Schiedsgerichte versus Recht
TTIP und CETA untergraben die Demokratie
Über 30 Verbände und Organisationen rufen für den 10. Oktober zu einer Großdemonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA auf. Die Demonstration beginnt um 12 Uhr am Hauptbahnhof.
Befürworter der Abkommen sind vor allem die Wirtschaft, Verbände der Großindustrie und Funktionäre der Regierungsparteien, die erst nach starkem öffentlichen Druck Einblick in die zunächst unter strikter Geheimhaltung geführten Verhandlungen geben. Ihnen steht ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Oppositionsparteien, Umweltverbänden und Bürgerinitiativen gegenüber, die aus ganz unterschiedlichen Interessen die Abkommen ablehnen. Sie fürchten vor allem, daß damit über Jahrzehnte erkämpfte Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards ausgehebelt werden können. Die Befürworter versuchen, die Bürger mit den Versprechen neuer Arbeitsplätze und eines allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwunges zu gewinnen. Der Internetauftritt des Bundeswirtschaftsministeriums führt den Besucher über einen ganzen Teppich solcher Argumente zu Informationen über die Abkommen. Die Erfahrung lehrt jedoch die Bürger, daß durch wirtschaftlichen Aufschwung noch nie Arbeitsplätze entstanden sind. Freizügiger Handel und technischer Fortschritt erhöhen gerade dadurch den Profit der Konzerne, daß sie den größten Kostenfaktor, den Lohn, durch einfließende Billigarbeitskräfte und Maschineneinsatz verringern. Arbeitsplätze entstehen durch die Abkommen für Advokaten, denn das Neue an den Abkommen ist eine erweiterte Schiedsgerichtsbarkeit, die ein großer Tummelplatz für Paragraphenreiter zu werden verspricht. Der Sinn der neuen Verträge ist, daß die internationalen Großkonzerne sich anschicken, mittels einer Paralleljustiz von Schiedsgerichten an der staatlichen Gerichtsbarkeit vorbei demokratische Entscheidungen der Bürger und Parlamente durch Erpressung mit hohen Verfahrenskosten und horrenden Schadenersatzforderungen zu unterlaufen. Oftmals reicht allein schon die Androhung solcher Verfahren, um die Gemeinden zum Nachgeben zu veranlassen.
Das bekommen gerade die im Tal von Rosia Montana lebenden Rumänen zu spüren. Dort befinden sich die größten Gold- und Silbervorkommen Europas. Die Schürfrechte hat das kanadische Unternehmen „Gabriel Resources“. Das arbeitet mit dem Gift Zyanid, wodurch auf einer Fläche von 2388 Hektar Boden und Wasser verseucht werden. Daraufhin hat das Parlament im November vergangenen Jahres dem Unternehmen die Lizenz entzogen. Am 21. Juli hat der Konzern bei der Weltbank ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Rumänien beantragt. Für den Konzern arbeitet die Kanzlei White & Case, die 2014 39 solcher Klagen vor dem Gremium vertreten hat und dabei gegen Venezuela eine der bisher höchsten Entschädigungssummen überhaupt erstritten hatte. Gegen Rumänien war bisher ein Schadensersatz in Höhe von vier Milliarden Dollar im Gespräch. Berater hatten der rumänischen Regierung von diesem von zahlreichen Organisationen geforderten Schritt abgeraten. Neuseeland ist da vorsichtiger. Es wollte aufdringliche Reklame auf den Zigarettenpackungen verbieten. Doch nun wird erstmal abgewartet. Solch einen Vorstoß hatten zuvor schon Australien und Uruguay unternommen und damit den Tabakkonzern Philipp Morris verärgert, der nunmehr beide Regierungen vor Schiedsgerichten in New York verklagt. Die Neuseeländer warten jetzt diese Schiedssprüche ab, um zu sehen, wie die Gerichte Philipp Morris vor den Ansprüchen der Regierungen auf Gesundheit ihrer Bürger schützen. In Europa muß Philip Morris noch vor dem Europäischen Gerichtshof antreten, um gegen die Tabakrichtlinie der EU vorzugehen. Im Kleinen und auch noch vor einem ordentlichen Gericht erfahren gerade die Kleingärtner der Kolonie Oeynhausen, wie die Erpressung der Kommunen funktioniert.
neu aushandeln lassen, gleiche Regelungen bei CETA aber bestehen lassen.
Foto: Wecker
Die Schiedsgerichte sind dagegen geeignet, die Demokratie aus den Angeln zu heben. Sie sind tatsächlich, wie die Befürworter von TTIP und CETA die Öffentlichkeit beruhigen wollen, nicht neu. Neu ist jedoch, daß sie auch in gewachsenen Demokratien neben der staatlichen Gerichtsbarkeit ein paralleles Rechtssystem bilden werden. Plötzlich ist Deutschland, das zu den Erfindern der Schiedsgerichte gehört und jahrelang am meisten davon profitiert hat, selbst betroffen. Da wurden die Hamburger Senatoren bei ihrer morgendlichen Zeitungslektüre von der Meldung überrascht, daß ihre Auflagen an den Energiekonzern Vattenfall für den Betrieb des Moorburger Kohlekraftwerks hinfällig sind. Der Konzern hat nur erwogen vor solch ein Schiedsgericht zu ziehen, um dafür Schadensersatz in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu fordern. Ohne erst die Hamburger zu fragen, hat die Bundesregierung allein auf diese Drohung hin einen Vergleich mit Vattenfall geschlossen. In gleicher Weise wollen jetzt die Energiekonzerne die Bundesregierung wegen des Ausstiegs aus der Kernenergie zur Kasse bitten.
