Straßen und Plätze: Großgaragen in der Sophie-Charlotten-Straße
Das Auto war in der Zeit von 1895 bis zum Ende der Zwischenkriegszeit aus einem Luxusgegenstand, dessen Betrieb hohes technisches Geschick und große finanzielle Mittel erforderte, in gewissem Maße zu einem Gebrauchsgegenstand geworden, wie sich an den zugelassenen Fahrzeugen in Groß-Berlin ablesen läßt: 1909 waren es knapp unter 3.000, 1933 etwas über 50.000, 1937 bereits 100.000 (1). Aber immer noch waren Autos teuer und damit entweder ein Privileg der Reichen oder sie wurden aus beruflichen Gründen angeschafft. Und immer noch waren sie kompliziert, unzuverlässig und witterungsempfindlich: oftmals offen oder ohne Seitenfenster, mit Holzrahmen und Stoffdach, dazu mit einer anfälligen Ölfarblackierung versehen. Mit anderen Worten: sie brauchten Unterstellmöglichkeiten, Pflege, Wartung, Reparatur, außerdem Kraftstoff usw. Wenn hier also von Garagen gesprochen wird, geht es immer um dieses umfassende Angebot.
Dieser Nachfrage entsprachen die vielen öffentlichen Garagen dieser Zeit – darunter über 100 sogenannte Großgaragen mit mehr als 25 Boxen; in einigen Garagen konnten sogar über 200 Fahrzeuge untergestellt werden. Die Branche boomte besonders in den Jahren 1928/29/30; Beispiele für diese Jahre sind die Ruinenreste der Holtzendorff-Garage am Kracauerplatz, die Kant-Garage, das „Auto-Hotel“ und das „Haus Nassau“. (2)
Ebenfalls in dieser Zeit entstanden die beiden Großgaragen in der Sophie-Charlotten-Straße – günstig gelegen für die Taxifahrer am Messegelände und die wohlhabenden Anwohner des Kaiserdamms.
Sophie-Charlotten-Straße 41-43
Einen Höhepunkt hätte es bereits 1924 geben können mit dem Großgaragenprojekt der Wender AG auf den benachbarten Grundstücken Sophie-Charlotten-Straße 41-43 und Knobelsdorffstraße 56-62, entworfen von der Architektengemeinschaft Gebr. Luckhardt und Anker. Dieses Areal, das sich L-förmig bis hinter Sophie-Charlotten-Straße 38 erstreckt, sollte mit drei Baukörpern belegt werden: dem langgestreckten Boxenteil auf vier Ebenen am Bahndamm (jetzt Stadtautobahn); einem zweigeschossigen Trakt an der Knobelsdorffstraße mit Ausstellungshalle für Lastwagen, Fahrzeug-Waschräumen, Chauffeur-Tagesräumen, Hotel, Kantine und Dachgarten sowie einem über 12stöckigen schlanken Eckturm gleich neben der Knobelsdorffbrücke; und schließlich an der Sophie-Charlotten-Straße die Einfahrt mit einer Tankstelle auf dem Hof und ein kürzerer dritter, fünfgeschossiger Flügel, wo sich Reparatur- und Montagehalle, Werkstätten für Handwerker und Läden befinden sollten. (2a)
Dieser Plan einer Hochgarage wurde jedoch nicht umgesetzt. Offenbar wurde stattdessen die gesamte Fläche an die Farkitsch AG für Kraftfahrzeuge verkauft, die 1929 von Erich Sorgatz an der Knobelsdorffstraße eine Wohnanlage bauen ließ (Knobelsdorffstraße 56a-62; Nr. 56 wurde im Krieg zerstört, dann stand auf dem Grundstück etwa zwischen 1958 und 1970 eine Tankstelle, und jetzt gehört es zum Rewe-Markt).
