Was macht eigentlich … der Abriß der Gaslaternen? – Erneute Nachfrage
Diese Frage hatten wir bereits vor einem Jahr gestellt. Auch jetzt heißt die Antwort: Der Abriß der Gasreihenleuchten geht weiter. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nennt in ihrem „Status der Umrüstung“ folgende Zahlen:
Anzahl der Gasreihenleuchten zum Zeitpunkt | 1.1.2012 | 1.7.2015 |
Gesamtes Stadtgebiet | 8.000 | 924 |
Charlottenburg-Wilmersdorf | 1.400 | 209 |
In der ganzen Stadt sollen am Schluß nur 240 Gasreihenleuchten erhalten bleiben (3 %), und zwar in Charlottenburg in der Knobelsdorffstraße östlich der Sophie-Charlotten-Straße und auf letzterer südlich vom Kaiserdamm sowie in der Wundt-, Dernburg- und Herbartstraße, in Wilmersdorf in der Ahrweiler Straße und auf Rüdesheimer Platz und Straße.
Nach den Reihenleuchten kommen – voraussichtlich vorfristig schon ab 2016 – die Modell- (1.100), Hänge- (3.350) und Aufsatzleuchten (30.000) dran (Im Westen Berlins, 24.8.2015). Spätestens 2020 wird es nach dem Willen des Senats statt 43.500 (im Jahr 2012) noch 3.300 Gaslaternen aller vier Typen geben (7,6 %). (1)
Widerstand
Gibt es überhaupt noch Widerstand gegen den Abriß der Gasbeleuchtung?
Am 18. Mai veranstalteten mehrere Partner des Aktionsbündnisses „Gaslicht ist Berlin“ die erste Internationale Gaslicht-Konferenz. Zu den Rednern gehörte auch der Historiker Peter Burman, der ein Gutachten „über die Bedeutung der Berliner Gas-Straßenbeleuchtung im Hinblick auf den anzustrebenden Status als Weltkulturerbe“ angefertigt hat.
Die informative Veranstaltung war gut besucht – wenn man einmal davon absieht, daß aus dem Abgeordnetenhaus nur ein Mitglied (Linkspartei) anwesend war, das auf das Desinteresse „quer durch alle Parteien“ hinwies, und die Landesregierung überhaupt nicht auftrat, was nicht überrascht (2), da ihr Oberhaupt M. Müller (SPD) ein vehementer Verfechter des Abrisses ist. Wenn man dann noch bedenkt, daß es nach den Verfahrensvorschriften der Deutschen UNESCO-Kommission allein bei den Bundesländern liegt, was sie als zukünftiges Weltkulturerbe vorschlagen, fragt man sich, woher der dafür notwendige „weitere massive öffentliche Druck“ kommen soll: durch eine Veranstaltung im Saal ohne größere Breitenwirkung?
Oder vielleicht doch durch Einwohneranträge an die BVVs? Der erste derartige Antrag wurde bereits am 25.10.2012 in Charlottenburg-Wilmersdorf behandelt und angenommen. Ein weiterer Einwohnerantrag war am 19.2.2014 in Steglitz-Zehlendorf erfolgreich. Zur Zeit werden die jeweils notwendigen 1.000 Unterschriften in Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Reinickendorf gesammelt; Mitte und Neukölln sind noch dazugekommen; für Spandau ist ein Antrag geplant.
Der erste Antrag wurde 2012 zu einer Zeit gestellt, als es vielfältige öffentliche Aktivitäten gegen den angekündigten Abriß der Gasbeleuchtung gab: einen Aufruf des Heimatvereins Charlottenburg an den Bezirksbürgermeister vom 20.3.2012; die Petition zur Erhaltung der Berliner Gas-Straßenbeleuchtung April-September 2012 mit 17.375 Unterstützern aus Berlin; eine Benefizveranstaltung am 29.10.2012 in der Komödie am Kurfürstendamm; und eine Kundgebung mit Menschenkette vor und um das Amtsgericht Charlottenburg am 17.11.2012. Und was geschah mit dem Brief, den das Bezirksamt aufgrund des Antrages an den Senat schrieb? Er gelangte zu Staatssekretär C. Gaebler (SPD, aus Charlottenburg-Wilmersdorf), und der ließ den Abriß einfach weiterlaufen. Das konnte er so machen, weil nur wenige Menschen sich nur kurze Zeit auf der Straße widersetzten. Und weil die volksvertretenden Parteien nicht den in der Petition geforderten Aufschub des Abrisses unterstützen, damit die bis dahin vermiedene öffentlichen Diskussion endlich stattfinden könnte. Stattdessen beschleunigte der Senat den Abriß noch mit einer Millionen-Prämie für vorfristige Auftragserledigung.
Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, daß die neueren Unterschriftenaktionen in drei Bezirken schon seit über einem Jahr laufen. Und selbst wenn die 1.000 Stimmen eines Tages zusammenkommen sollten, eine politische Wirkung werden sie ohne eine breite öffentliche Unterstützung kaum entwickeln können.
Dazu wäre es aber zuallererst notwendig, daß alle Freunde der Gasbeleuchtung gemeinsam auftreten, statt getrennt oder gar gegeneinander zu agieren: Gaslicht-Kultur, Denk mal an Berlin und Progaslicht – das den umfangreichen und über andere Städte in Deutschland und Europa berichtenden „Zündfunken“ herausgibt. Wie will man sonst irgendetwas auf die Beine stellen? Die Zeit jetzt bis zu den Wahlen im September 2016 wäre dafür besonders günstig.
Noch kurz zu „Kostenersparnis“, „Umweltschutz“
Der Senat hat immer darauf hingewiesen, dieser Abriß sei alternativlos, um Kosten zu sparen und um des Umweltschutzes willen.
Da ist es schwer verständlich, daß die Gasreihenleuchten durch Jessica-Leuchten von Selux ersetzt werden, in denen sich Kompaktleuchtstofflampen (Energiesparlampen) mit Quecksilberanteil (S. 8) befinden. Das Problem ist nämlich: Seit 2015 dürfen diese Lampen gemäß der EU-Ökodesign-Richtlinie nicht mehr verkauft werden. Das heißt, daß nach dem Verbrauch der Senatsreserven diese Straßenleuchten erneut ausgetauscht werden müssen, diesmal gegen LED-Technik. Warum dann nicht wenigstens gleich? „Bei dieser Umrüstung kommt keine LED-Technik zum Einsatz. Stattdessen sitzt die Stadt wegen eines Formfehlers bei der Ausschreibung auf einem Haufen unterdessen veralteter Jessica-Leuchten von Selux.“ (Tagesspiegel 25.2.2015) Soviel zum angeblichen Kostensparen. Wurde wenigstens diesmal jemand dafür zur Rechenschaft gezogen?
Und der Umweltschutz? Befürworter des Erhalts der Gasbeleuchtung haben immer wieder auf ihre Verträglichkeit für nachtaktive Insekten hingewiesen. Denn im Gegensatz zu den Elektroleuchten locken sie so gut wie keine Insekten an, die sich dann an ihnen verbrennen. Das hingegen durch Elektroleuchten verursachte Massensterben von Insekten (S. 6) hat erhebliche Auswirkungen auf die Nahrungskette z.B. von Vögeln und damit auf das gesamte Ökosystem. Das gilt auch für die LED-Technik! Was sagt eigentlich der Umweltschutz in der „Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt“ dazu?
MichaelR
Herzlichen Dank an Bettina Grimm (Progaslicht) und Bertold Kujath (Gaslicht Kultur) für ihre Unterstützung.
Nachdruck dieses Textes in „Zündfunke“ Heft 62 (Oktober 2015)
Foto: Pro Gaslicht
Weitere Blog-Texte zum Thema hier.
(1) Werden dann wohl noch die 90 Leuchten aus ganz Europa im 1978 eröffneten Gaslicht-Freilichtmuseum (beim S-Bf. Tiergarten) dazugezählt werden können? Sehr fraglich, wenn man sieht, wie man sie bereits jetzt verkommen läßt; vgl. Zündfunke Mai 2015, S. 10ff. und Im Westen Berlins, 24.8.2015
(2) Es überrascht allerdings nur dann nicht, wenn man in parteienstaatlich-machtpolitischen Kategorien denkt („Wir haben eh die Mehrheit, also was soll man da noch groß rumreden?“). Wenn man jedoch in demokratischen Kategorien denken würde („Wie schaffe ich ein breites Einverständnis?“), würde man zu einem anderen Ergebnis kommen.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 14. September 2015 - 00:24
Tags: gaslaterne/gaslicht/strassenbeleuchtung
drei Kommentare
Nr. 3, M.R., 21.12.2015 - 15:04 Der Zündfunke. Das Gaslaternen-Journal Heft November/Dezember 2015: http://www.progaslight.org/ZF_Sammlung_d.. |
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zum Gaslaternendesaster im Tiergarten der TSP
(bitte auch die kommentare beachten)
http://www.tagesspiegel.de/berlin/80-von..