Straßen und Plätze: Wilhelmsaue 111a und 111
Jemandem, der die Wilhelmsaue entlanggeht, könnte das Haus 111a wegen seiner vielgestaltigen Fassade aufgefallen sein. Und wenn man die Anker-Steinbaukästen kennt, dabei auch eine gewisse Parallele zwischen Elementen seiner Fassade und Steinen aus diesen Baukästen. Kein Wunder, sind beide doch aus derselben Zeit: die Bausteine von 1882, das Haus gut ein Dutzend Jahre später. Und dann ist da noch als sehr augenfälliger Kontrast Haus 111 mit seiner Schachbrettfassade.
Ursprünglich (siehe Bild 1) umfaßte das Grundstück der Familie Chr. Brandt die Häuser 111 und 111a. Jedoch wurde das Grundstück vor 1891 geteilt zwischen Albert (1), der 111a erhielt, und Ludwig (Louis) Brandt, beide Rentiers.
111a
Auf seinem Grundstück ließ sich Albert Brandt 1896 von dem Architekten Walter Eichelkraut (2) aus Zehlendorf ein 3geschossiges Stadthaus mit einem kurzen Seitenflügel und einem ebenerdigen Anbau errichten. Dieser Anbau enthielt eine Waschküche und zwei Remisen.
Das Haus gehört damit in die Zeit des Überganges Wilmersdorfs vom Dorf zur Großstadt: Seit den 1880er Jahren entstanden dort
die ersten Vorstadtvillen; ab den 1890er Jahren begannen dann
4-5geschossige großstädtische Mietshäuser die Oberhand zu gewinnen. 111a
stellt einen Zwischenschritt dar, denn es war nicht als Mietshaus,
sondern als Familiensitz gedacht.
Ursprünglich reichte der Seitenflügel nur bis einschließlich
Hintertreppe. Jedoch schon 1899, zwei Jahre nach der Fertigstellung des
Hauses, erfolgte durch denselben Architekten ein Ausbau des
Seitenflügels oberhalb der Waschküche in voller Gebäudehöhe, wodurch der
erste Stock ein Zimmer und der zweite Stock eine Küche hinzugewannen;
die Waschküche im Erdgeschoß blieb.
Weitere Umbauten innerhalb des Gebäudes erfolgten in den frühen 1930er
Jahre, so daß ab 1934 alle drei Wohnungen über ein Bad verfügten. Der
Grundriß von 1978 (Bild 3) stellt für den zweiten Stock die
Raumverteilung zu dieser Zeit dar.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das stark beschädigte Haus zunächst
notdürftig repariert. 1976 verkauften es die Erben an ein
Architektenkollektiv. Dieses modernisierte das Haus, baute den an den
Seitenflügel anschließenden Schuppen zu einem zweistöckigen
Zeichenatelier um und stellte die Straßenfassade mithilfe eines
Zuschusses des Landeskonservators wieder her.
Diese Fassade weist verschiedene dem Renaissancestil entliehene Elemente auf: im Erdgeschoß grober Verputz, der roh bearbeiteten Naturstein darstellt (Rustika), sowie Rundbogenfenster und ein ebensolches Portal; die oberen Stockwerke mit roten Ziegelsteinen verblendet (in Italien hätte man Marmor genommen); in den Obergeschossen je ein mit Stuckornamenten reich dekorierter Balkon und Erker; Betonung der Waagrechten durch zusätzliche Gesimse; im Portal ein aufwendig gestaltetes schmiedeeisernes Tor, durch das man in der Eingangshalle großformatige Wandbilder mit ländlichen Szenen erkennen kann.
Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.
111
Das Nebengrundstück gehörte Ende des 19. Jahrhunderts Ludwig (Louis)
Brandt. Auch er ließ sich 1896 von Walter Eichelkraut ein Haus bauen,
dessen Fassade spiegelbildlich identisch war mit der von 111a. Sein Haus
hatte jedoch statt Seitenflügel und Remise nur einen stummelförmigen
Anbau, der lt. Bauplan vom 18.9.1896 in der zweiten Etage als
Speisekammer diente. Schon im April 1897 ließ Ludwig Brandt an diesen
Stummel vom selben Architekten ein ebenerdiges Wirtschaftsgebäude
anbauen, das eine Waschküche, eine Plättstube und eine Kammer enthielt.
