamt und BVV liebevoll Raumoptimierung genannt, besteht ja darin, eine Lücke „aufzufangen“, indem man eine andere aufreißt. (4) So „erfordert“ der Umstand, daß die Verwaltung sich ein Gebäude mit 5 Ebenen Publikumsfläche als Zentralbibliothek ausgesucht hat, „einen höheren Personaleinsatz als eine Lösung mit Publikumsfläche auf einer Ebene“ (Schriftstück des Bibliotheksamtes). Das zusätzliche Personal nimmt man sich halt von den anderen Bibliotheken, und das heißt:
- Die Bibliothek am U-Bahnhof Blissestraße, eine „sehr gut genutzte Bibliothek“ mit „vielen Investitionen“ (5), verliert eine Bibliothekarsstelle und wird im Publikumsbereich um 10 % verkleinert (das betrifft den Raum für Zeitungen/Zeitschriften und Computerarbeitsplätze im EG und den Raum neben den Toiletten im OG) - und das, obwohl dieselbe kommissarische Bibliotheksleiterin eine Minute vorher festgestellt hatte, daß es heutzutage „mehr Bedarf an Arbeitsplätzen gibt als früher“, und dort an der Blissestraße wegen der vielen umliegenden Schulen dieser Bedarf vorhanden ist. Leider war Frau König nicht danach, die Frage, wie das funktionieren soll und in welchem Umfang die Bücherei dabei Medien verlieren wird, zu beantworten – der Ausschußvorsitzenden (Piratenpartei) war ebenfalls nicht danach, Frau König dazu anhalten.
- Noch ärger trifft es die Bibliotheken in der Nehringstraße und am U-Bahnhof Halemweg: sie sollen entweder als kombinierte „Begegnungsorte“/ehrenamtlich geführte Bibliotheken „erhalten“ bleiben oder kommen (wohl eher) ganz weg, denn ihr Personal ist dann vollständig in der Bismarckstraße 105.
Wie sehen die BVV-Parteien das?
Die CDU ist einerseits bedingungslos dafür, weist andererseits jedoch darauf hin: „Dies ist ein Sprung ins kalte Wasser und kann positiv oder negativ für uns ausgehen.“ Buchstabiert sich so verantwortliches Handeln? Die Fragen der Grünen Partei, in denen es allein um technische Details ging, weisen darauf hin, daß von dieser Seite kein Widerspruch zu erwarten ist. Dasselbe gilt wohl für die SPD, auch wenn sie betonte, sie habe sich noch nicht festgelegt und wolle ihre Entscheidung in den nächsten Tagen treffen. Eine externe Vertreterin der Piratenpartei forderte die Bibliotheken als staatliche Aufgabe, sagte aber nichts zur Zentralbibliothek. Von der Linkspartei wurde im September-„Thema des Monats“ zugunsten kieznaher Standorte und gegen die Vorherrschaft der KLR plädiert. Sie scheint als einzige zu widersprechen – auf der gesamten Ausschußsitzung jedenfalls sind von keinem Verantwortungsträger diese beiden Punkte auch nur ein einziges Mal kritisch thematisiert worden. So werden sie wohl alle gemeinsam die Bibliotheksbenutzer ungefragt ins kalte Wasser werfen und dann irgendwann feststellen, daß Zentralisierung im Bibliothekswesen auch nur eine Modeerscheinung ist, die allerdings jetzt schon anderswo aus der Mode zu kommen beginnt, wie die Regionalisierung in der EU oder die Schaffung von Blockheizkraftwerken zeigen.
MichaelR
Alle in Anführungszeichen gesetzten Textstellen sind, soweit nicht andere Quellen angegeben sind, wörtliche Zitate aus der Ausschußsitzung.
(1) Um sich vom Angebot einer der größten französischen Banken einen Eindruck zu verschaffen, siehe hier: PLZ 10625 (S. 12)
(2) Das läuft bei 1.900 m² auf eine Miete von wenigstens 16 T€ im Monat hinaus.
(3) Mehr zur KLR in den Bibliotheken siehe hier: „Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen – Teil 3“
(4) Allerdings war von keinem Verordneten zu hören, daß man bei seinen Parteifreunden im Abgeordnetenhaus darauf dringen müßte, endlich ein Bibliotheksgesetz zu schaffen, um die öffentlichen Büchereien als Pflichtaufgabe zu sichern, so daß Schluß mit dieser Optimierung wäre. Selbst die Tatsache, daß dieser Bezirk seit 10 Jahren hierzulande die geringsten Pro-Kopf-Ausgaben je Einwohner für seine Büchereien hat (2012: 67 Cent im Vergleich zu 92 Cent landesweit und 1,18 € im Bundesdurchschnitt), führte über die bloße Beklagung nicht zu einer politischen Forderung – die BVV und ihre Ausschüsse als verlängerter, dienender Arm der Verwaltung, ohne eigenes Leben!
(5) Herr Gröhler wollte nie so recht auf Einwohnerfragen hin mit Zahlen rausrücken – wohl weil dies deutlich gemacht hätte, wie sorglos das Bezirksamt, je nach Stand seiner Planspiele, bereit ist, mit unseren Steuergeldern umzugehen. So viel hat er wenigstens mitgeteilt: „In den Jahren 2002 bis 2012 fanden Umbau- und Renovierungsmaßnahmen von insgesamt ca. 690 T€ statt.“ (September 2012, Bürgeranfrage 4, Antwort zu Teilfrage 4)
MichaelR - Gastautoren, Politik - 03. Dezember 2013 - 00:24
Tags: bibliothek/stadtteilbibliothek/zentralbibliothek
sieben Kommentare
Nr. 2, Siegfried Schlosser, 03.12.2013 - 12:40 @neu: naja – die Ateliers auf dem Dach (des Hauses Hohenzollerndamm, nicht des Rathauses am Fehrbelliner Platz ) müssen aufgegeben werden, das ist insoweit richtig. Aber mit 6 der betroffenen Künstlerinnen und Künstlern wurde einvernehmlich ein Umzug in das bezirkseigene Haus am Nonnendamm vereinbart. Das ist nicht optimal, weil der Nonnendamm nun grade nicht “um die Ecke” und dazu noch schwerlich per BVG erreichbar ist, aber immerhin bleibt die Gruppe zum größten Teil zusammen und hat weiterhin relativ preiswerte Räume zur Verfügung. |
Nr. 3, neu, 04.12.2013 - 10:02 hier hätte ich aber zusätzlich eine stellungnahme zu dem sehr kritischen beitrag von den Piraten gelesen !!!! |
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die gute nachricht: das haus sigmaringerstr. 1 (bibliothek, UCW,künstlerateliers) ist bis 2020 gesichert
die schlechte: die künstler unterm dach des rh wilmersdorf fliegen mit ihren ateliers raus