Was jetzt für das TTIP zwischen Europa und den USA beziehungsweise für das unterschriftsreife CETA mit Kanada ausgehandelt wird, hat eine neue Qualität. Dann kann auf den Verlust erwarteter Gewinne geklagt werden, wenn unverbindliche Zusagen nicht eingehalten werden. Neu ist auch, daß spekulative Transaktionen am Finanzmarkt als Investitionen gelten. Als 1959 Hermann Abs von der Deutschen Bank und der britische Lord Shawcross darüber sinnierten, wie das in die aus den einstigen Kolonien erwachsenen jungen Nationalstaaten exportierte Kapital gesichert werden könnte, entwarfen sie eine „Übereinkunft zu Investitionen im Ausland“ (Convention on Investments Abroad). Heute heißt das Investorenschutz, womit der Schutz der Investoren vor Beschlüssen demokratischer Parlamente gemeint ist. Der Geniestreich von Abs und Shawcross findet sich in der Klausel: „Jede Partei hat zu allen Zeiten einer fairen und billigen Behandlung hinsichtlich des Eigentums von Staatsangehörigen der anderen Parteien sicher zu sein.“ (Each party shall at all the times ensure fair and aquitable treatment to the property of the nationals of the other parties.) Allein aufgrund dieser Formel, die dem Sinn nach seither in allen 3000 Investitionsschutzabkommen enthalten ist, gewinnen derzeit US-Konzerne zu drei Vierteln ihre Klagen. Selbst Volksentscheide werden außer Kraft gesetzt. An die Stelle des Souveräns treten Konzerne und Banken. Die Tendenz ist steigend. Waren 1996 38 Klagen bei der Weltbank registriert, so sind 2014 100 Fälle mit einem Gesamtstreitwert von über 25 Milliarden US-Dollar anhängig. Dazu kommen nochmals Prozeß- und Anwaltskosten zwischen 8 und 30 Millionen Dollar je Klage. Diesen Kuchen teilen sich wenige Anwaltskanzleien. Die Schiedsgerichte bestehen nicht wie bei den staatlichen Gerichten, vor denen solche Klagen auf „Investorenschutz“ auch möglich wären, aus unabhängigen Richtern. Die Schiedsgerichte setzen sich aus drei Advokaten zusammen, wovon jeweils einen die streitenden Parteien benennen und sich beide auf den dritten einigen. Zumeist stammen die Juristen aus jenen Anwaltskanzleien, die sich dann mit ihren Schiedssprüchen ihr eigenes Recht schaffen. Sie verdienen umsomehr, je höher die Streitsummen sind und je länger die Prozesse dauern. Aus diesem lukrativen Geschäft entsteht gegenwärtig ein neuer parasitärer Wirtschaftszweig mit eigenen Ausbildungseinrichtungen und Versicherungen. Revisionsmöglichkeiten gegen die Schiedssprüche gibt es nicht.
So geheim, wie die Verhandlungen um TTIP, CETA und TISA geführt werden, so geheim sind auch die Prozesse. Schon wenn Unternehmen solche Fälle vor regulären Gerichten austragen, sind die Verhandlungen geheim. Beim Verkauf des größten kommunalen Betriebs Deutschlands, den Berliner Wasserbetrieben, hat erst ein Volksentscheid erzwungen, daß die Verträge offen gelegt werden müssen und das Unternehmen zurückgekauft werden mußte. Wenn die neuen Freihandelsverträge erst greifen, ist trotz gegenteiliger Bekundung der EU-Kommission, der Privatisierung des wichtigsten Lebensmittels, des Wassers, wieder Tür und Tor geöffnet. Gern verweisen die Befürworter darauf, daß solche Prozesse von den Staaten - nach einem kräftigen Aderlaß an die Anwälte - auch mal gewonnen wurden. Gewonnen haben damit die Regierungen aber nicht mehr als die Zusicherung des Privatgerichts, daß ihre Parlamente und Bürger richtig entschieden haben. Auch in diesem Fall erhebt sich das Schiedsgericht über den Souverän.
Daß ein Vertrag, der solche Verfahrensweisen vorsieht, verfassungsfeindlich, gefährlich und undemokratisch ist, hat am 20. Mai der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Matthias Machnig in einer Talkshow der ARD-Moderatorin Anne Will unfreiwillig zugestanden. Er verkündete die Botschaft, daß dieser Teil der Abmachungen bei TTIP völlig neu ausgehandelt werde. Sarah Wagenknecht von der Linken fragte nach, ob denn sein Dienstherr Minister Siegmar Gabriel (SPD) bei dieser Einsicht noch gewillt sei, CETA zu unterschreiben, das die gleichen undemokratischen Klauseln enthalte? Darauf sagte der Staatssekretär, auch bei CETA werde in der EU-Kommission über diese Klauseln gesprochen, was wiederum Anne Will verblüffte, denn bis zu dieser Sendung galt CETA als unterschriftsreif. Auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es, daß weitere Gespräche mit der EU-Kommission zu Verbesserungen des Investorenschutzes geführt würden. Die Debatte kann im Internet noch unter https://www.youtube.com/watch?v=iBflexLlY3E verfolgt werden.
Sollten die Vereinbarungen im TTIP-Abkommen verändert werden und CETA auf dem bisherigen Verhandlungsstand verabschiedet werden, könnten die US-Konzerne ihre Interessen gegenüber Deutschland über Klagen ihrer kanadischen Niederlassungen durchsetzen. Über diese Möglichkeiten verfügen 80 Prozent der Konzerne. Ohne Schmerzen könnte auf diesem Weg den TTIP-Gegnern ein grandioser Sieg zugestanden werden.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Politik - 17. September 2015 - 00:02
Tags: ceta/demo/freihandelsabkommen/tisa/ttip
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: