Anke Jablinski liest
Vom Klettermax zum Einhandsegler
Charlottenburg und mithin der Klausenerplatz ist ein literarischer Kiez. Zahlreiche Autoren wie Jan Petersen mit „Unsere Straße“ oder Arnold Zweig mit „Die Zeit ist reif“ haben den Kiez in der deutschen Nationalliteratur verankert. Verlage und auch zahlreiche namhafte Autoren wie Gerhart Hauptmann, Georg Heym, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz haben zumindest zeitweise in unserem Umfeld gelebt oder wirken wie F. C. Delius, Isabelle Azoulay oder Jochen Senf im Kiez.
Bei Anke Jablinski geht alles zusammen: Sie wohnt hier und hat eines der schönsten Bücher über den Kiez geschrieben. Am Mittwoch, 19. November, wird sie um 19 Uhr in der Ingeborg-Bachmann-Bibliothek in der Nehringstraße 10 aus ihrem autobiographisch geprägten Buch „Klettermax“ lesen. Sicherlich wird auch der Veranstaltungsort selbst, die Nehringstraße, in der Lesung eine Rolle spielen.
Anke Jablinksi blickt von oben herab auf den Kiez. Nicht daß sie
überheblich wäre, sondern als „Klettermax“ war sie mehr auf den Dächern
des Kiezes denn auf dessen Straßen unterwegs. Das eröffnet eine
ungewöhnliche Perspektive, aus der auch mit dem Kiez gut vertraute Leser
noch Neues in ihrer Heimat entdecken können. Für alle anderen ist
dieses Buch ohnehin eine Offenbarung, denn die Autorin berichtet in
schonungsloser Offenheit über ihre Kindheit und Jugend in Siemensstadt
und im Klausenerplatzkiez. Wer wissen will, unter welchen Eindrücken die
Kinder im Westberlin der 60er Jahre aufgewachsen sind, wie die Jugend
der 70er Jahre im Kiez gelebt hat, was hier für Typen lebten, wie sie
gesprochen haben, wie sie dachten und sich durchs Leben schlugen - der
braucht nur in dieses Buch zu schauen. Hier erfährt er es authentischer,
als es jeder Historiker und jede soziologische Abhandlung darzustellen
vermögen. Die Atmosphäre der Lohmeyerstraße 6, wo Wolfgang Neuss im
Schneidersitz vor seinem großen Astrologie-Poster saß und vor seinen
Jüngern über das Weltgeschehen nuschelte, wird wieder lebendig. Es wird
von der Punk-Kultur, den Szenekneipen, Scheinehen, Klaukindern, der
Drogenszene, den Peepshows und schließlich vom Anbruch einer neuen Zeit
berichtet, als die „Neue Heimat“ das Quartier sanierte.
Anke Jablinski hat die Hölle erlebt, sie hat die Tiefen durchschritten und sich mit enormer Willenskraft herausgearbeitet. Dabei haben ihr zwei Geschenke des Lebens geholfen: ihr sportliches Talent und ihre künstlerische Begabung. Als junges Mädchen ist die Autorin weit in der Welt herumgekommen und hat von Amsterdam bis Malta viele Höhen und Tiefen erfahren. Gereift ist sie wieder in den Charlottenburger Kiez zurückgekehrt.
Anke Jablinski ist keineswegs eine
Heimatschriftstellerin, wenn auch „Klettermax“ ihr bisher
erfolgreichstes Buch ist. Sie hat einen Reiseführer über Malta
geschrieben, den sie aufgrund ihrer hervorragenden Kenntnis des
Inselstaates mit eigenen Fotos und mit eigener Malerei illustrieren
konnte. Der Inselstaat ist ihr zur Geliebten geworden, während
Charlottenburg die bodenständige Bindung bleibt. Ihr Copyshop am
Horstweg 8 ist zugleich das maltesische Kulturzentrum in Deutschland und
ihre eigene Galerie, denn das Malen gehört auch zu ihren Talenten.
Besonders beeindruckend sind ihre Porträts in Kohle und Kreide. Neue
Geschichten und bildkünstlerische Arbeiten sind im Entstehen. Weit
fortgeschritten ist ein Roman über einen Einhandsegler, der auf dem
Mittelmeer unterwegs ist, und die Graphikserie „s.a.m.“. Dafür sucht
Anke Jablinski jeweils noch einen Verlag und eine Galerie. „s.a.m.“
heißt soviel wie „sign - art - malta“. Das sind kalligrafisch
gezeichnete Ortsnamen von Malta und Gozo.
Die große Maltaverehrerin hat festgestellt, daß es in Berlin bisher keinen Ort gibt, der mit seinem Namen auf das kleinste Mitglied der Europäischen Union hinweist. Anke Jablinski hat direkt vor ihrer Haustür in dem Knick, wo der Horstweg die Wundtstraße kreuzt, einen noch unbenannten Platz, der nach Malta benannt werden könnte.
Frank Wecker
Jablinski, Anke: Klettermax, Dem Trauma zum Trotz - Roman einer Aufwärtsbewegung.
Frankfurt a. M. 2012. 20 Euro
ISBN: 978-3-86638-149-0.
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 11. Oktober 2014 - 19:53
Tags: autoren/lesung/literatur/roman
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