Pressebericht zu "Uhlandstraße 1945"
In der Berliner Presse erschien ein erster Beitrag zur geplanten Gedenktafel für einen Ende April 1945 ermordeten Deserteur.
Die Wiedergabe des kompletten Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion der "Berliner Woche".
Erhängt kurz vor Kriegsende
Historiker Michael Roeder will mit Gedenktafel an Deserteur erinnern
In den letzten Kriegstagen töteten Nationalsozialisten einen 17-Jährigen, der nicht kämpfen wollte, vor den Augen der Anwohner. Ob ihm eine Gedenktafel gewidmet wird, prüft die Kommission des Bezirks seit Monaten.
Man schrieb die letzten Apriltage des Jahres 1945, und das Nazi-Regime zog zur Verteidigung Berlins nun jeden heran, der ihm noch kräftig genug erschien, Waffen zu tragen. Ein 17-Jähriger, der das nicht wollte, bezahlte seine Weigerung kurz vor Kriegsende mit dem Leben. Mehrere Tage mussten Anwohner seinen Leichnam an einem Mast an der Uhlandstraße, Ecke Berliner Straße hängen sehen, wo die SS ihn erhängt hatte.
Braucht dieses Grauen eine eigenständige Würdigung? Der Historiker Michael Roeder sagt ja. Und das, obwohl Charlottenburg-Wilmersdorf in der Murellenschlucht nahe der Waldbühne bereits über einen angemessenen Gedenkort für NS-Deserteure verfügt.
"Offenbar gibt es die Vorstellung, damit sei genug getan. Aber das ist nicht der Fall", glaubt Roeder. Das Eigentümliche an der Ermordnung des 17-Jährigen und seiner Schicksalsgenossen sei gewesen, dass sie mitten in der Stadt vor den Augen der Anwohner geschah - zwecks Abschreckung.
"So wichtig die Gedenkstätte in der Murellenschlucht ist - sie ist weit weg vom Alltag", kritisiert Roeder. Mit seinem Ansinnen, an den namentlich nicht bekannten Deserteur zu erinnern, weiß er Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) auf seiner Seite. Der hatte Zeitzeugen dazu aufgerufen, vom Fall des 17-Jährigen zu berichten und damit bei der Erstellung einer Gedenktafel am Tatort zu helfen.
Tatsächlich meldeten sich einige Bürger im Alter zwischen 70 und 90 Jahren zu Wort und bestätigen den Hergang. Doch die Prüfung durch die Gedanktafelkommission des Bezirks, ob eine Tafel sinnvoll ist, blieb bisher ohne Ergebnis. Eine Entscheidung werde noch auf sich warten lassen, hieß es aus Kreisen der Kommission, die mit Vertretern aller politischer Lager besetzt ist. Man will noch das Gespräch mit weiteren Historikern suchen. Denn es gibt auch Grund zur Skepsis: So soll der junge Deserteur eine Jacke der Waffen-SS getragen haben und womöglich Mitglied gewesen sein. Das will Roeder gar nicht ausschließen und verweist auf den Schriftsteller Günter Grass, der sich ebenfalls zum Tragen dieser Kluft hinreißen ließ. "Worum es hier geht, ist nicht die SS-Geschichte, sondern die Verführung von Minderjährigen zu menschenfeindlichen Verbrechen", sagt der Historiker. Was ihm für den Mittelstreifen der Uhlandstraße in Höhe der Hausnummer 103 vorschwebt, ist nur ein kurzen Text auf einer stählernen Tafel. Die ersten 200 Euro dafür hat er schon gesammelt.
Thomas SchubertQuelle: Berliner Woche vom 03.02.2014
- Geschichte - 18. Februar 2014 - 00:02
Tags: gedenken/gedenktafel/kriegsende/nationalsozialismus
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