Ein weiterer Umbau erfolgte im Februar 1912, als das Wirtschaftsgebäude
abgerissen und durch einen dreigeschossigen Seitenflügel bis zur
hinteren Grenze des Grundstücks ersetzt wurde (Architekt Louis John,
Baugeschäft, Wilhelmsaue 14). Durch diesen Seitenflügel wurden die
beiden Obergeschoßwohnungen auf sechs Zimmer (im Erdgeschoß fünf)
vergrößert; gleichzeitig wurden die Küchen ans Ende des Seitenflügels
verlegt und bekamen eine weiteren Zugang durch eine Hintertreppe.
Bereits im Jahr 1926 wechselte das Haus aus dem Besitz der Familie Brandt zum Verband deutscher Eisenwarenhändler e.V. (VDE).
Haus 111 wurde im Krieg
stark beschädigt und vom Amt für Baulenkung bis Oktober 1959
abgerissen. An seiner Stelle entstand 1960 im Rahmen des sozialen
Wohnungsbaus ein 5geschossiger Neubau (Architekt Helmut Ollk (3)) mit einer 1½-Zimmer- und einer 2½-Zimmer-Wohnung
auf jedem Stockwerk, jeweils mit Innenbad, wofür
es einer Ausnahmegenehmigung bedurfte. Es erhielt eine
Schachbrettfassade aus quadratischen Mosaiktafeln. Zur Belebung der
Fassade sind diese Tafeln im Wechsel in die Wand eingelassen bzw. ihr
aufgesetzt (drei der aufgesetzten Tafeln sind offenbar herabgefallen und
durch weiße Quadrate ersetzt worden). Die hochkant rechteckigen Fenster
werden durch einen anthrazitgrauen seitlichen Farbstreifen zum Quadrat
ergänzt, um sich in den Rhythmus der Fassade einzufügen. Im Unterschied
zur üblichen Fassadengestaltung verfügen diese Fenster über keine
Außenfensterbank.
MichaelR
Ich danke für ihre Unterstützung Herrn Hasso v. Werder, Architekt, den Eigentümern des Hauses Wilhelmsaue 111, Frau Bettina Kühne, untere Denkmalschutzbehörde, dem Bauarchiv, dem Katasteramt und dem Museum des Bezirks, dem Landesarchiv sowie hilfreichen Mietern.
Material:
Bauarchiv Charlottenburg-Wilmersdorf, Bauakte Wilhelmsaue 111
Berlin-Wilmersdorf, Wilhelmsaue 111a, Umbau und
Restaurierung eines Stadthauses, Heft 6/78, herausgegeben vom
Senator für Bau- und Wohnungswesen – Landeskonservator, 1978
Landesarchiv Berlin, Bauakte B Rep. 209 Nr. 1347 (Wilhelmsaue 111)
(1) Der in der Senatsbroschüre angegebene Name Christian-Friedrich ist nicht zutreffend.
(2) Von ihm stammen noch weitere denkmalgeschützte Wohnhäuser und Villen aus der Zeit um 1900, vorwiegend im Süden der Stadt (z.B. in Zehlendorf).
(3) Helmut Ollk lebte von 1911 bis 1979 (falsch: 1912 bis 1992; siehe sein Grab auf dem Friedhof Wilmersdorf [Abt. C5 UW 1/21]). Einige seiner in den 1950er Jahren entstandenen Gebäude sind Baudenkmäler: Koblenzer Str. 4/4a in Wilmersdorf, Sonnenallee 21-23 in Neukölln und das Verwaltungsgebäude am Bayerischen Platz (Schöneberg). Beteiligt war er am Wiederaufbau des Alhambra-Kinos (Wedding) und am Wohn- und Geschäftshaus am Henriettenplatz.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 27. August 2014 - 22:34
Tags: baudenkmal/häuser/plätze/stadtgeschichte/straßen
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