Gleichzeitig entstand dahinter, auf dem Grundstück Sophie-Charlotten-Straße 41-43, eine zweigeschossige Großgarage (halb versenktes Untergeschoß und erhöhtes Erdgeschoß, beide über eine Gabelrampe erschlossen) (3). Betreiber war die Farkitsch AG, die jedoch kurz darauf in der Weltwirtschaftskrise bankrott ging. Die Garage bestand weiter unter dem Namen „Groß-Garagen am Kaiserdamm“ und wurde im Krieg beschädigt, aber nicht völlig zerstört: Laut Abräumakten waren die „Flachgaragen der Groß-Garagen am Kaiserdamm [...] zu 15 bis 27 % zerstört“, aber als „instandsetzungswürdig“ gekennzeichnet (4).
Detlev Lubjahn , der zwischen 1950 und 1964 in der Knobelsdorffstraße wohnte, berichtet, daß dort nach dem Krieg gemauerte Einstellplätze und ein paar Werkstätten standen. Und weiter:
„Die Zufahrt zu diesen ‚Garagen' erfolgte in den 1950ern von der Knobelsdorffstraße westlich des letzten Hauses, Nr. 62, kurz vor der Bahnböschung über eine Fläche, die wir Kinder als ‚den Hof' (5) bezeichneten und wo wir nicht spielen durften ohne Ärger zu bekommen. Mit den Bau der Stadtautobahn [um 1960] hat ‚der Hof' der Autobahnauffahrt Platz machen müssen.
Eine weitere Zufahrt zu ‚den Garagen' gab es von der Sophie-Charlotten-Straße. Diese Zufahrt war, soweit ich mich erinnere, zunächst nicht geöffnet. Erst mit dem Bau der Stadtautobahn , als ‚der Hof' zur Baustelle wurde, fuhr man den Wagen über eine Rampe aufwärts zu ‚den Garagen'. An dieser Zufahrt führte auch eine (stets geschlossene) Rampe abwärts in ein Kellergewölbe, in dem – so die Eltern – der Senat Reserven für eine weitere Blockade gelagert hatte. Sauerkohl war mit Sicherheit auch dabei, denn es roch gelegentlich penetrant danach, wenn im Sommer mal wieder ein Behälter ‚geplatzt' war.“
Später wurde in einem Teil des halb versenkten Untergeschosses – mit Zugang von der Sophie-Charlotten-Straße – ein Rewe-Markt (mit Stellplätzen auf seinem Dach) eingerichtet, und die restliche obere Ebene der ehemaligen Garagen diente – über die ursprüngliche Rampe zugänglich – als Parkplatz. Erst 2013 wurde das gesamte Areal eingeebnet für den Bau des neuen Rewe-Marktes und den dazugehörigen Parkplatz. Von den einstigen Großgaragen ist nur ein winziges Stück ganz am Ende der L-Form übriggebliebenen, wo noch Betriebe mit Kfz-Bezug angesiedelt sind (siehe oben Bild).
Hier stehen immer noch die „Großgaragen des Westens“ (GeDeWe), entworfen vom Architekturbüro Lohmüller, Korschelt & Renker, das später auch an der Kant-Garage beteiligt war. Bauherren waren die Brüder Lewin. Die Bauerlaubnis wurde im April 1929 erteilt, die Gebrauchsabnahme erfolgte im November. 1939 wurde nach einem Besitzerwechsel (6) die Fassade des zweigeschossigen Straßengebäudes verändert; es beherbergte damals das Büro und die Aufenthaltsräume der Chauffeure. Die Anlage hatte Unterstellmöglichkeiten auf zwei Ebenen: ein Kellergeschoß auf der gesamten Grundstücksfläche und ein Hochparterre, beide über eine Gabelrampe erreichbar.
Heutzutage wird das Kellergeschoß immer noch für Unterstellzwecke genutzt. Sein Grundriß gleicht einem Kamm mit vier Zinken; am Rücken des Kammes und an drei Zinken liegen die Einfahrten zu den Einzelboxen, die vierte Zinke ist eine Sammelbox für etwa 20 Fahrzeuge. Das Hochparterre ist erheblich verändert worden; die auf einem Foto von 1987 (7) auf der linken Seite erkennbaren Boxen sind weiteren Werkstatträumen des seit 1978 dort ansässigen Kfz-Betriebes gewichen.
Sophie-Charlotten-Straße 38
Auf diesem Grundstück gibt es einen Garagenhof, der aber keine gewerbliche Garage im Sinn einer vollständigen Umsorgung des Autos darstellt. Der Gesamteindruck – zwischen den Brandmauern zweier fünfgeschossiger Mietshäuser gelegen – und ein Blick auf die Gebäudeschädenkarte von 1945 lassen vermuten, daß nach einem Totalschaden dieser Garagenhof erst in den 50er Jahren in die kriegsbedingte Lücke hineingebaut wurde
MichaelR (Fotos: R. Hartmann, D. Lubjahn, maho, M.R.)
Danksagung und Quellen:
Dieser Text hätte ohne die ausführlichen Informationen von René Hartmann nicht entstehen können; herzlichen Dank an ihn und ebenso an Detlev Lubjahn, dessen Zeitzeugenberichte und Fotos es erst möglich machten, den Nachkriegszustand der „Groß-Garagen am Kaiserdamm“ so anschaulich darzustellen.
Weitere Quellen:
Frauke Bollow u.a., Rund um den Klausenerplatz, hg. von der Berliner Geschichtswerkstatt e.V., 1989, „4. Station: Rund ums Auto – ‚Großgaragen des Westens', Sophie-Charlotten-Straße 98“
René Hartmann, Automobilismus und Garagenwesen in Berlin bis 1933, Vortrag bei der Mobilitäts-Konferenz im Technikmuseum (9. Jahreskonferenz der „International Association for the History of Transport, Traffic and Mobility", Berlin 6.-9.10.2011 – engl. Version)
(1) René Hartmann: Die Hochgarage als neue Bauaufgabe - Bauten und Projekte in Berlin bis 1933, Technische Universität Berlin, 2009 (Fak. I, Fachbereich Kunstgeschichte)
(2) Ausführlich zur Entwicklung von Automobilismus und Garagen in Berlin bis 1933: R. Hartmann: Automobilismus und Garagenwesen in Berlin bis 1933 (auf englisch)
(2a) Folgende Internetadresse kopieren, um Zugang zu den Modellfotos zu erhalten: http://download.linkbax.com/dl/?id=2201044.
(3) vgl. Landesarchiv Berlin [LAB], B Rep. 207/5627, Sophie-Charlotten-Str. 41-43 Ecke Knobelsdorffstr. 56 (Bd. 2), Tankakte; hier: Bl. 4, 14-15 [Baupläne], 18a, 63.- Diese Gabelrampe war vierspurig: auf den Außenseiten die Zu- und Abfahrten zur oberen Ebene, in der Mitte zum Kellergeschoß.
(4) vgl. LAB, B Rep. 207-01/1517, Sophie-Charlotten-Str. 38-43, Abräumakten 1948-1955
(5) Tatsächlich war dies der nördliche Teil der Saldernstraße, damals schon als Straße entwidmet. Die Auffahrt zur oberen Garagenebene erfolgte nach 80 bis 100 m; nach weiteren etwa 100 m ging es hinab zur unteren Ebene, wo zur damaligen Zeit am hinteren Ende eine Süßmostfabrik angesiedelt war.
(6) 1938 verkauften die bisherigen Besitzer die Garagen an den Tiefbauunternehmer Kowalski, wobei zweifelhaft ist, ob das freiwillig geschah. Folgende Fakten legen nahe, daß der Verkauf ein Akt der „Arisierung“ war: Damals wurden Juden polnischer Herkunft bzw. mit polnischer Staatsbürgerschaft nach Polen abgeschoben; die Brüder Lewin befanden sich im Dezember 1938 in Warschau; in der Nachkriegszeit führten ihre Erben einen Prozeß, um das Grundstück wiederzuerlangen. Siehe hierzu: F. Bollow, S. 19f.
