Bezirksbibliotheken – Teil 15: Prof. Herding, Dr. Beaucamp protestieren
Eher selten geben Politiker eine so klare Antwort auf Fragen der Bürger, wie das Bezirksamt von Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf (SPD-GrünePartei-CDU) es jüngst durch seine Büchereistadträtin (CDU) getan hat (12. Einwohnerfrage). Es ging um die Frage: Wie hält es das Bezirksamt mit den ihm anvertrauten, aus Steuergeldern gekauften Büchern (diesmal: Kunstbände)?
Zunächst die Zahlen: Der Bestand an Kunstbänden und -büchern wurde im Laufe von zehn Jahren (2004-2014) von 3158 auf 2080 gesenkt; das ist ein Minus von 34,1 %. Allein im Jahr 2014 wurden laut dieser offiziellen Erklärung des Bezirksamtes von Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf 253 Bände beseitigt, und im ersten Halbjahr von 2015 sogar schon 449 Bände. (Und dies sind nur die Zahlen für eine von sieben Bibliotheken in einem von zwölf Bezirken!)
Die Begründung für diesen Umgang mit (Kunst-)Büchern ist es wert, hier noch einmal wiederholt zu werden:
Der prozentuale Anteil des Bestandes ‚Kunst‘ am Gesamtbestand ist seit 2004 ungefähr gleich geblieben, die Nutzung ist seit 2004 kontinuierlich sowohl absolut als auch anteilig an der Gesamtausleihe gesunken. Idealer Weise sollte der Bestandsanteil dem Ausleihanteil entsprechen, die so ermittelte Effizienz den Wert 1 ergeben. Im Bereich ‚Kunst‘ ist dies nicht der Fall, die Tendenz seit 2004 stark fallend. Der Bestand ist im Verhältnis zu seiner Nutzung und im Verhältnis zum Gesamtbestand zu groß.
Der Widerstand gegen betriebswirtschaftlich kalkulierte
Büchervernichtung und andere Arten der behördlichen Mißachtung von
Leserinteressen beginnt sich erst zu formieren. Auf der Ebene der
Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ist die Öffentlichkeit schon
einen Schritt vorangekommen, wie die Petition
„Büchervernichten in Berlin? Bibliotheken werden kaputt rationalisiert“
mit ihren über 20.000 Unterschriften, davon über 15.000 in Berlin
(womit das Quorum erreicht wurde), zeigt. Aber auf Bezirksebene ist der
Widerstand erst noch punktuell (ein Beispiel: Arbeitskreis Berliner Stadtteilbibliotheken). Daher ist es besonders
wertvoll, daß jetzt zwei renommierte Kunstwissenschaftler ihren Protest
geäußert haben: Prof. Dr. Klaus Herding und Dr. Eduard Beaucamp.
Prof. Herding ist Kunsthistoriker und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt inne. 2007 wurde er mit dem Hessischen Kulturpreis ausgezeichnet. Mit Bezug auf den kürzlich hier erschienenen Text „Bücher wegwerfen, damit die Statistik stimmt?“ erklärte er am 22. August 2015:
Kürzlich habe ich von der Vernichtung von Hunderten von Kunstbüchern in Berlin erfahren. Als Kulturpreisträger protestiere ich auf das Schärfste gegen diese Kulturbarbarei und ersuche den zuständigen Senator, geeignete Maßnahmen zu treffen.
Mit freundlichen Grüßen,
Klaus Herding
Dr. Beaucamp ist Kunstkritiker und Publizist. Von 1966 bis 2002 war er Mitglied der Feuilletonredaktion der FAZ, seit 1996 ihr Kunstkritiker. 2006 verlieh ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Er schloß sich dem Protest am 4. September 2015 an:
Gerne schließe ich mich dem Protest von Herrn Professor Herding gegen die Vernichtung von Kunstbüchern in öffentlichen Bibliotheken an. Wo der Kunstunterricht gestrichen oder reduziert wird, sind Kunstbücher als eine Hauptquelle geblieben, um sich gegen die kommerzielle und politische Sturmflut der Bilder zu wappnen und sich eine fundierte, kritische, historisch untermauerte Erfahrung im Umgang mit Bildern zu erarbeiten. Ich wünsche Ihnen in unser aller Interesse Erfolg bei Ihrer Kampagne.
Mit den besten Grüssen Eduard Beaucamp
Nachtrag
Ein weiterer Protest kam von Dr. Ulrike Kern, Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie schrieb am 5. Oktober 2015:
Soeben habe ich von der Vernichtung von Hunderten von Kunstbüchern in Berlin erfahren. Als Kunsthistorikerin protestiere ich dagegen und ersuche den zuständigen Senator, geeignete Maßnahmen zu treffen.
Mit der Bitte um Weiterleitung und freundlichen Grüßen,
Dr. Ulrike Kern
Es wäre sehr zu wünschen, daß weitere Bürger und Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Bereichen – denn es werden ja in den öffentlichen Bibliotheken von Charlottenburg-Wilmersdorf und den weiteren elf Berliner Bezirken Bücher aus allen Bereichen weggeworfen – gegen diese Zerstörung unserer Bibliotheken protestieren.
MichaelR
MichaelR - Gastautoren, Politik - 07. September 2015 - 00:02
Tags: bezirksamt/bezirksbibliothek/bezirkshaushalt/bibliothek/stadtbibliothek
sechs Kommentare
Nr. 2, jn, 07.09.2015 - 14:11 http://www.buecherfreunde-gesucht.de/ warum findet der leser auf der seite der “bücherfreunde” nichts von den unhaltbaren zuständen ? da es kein forum bzw. keine kommentarleiste gibt, kann der bürger/in auch nichts “einstellen”. die “gesuchten Bücherfreunde” sind seit langem gefunden, nur finden diese sich auf der website nicht wieder. |
Nr. 3, jn, 09.09.2015 - 19:09 http://www.kulturradio.de/programm/sendu.. wie bibliotheken gut funktionieren: Mehr als nur ein ort zum lesen… unbedingt nachhören ! |
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Büchervernichtung:ja – Bürgerinformation: nein !
In der zeit der digitalen revolutionierung sämtlicher medien ist es angebracht und legitim über den weiteren umgang mit der haptischen form des buches nachzudenken.
Was aber gar nicht geht, ist die einwohnerschaft,die nutzer der bibliotheken, weder zu unterrichten noch in den prozeß der meinungsbildung einzubeziehen.
Mir ist nicht bekannt, dass parteien und ba die zivilgesellschaft aufgeklärt noch partizipiert haben.
In einem jahr stehen wir vor neuwahlen,wir sollten den kandidaten die ausrangierten bücher "um die ohren hauen".
Wie wäre es mit einer symbolischen aktion, in der die zuständige stadträtin in einem haufen verschlissener medien "untergeht" ?