Der Einkaufswagen als Sessel
Im Bröhan-Museum wird es „Schrill Bizarr Brachial“
Einige Besucher der neuen Sonderausstellung des Bröhan-Museums „Schrill Bizarr Brachial“ werden sagen „déjà vu“, aber auch sie werden Neues entdecken, denn zahlreiche Objekte werden hier erstmals gezeigt.
Die Erinnerung an früher Gesehenes muß tief aus dem Gedächtnis hervorgeholt werden, denn es ist fast 30 Jahre her, daß einige Exponate im 3. Stock der Schloßstraße 1a bereits gezeigt worden waren. Damals waren sie jedoch nicht Teil einer musealen Sonderausstellung, sondern schockierten als neuester Schrei auf dem Kunstmarkt.
Mit dieser Ausstellung wagt sich das Bröhan-Museum, dessen eigentliches Metier der Jugendstil ist, auf neues Terrain. Es begibt sich vom Anfang des 20. Jahrhunderts an dessen Ende. Die Schau zeigt das „Neue Deutsche Design“ der 80er Jahre und wagt sogar einen Ausblick in die 90er. Solche Grenzüberschreitungen zur modernen Kunst, so Corinna Päpke vom Museum, soll es auch künftig geben. Das Museum hat sich mit diesem überraschenden Schritt die Vorreiterrolle bei der musealen Präsentation des „Neuen Deutschen Designs“ gesichert, das in Schwesterkünsten wie Film und Musik in der „Neuen Deutschen Welle“ seine Entsprechungen hat. Der Strömung waren nur sieben Jahre beschieden. Ihre Geburt läßt sich auf die Vernissage der Ausstellung „Möbel perdu“ 1982 in Hamburg datieren und ihr Ende auf 1989, als mit dem Anschluß der DDR die Mittel der Kunstförderung anders verteilt wurden. „Das Neue Deutsche Design ist damit eine der letzten kulturellen Leistungen der alten Bundesrepublik“, sagt Museumsleiter Tobias Hoffmann.
„Möbel perdu“ - die beiden Worte bezeichnen nicht allein den Auftakt des „Neuen Deutschen Designs“, sondern zugleich die wichtigste Galerie sowie Werkstatt dieser Stilrichtung und sie beschreiben in knappster und zutreffender Form ihr Charakteristikum. Jene Ausstellung wirkte über Köln bis nach Mailand. Sie markiert den Bruch mit der von der neuen Sachlichkeit und dem Bauhaus nahezu zum Dogma erhobenen reinen Funktionalität der Gebrauchskunst und forderte von den Künstlern ihren zum alltäglichen Gebrauch gestalteten Objekten wieder die Aura des Einmaligen, vom Gestalter mit Gefühl und Geschichten versehenen Kunstwerks zu verleihen.
In der Sonderausstellung ist ein Wohnzimmer mit Möbeln aus dem Hamburger Atelier inszeniert worden. Darin finden sich unter anderem ein „rasender Servierwagen“ in Form eines ferngesteuerten Roboters, die Wohnzimmerspinne als kybernetische Gottesanbeterin, die Tischlampe „Tyranno“ als Saurierskulptur, eine „stumme Dienerin“ und als Wandschmuck das Gemälde „Rolls Royce Rendezsvous“ von Moritz Reichelt. Das Gemälde ist eher zufällig hineingeraten, denn der Künstler wohnte unmittelbar neben der Galerie. Ebeso zufällig paßt es jedoch genau zum Mobiliar. Es zeigt eine ihre Schenkel präsentierende Prostituierte, die im Minikleid, das regelmäßig mit symbolischen Atomkernen gemustert ist, vor einer gebrochenen Laterne stehend. Sie ist im Begriff, von einem Rolls Royce aufgenommen zu werden. Das Arrangement des Zimmers zerstört jede Illusion, daß die Wohnsphäre ein Rückzugsraum in eine vermeintliche Privatheit wäre. Sie ist die perfekte Anpassung an den in die Öffentlichkeit getragenen gesellschaftlichen Diskurs, an den sogenannten Zeitgeist.
Zweite Säule des „Neuen Deutschen Designs“ war die Schule im Rheingebiet, in Köln und in Düsseldorf. Von dort sind unter anderem Arbeiten wie die Sesselgruppe „Kreuzzug“ von Siegfried Michail Syniuga und das „Geröllradio“ der Gruppe Kunstflug zu sehen.