(7) F. Bollow, S. 20
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 19. Oktober 2014 - 18:04
Tags: garagen/plätze/stadtgeschichte/straßen
drei Kommentare
Nr. 2, jn, 25.11.2014 - 14:50 Kantgaragen im Focus der Fachleute: 1. PODIUMSDISKUSSION am: 01.12.2014 um: 19:00 Uhr im: Bücherbogen am Savignyplatz, Stadtbahnbogen 593, S-Bahn Savignyplatz “Erhalt oder Abriss der Kantgaragen-Denkmalsschutz versus wirtschaftliche Nutzung Die Kant-Garage gilt seit ihrer Bauzeit und Eröffnung 1930 als eine architektonische Sensation: mit einer steilen Glasfassade zwischen Klinkerbändern zur Kantstraße und den beiden genialisch ineinander geschwungenen Autorampen. Das unter Denkmalschutz stehende Parkhaus befindet sich seit geraumer Zeit in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand. In der Vergangenheit gepflegt, ist nunmehr die systematische Vernachlässigung unübersehbar. Der Eigentümer hat einen Abrissantrag gestellt, da das Grundstück mit dieser Bebauung nicht wirtschaftlich sei. Der Landesdenkmalrat empfiehlt, dieses ungewöhnliche Zeugnis der Verkehrs- und Baugeschichte aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen unbedingt zu erhalten.” Die gemeinsam mit den Berliner Wirtschaftsgesprächen initiierte Veranstaltung legt den Fokus auf eine Diskussion über – Nutzung älterer Gebäude, die für ihre ursprüngliche Ausrichtung nur noch bedingt geeignet sind und – Aspekte und Probleme des Denkmalschutzes bei öffentlichen Gebäuden bei der Nutzung bzw. Umnutzung der Gebäude in privater Hand – Welche Alternativen gibt es für die Kant-Garage? Ein interessierter Kreis soll von Architekten, Stadtplaner und Denkmalschützer u.a., die zu dieser Veranstaltung eingeladen wurden, über den aktuellen Status und Lösungen für die Zukunft informiert werden. Moderation: Margarete Winkes (Architektin werkfabrik Berlin) Podium: Prof. Anne Rabenschlag (HafenCity Universität Hamburg FB Baukonstruktion und Entwerfen), Marc Schulte (Bezirksstadtrat Charlottenburg/ Wilmersdorf), Dr. Gernot Moegelin (Geschäftsführender Gesellschafter KapHag Immobilien Holding GmbH), René Hartmann (Doktorand Wissenschafts- und Technikgeschichte TU Berlin) und Dr. Matthias Dunger (Landesdenkmalamt Berlin). 2. EINLADUNG ZUR 1. WERKSTATT KANT-GARAGE am: 05.12.2014, IBZ Berlin (Saal, 4. OG), Wiesbadener Straße 18, 14197 Berlin (U-Bhf. Rüdesheimer Platz) Info & Anmeldung: info@ibz-berlin.de “Keine andere Stadt in Europa besitzt so eindrucksvolle Zeugnisse der Auto mobilitätsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts wie Berlin. Mit dem Kantgaragen-Palast in der Charlottenburger Kantstraße ist eine der letzten Hochgaragen der Moderne beinahe vollständig auch in ihrer Nutzung erhalten. Die filigrane Vorhangfassade aus Stahl und Glas und die doppelläufige Wendelrampe und Garagenboxen sind meisterlich gefertigt und von hohem künstlerischen Wert. Die im Januar 2014 gegründete Initiative zur Rettung der Kantgarage lädt Sie nun herzlich zu einem Werkstattauftakt in das IBZ Berlin. Die für den 5. Dezember 2014 geplante erste Werkstatt soll Nutzungsszenarien entwickeln und die Vor- und Nachteile dieser Ideen für das Quartier untersu chen. Diese Szenarien sollen in kleineren Arbeitsgruppen textlich und zeich nerisch erarbeitet werden. Die zweite Werkstatt soll die Ideen und Konzepte einer planungsrechtlichen und baukonstruktiven Überprüfung unterziehen. Schließlich soll sich eine dritte Werkstatt den Finanzierungsmodellen für die ausgewählten Nutzungskonzepte und einer möglichen Trägerkonstruktion widmen. Eine öffentliche Präsentation der Ergebnisse soll dann das Verfahren abschließen. Quellen: http://www.buecherbogen.com http://www.studentendorf.berlin/ http://www.bwg-ev.net/events/info/zmkb8-.. |
Nr. 3, jn, 02.12.2014 - 11:46 Berlins schönste garage: http://www.berliner-kurier.de/archiv/mei.. http://www.remise.de/ Diskussion um Kantgaragen voll im Gang: http://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirk.. |
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