Seine wichtigste Stütze fand das „Neue Deutsche Design“ in Berlin. Eine Plattform fanden die Designer in der Galerie Weinand in der Wielandstraße. Herbert Jakob Weinand, der selbst mit Objekten wie dem „Raketentisch“, womit er auf die Stationierung der Atomraketen „Pershing“ in der Bundesrepublik anspielte, hervorgetreten ist, stellte bedeutende Vertreter des Neuen Deutschen Designs wie Andreas Brandolini, Stefan Zwicky oder die Frauengruppe „Cocktail“ aus. Der Kiez um den Kurfürstendamm war jedoch eher ein Seitensprung des „Neuen Deutschen Designs“. Heimat der Künstler waren eher Kneipen wie das „Frontkino“, Risiko“ oder „Penny Lane’s Frsiörsalon“ in Kreuzberg und Schöneberg. In der Crellestraße befand sich eine der wichtigsten Werkstätten des „Neuen Deutschen Designs“. Die wiederum hatte Kontakte zum benachbarten Merve-Verlag, wo sich bis heute Objekte des „Neuen Deutschen Designs“ befinden. Tobias Hoffmann brauchte sich zum Beispiel dort für die Ausstellung die Stehstütze „Notorius“ nur abzuholen. Der Merve-Verlag hatte 1984 die Ausstellung „Kaufhaus des Ostens“ gezeigt. Zuvor war sie bereits in der Hochschule, heute Universität, der Künste zu sehen. Sie ging dann nach München, von dort nach Hamburg in die Galerie „Möbel perdu“ und wurde von Juni bis August 1985 im Werkbund Archiv, dessen damalige Räume in der Charlottenburger Schloßstraße 1a heute zum Bröhan-Museum gehören, gezeigt.
Es begann als ein Hochschulprojekt an der HdK. Andreas Brandolini stellte Studenten die Aufgabe, Designobjekte aus vorgefertigten Materialien zu schaffen, die weniger als 100 Mark kosten. Herausgekommen ist eines der wichtigsten Projekte des „Neuen Deutschen Designs“. Zu den Exponaten gehört auch der „Consumer’s Rest Lounge Chair“ des nunmehr Berliner Künstlers Stiletto. Es ist ein Drahtsessel, der aus einem Einkaufswagen gefertigt wurde. Dieser Einkaufswagen, der nebst weiteren Objekten von Stiletto in der Ausstellung „Schrill Bizarr Brachial“ gezeigt wird, wurde geradezu zum Markenzeichen des „Neuen Deutschen Designs“. Von Brandolini ist das Deutsche Wohnzimmer zu sehen, wie es 1987 auf der Documenta ausgestellt wurde. Im Mittelpunkt befindet sich ein Tisch, dessen Form an die kitschigen Nierentische erinnert. Hier wird er zu einer braungebrutzelten Bratwurst, unter der das Grillfeuer lodert, das allerdings nur bildlich in den Teppich gewirkt wurde. Um diesen archaischen heimischen Herd sind Sessel, Chaiselongue und Couch sowie das Steuerpult einer Kommandozentrale gruppiert, von dem aus sich zumindest symbolisch das Fernsehgerät bedienen läßt, das sich wiederum wie der frühere Postreiter auf einen Sattel zu befinden scheint, in dessen Satteltaschen sich weitere Nachtrichten befinden.
Mit einem Ausblick in das Deutschland der 90er Jahre entfernt sich das Bröhan-Museum mit dieser Ausstellung um einen weiteren Schritt von der heimischen Sphäre. Auf das „Neue Deutsche Design“ folgte der Minimalismus der „Neuen Bescheidenheit“. Einige ihrer Vertreter wie Axel Kufus und Jasper Morrison gingen direkt aus dem Neuen Deutschen Design und seiner Werkstatt in der Crellestraße hervor, andere, wie Uwe Fischer und Achim Heine von der Gruppe Ginbande, hatten sich in bewußten Gegensatz zum Neuen Deutschen Design gesetzt. Von dieser Gruppe ist die wie eine Ziehharmonika ausklappbare Kombination aus Tisch und Bank, die „Tabula Rasa“ zu sehen. Je nachdem, wie groß die Tischgesellschaft ist, kann das Konstrukt von 40 Zentimetern bis zu fünf Metern auseinandergezogen werden.
„Möbel perdu“ - am konsequentesten verwirklichte dieses Konzept vielleicht Claudia Rahayel. Sie sagte sich: „Ehe meine Objekte auf dem Sperrmüll landen, hole ich mir mein Material vom Sperrmüll“. In dem Objekt „Die Seinen lassen“, unterläßt sie zwar nicht das Designen, reduziert aber ihr Möbel auf ein zweidimensionales Wandbild.
Die Ausstellung wird bis zum 1. Februar 2015 gezeigt. Das Museum ist mit Ausnahme des 24. und 31. Dezembers Dienstag bis Sonntag sowie an allen Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 8 und ermäßigt 5 Euro. Besucher unter 18 Jahren sowie angemeldete Schulklassen haben freien Eintritt. Jeden 1. Mittwoch im Monat kann das Museum kostenlos besucht werden. Das gilt auch für die öffentlichen Führungen durch diese Sonderausstellung, die jeden 1. und 3. Mittwoch des Monats um 16 Uhr beginnen. Weitere Informationen gibt es im Internet unter dem Link: http://www.broehan-museum.de/infoseiten/a_schrill.html.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 21. Oktober 2014 - 00:02
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